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Opern-Kritik: Theater Bielefeld – Ariane und Blaubart

Die Befreiungspredigerin

(Bielefeld, 2.3.2019) Wiederentdeckung: Mit einer höchst respektablen Ensembleleistung stemmt die Bielefelder Oper „Ariane und Blaubart“ von Paul Dukas.

vonIsabel Herzfeld,

Alle Wege werden ihnen geebnet, alle Möglichkeiten aufgezeigt, doch sie wollen einfach nicht. Auch im Zeichen der #MeToo-Debatte können Frauen von der Verantwortung für ihr Tun oder Nicht-Tun nicht freigesprochen werden. Was also haben Blaubarts Frauen zu ihrer misslichen Situation beigetragen? Und wie könnten sie ihr entkommen? Spannende Fragen stellt Maurice Maeterlinck in seinem Libretto zu „Ariane et Barbe-Bleue“ von Paul Dukas, verdienstvoll zur Diskussion gestellt vom Theater Bielefeld, das sich immer wieder mutig an Unbekanntes wagt und dabei schon so manche Entdeckung zutage gefördert hat.

Maeterlinck, der ja bekanntlich als Textdichter von Debussys „Pelléas et Mélisande“ reüssierte, bemühte sich hier besonders um eine attraktive Rolle für seine Lebensgefährtin, die Schauspielerin und Sängerin Georgette Leblanc: Ariane, der antiken, den geliebten Theseus aus dem Labyrinth führenden Ariadne nachempfunden, denkt nicht daran, sich als „Blaubarts sechste Frau“ (nicht die achte, wie bei Ernst Lubitsch) dem düsteren Ritter zu unterwerfen. Zielstrebig steuert sie die verbotene Tür an, hinter der die fünf Verflossenen als mehr oder weniger lebende Leichen vegetieren. „Sie sind nicht tot“, singt Sarah Kuffner mit kräftigem, dunkel unterlegtem Sopran und schreitet sofort ans Befreiungswerk. Doch das ist verlorene Liebesmüh‘.

Die „Mädchen von Orlamonde“ haben sich in ihrer Gefangenschaft bei Herrn Blaubart gemütlich eingerichtet

Szenenbild aus "Ariane und Blaubart"
Ariane und Blaubart/Theater Bielefeld © Bettina Stöß

Auch Regisseurin Andrea Schwalbach und ihre Ausstatterin Nanette Zimmermann geben sich alle Mühe, das etwas dröge Emanzipationsdrama glaubhaft zu machen. Mit Hosenanzug und kesser Kurzhaarfrisur (nur ihr Handtäschchen passt nicht zum business look) gibt sich Kuffner sofort als taffe Frau zu erkennen und passt so gar nicht in diese fremde Welt, in die sie sich, warum auch immer, begeben hat.

Der kaum anwesende Hänfling Blaubart, nur gelegentlich siegesgewiss lächelnd, kann es nicht sein – Moon Soo Park bleibt ihm die wenigen angenehmen Baritontöne nicht schuldig, doch kann auch er der Figur weder Dämonie noch sonstige Anziehungskraft verleihen. Also muss es um die Frauen gehen: Sélysette, Ygraine, Mélisande, Bellangère und Alladine sind die früheren Maeterlinck-Dramen entstammenden „Mädchen von Orlamonde“, die sich mehr oder weniger zufällig in Blaubarts Palast verirrt und in ihrer Gefangenschaft eingerichtet haben.

Blaubarts Verflossene stecken in Puppen-Prinzessinnenkleidchen

Nohad Becker, Dorine Mortelmans, Melanie Kreuter, Hasti Molavian und Katrin Schyns sind das schönstimmige auch im Solistischen überzeugende Quintett, auch wenn sie sich charakterlich kaum voneinander abheben. Doch sie sollen gesichtslos sein, stecken in Puppen-Prinzessinnenkleidchen – Alladine trägt sogar zunächst eine Puppenmaske – , mit dem Gesicht zur Wand gedreht wie gescholtene Kinder.

Nach Arianes ersten Freiheitspredigten machen sie es sich mit Mokka aus winzigen Tassen gemütlich, ein Kaffeekränzchen, dem die Heldin geradezu übergriffig Fenster und Augen öffnen will. Licht lässt nur Mängel erkennen: „Wie lang meine Haare sind und wie blass meine Haut“, stellen die Dämchen entsetzt fest.

Ariane strampelt sich ab wie die Sozialarbeiterin im Frauenhaus

Szenenbild aus "Ariane und Blaubart"
Ariane und Blaubart/Theater Bielefeld: Moon Soo Park (Blaubart) © Bettina Stöß

Das ist ganz vergnüglich anzusehen, wenn Ariane sich abstrampelt wie die Sozialarbeiterin im Frauenhaus und ihre Opfer – denn das sind sie auch bei ihr – von Weiblichkeitsplunder wie Perücken und Rüschenjäckchen befreit. Sicher kann Blaubart sein, dem Ariane ein paar beherzte Messerstiche versetzt hat – dem Libretto nach kommen sie von aufständischen Bauern – von seinen Frauen gesund gepflegt zu werden. Und so war alles nur Sturm im Wasserglas, eine kleine Revolte im Palast, der als Mischung aus Stonehenge und elegantem multifunktionalem Bungalow in wechselnder Beleuchtung schimmert. Blaubarts Schätze allerdings erscheinen fast ausschließlich in der Musik, in gleißenden, spitzigen Bläserrhythmen, die den Lehrer Olivier Messiaens erahnen lassen.

Die Gier der Amme – wozu braucht die eine emanzipierte Frau wie Ariane? – ist so nicht recht verständlich, zumal die doppelte Notlösung für die erkrankte Katja Starke durch die Mezzosopranistin Janina Baechle und die viel zu junge Frederike Prick-Hoffmann weder stimmlich noch darstellerisch überzeugend scheint.

GMD Alexander Kardjic führt souverän durch die mit allen Wassern Wagnerscher Leitmotivik gewaschene Partitur

Szenenbild aus "Ariane und Blaubart"
Ariane und Blaubart/Theater Bielefeld: Sarah Kuffner (Ariane) © Bettina Stöß

Starke Atmosphäre entsteht zu Beginn, wenn der Opernchor hinter der Bühne geheimnisvoll warnende Stimmen zu Dukas‘ düster glühenden Klängen hören lässt. Souverän führt GMD Alexander Kalajdzic die Bielefelder Philharmoniker durch die anspruchsvolle, mit allen Wassern Wagnerscher Leitmotivik und Strauss’scher Instrumentationskunst gewaschene Partitur, gegen deren allzu intensive Klangflut im kleinen Bühnenraum die Sänger tapfer ankämpfen. So berühren die transparenter wirkenden instrumentalen Vorspiele vor dem zweiten und dritten Akt vielleicht am nachhaltigsten.

Um dieser Musik willen lohnt sich die Wiederentdeckung der Oper, deren Hinweisen auf tiefere Schichten unter der etwas flachen Story man noch genauer nachspüren sollte. Doch die insgesamt höchst respektable Ensembleleistung wird zu Recht gefeiert.

Theater Bielefeld
Dukas: Ariane und Blaubart

Alexander Kalajdzic (Leitung), Andrea Schwalbach (Regie), Nanette Zimmermann (Bühne, Kostüme & Video), Martin Quade (Licht), Sarah Kuffner, Katja Starke/Janina Baechle, Moon Soo Park, Nohad Becker, Hasti Molavian, Dorine Mortelmans, Melanie Kreuter, Katrin Schyns, Bielefelder Philharmoniker

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