Die Rudolf-Oetker-Halle und deren holzvertäfeltes rechteckiges Auditorium ist mehr als ein exponiertes Bauobjekt der späten Weimarer Republik und erstklassiger Konzertsaal. Im Foyer kann nach den Konzerten der Bielefelder Philharmoniker bei einem Getränk noch über das Erlebte kommuniziert und getrunken werden. Dieses Angebot wird vom Publikum nach der dritten „Lichtspieloper“ von Bühnen und Orchester der Stadt Bielefeld gern genutzt. Nach „Parsifal“ und „Johanna auf dem Scheiterhaufen“ gelangte Béla Bartóks und Béla Balázs‘ Oper „Herzog Blaubarts Burg“ op. 11 zur Premiere.
Wie bei den Projekten davor also ein Opus mit metaphorischer Vieldeutigkeit und mindestens doppeltem Handlungsboden. In „Herzog Blaubarts Burg“ hat sich das Unwohlsein an den konventionellen Geschlechterrollen des Fin de siècle ebenso eingegraben wie der fundamentale Zweifel an der Möglichkeit eines tieferen Einverständnisses zwischen Frau und Mann. Diese Oper ist ein Manifest der Paradoxien von Beziehungsangst gegen Verlustangst mit Rettungskomplex. Am Ende gesellt sich Judit zur Gruppe der untoten, aber auch nicht mehr am Leben teilhaftigen Frauen Blaubarts. Diese Vorgabe des Textbuchs sieht man in den vier Vorstellungen der Lichtspieloper allerdings nicht.
Katastrophen drinnen und draußen
Im Foyer steht das für die Animations- und Trickaufnahmen des Lichtspiels verwendete Modell. Dieses spielt suggestiv mit den Ängsten vor nur zu wahrscheinlichen Zukunftsprognosen. Auf dem Boden der Halle mit sieben Türen stehen die Worte von Balázs‘ hier nicht rezitiertem Sprechprolog. Dieser raunt von einer sich stetig wiederholenden Sage – es sei unwesentlich, ob diese „im Innern oder draußen“ spielt.
Das Produktionsteam kontrastiert Balázs‘ Drinnen mit dem Paarkonflikt und das Draußen mit sehr konkreten Verwüstungen der Natur und durch blutige Gewalt zerstörten Zivilisationsräumen. Inwieweit hat das Crescendo der Zerwürfnisse von Frau und Mann mit dem der Ökokatastrophe zu tun? Mögliche Gründe scheinen Aggressionsimpuls, toxischer Rigorismus, Misogynie oder einfach nur „Der Mensch dem Menschen ein Wolf“.
Einzel- und Massenkatastrophen
Bartóks Oper ist ein Geschlechterkampfstück par excellence. Trotzdem öffnet sich das an der Oper Budapest 1918 uraufgeführte Werk neben seinem roten Handlungsfaden für ergänzende Deutungen. In der Rudolf-Oetker-Halle treten Judit und Blaubart durch das Parkett auf das Podium. Die deutsche Übersetzung erweist sich als sinnvoll. Wolfgang Nägele treibt beide trotz überwiegend konzertanter Haltung wie Feuer und Wasser gegeneinander: Alexandra Ionis gibt eine hartnäckige und exaltierte, aber auch verständnisvolle Frau, die sich dem sie faszinierenden Mann bis zur Selbstaufgabe ausliefern würde. Blaubarts Innenleben durchforstet Judit mit Argumenten wie eine geschärfte Axt. Ionis agiert mit hochdramatischer Frischegarantie und gleißendem Stimmfeuer – Neugier liegt diesem Temperamentsvulkan mehr als das resignative Entsetzen.
Verheerende Bilder ökologischer Verwüstungen
Joshua Bloom hatte soeben Blaubart in der mit Psychoterror abfackelnden Inszenierung von Anthony Almeida an der Opéra National de Lorraine gesungen. Dort biss sich Judit an Blaubarts fehlender Bereitschaft zur Selbsterklärung die emotionalen Zähne aus und endete in einem seelischem Verstummen, welches erst recht zum Aufschrei emotionaler Hilflosigkeit wurde. Dagegen begibt sich der fast immer mit samtener Härte gestaltende Bloom hier fast wohlig in Judits Seelenrecherchen. Er zögert erst bei den letzten beiden Türen. Hinter denen lauern anstelle der für Blaubarts Mordopfer gehaltenen Frauen verheerende Bilder ökologischer Verwüstungen.
Horrible Bedrohlichkeit
Was am Modell wie eine scharfe, fast karikierende und schon naive Überspitzung konkreter und angedachter Grausamkeiten wirkt, erhält in Großaufnahmen des Films – bespielt mit Nebel, Zooms und Kamerafahrten – eine plastische, ja horrible Bedrohlichkeit: Mit Computern verkabelte Gehirne, ein fast nacktes Menschenknäuel an einem verdreckten Strand, Blutspuren in einer Gemäldegalerie, Panzer in einem verschneiten Dorf und am Ende reißende Meeresstrudel an einer Küste mit verfallenden Hochbauten.
Eher Konzert- als Theateroper
Wahrscheinlich ist ein Konzertsaal doch der bessere Ort für „Herzog Blaubarts Burg“ als ein Opernhaus. Bei der Premiere setzt Alexander Kalajdzic mit den Bielefelder Philharmonikern auf sehr kompakte und dabei imponierend opulente Klangprachtentfaltungen. Bartóks Modernismen wie seine Übernahmen aus der ungarischen Volksmusik verschwinden in der Gischt der orchestralen Überwältigung. Die verschiedenen Ton-Illustrationen dessen, was hinter den Türen steckt, gelingt differenziert. Frau und Mann, Feuer und Wasser, Drinnen und Draußen geraten in ein effektvoll begradigtes Klangflussbett, aus dessen immer stärkerem Schwall es kein Entrinnen gibt. Die Ökokatastrophe beißt, zerrt und foltert noch mehr als das Beziehungsdrama Judits und Blaubarts.
Säkulare Kirche einer zerreißenden Zweisamkeit
Cedric Kraus‘ Bühnenbild-Modell ist demzufolge eine überaus präzise wie makabre Streichelvorlage für Sascha Vredenburgs mit Effekten des Katastrophenfilms operierende Videoarbeit. Der Raum und dessen Gemäuer, um den die Welt untergeht, könnte auch Gralstempel oder Gibichungenhalle sein. Diese säkulare Kirche einer zerreißenden Zweisamkeit ist auch die letzte Schutzbastion vor einem kruden Flammen-, Wasser- und Blutinferno. Wie lauten Blaubarts letzte Worte, mit denen er Judit verlässt… „Nacht bleibt es jetzt für immer“.
Theater Bielefeld
Béla Bartók: Herzog Blaubarts Burg
Alexander Kalajdzic (Leitung), Wolfgang Nägele (Künstlerische Leitung), Cedric Kraus (Bühnenbild & Video), Sascha Vredenburg (Video), Jón Philipp von Linden (Dramaturgie), Joshua Bloom (Blaubart), Alexandra Ionis (Judit), Bielefelder Philharmoniker