Der räumliche Transfer von Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ aus Franken an den deutschen „Schicksalsstrom“ gelingt seit dem Premierentermin am Tag der Deutschen Einheit mühelos. Überdies der zeitliche, mitten hinein in die Bonner Republik und ins Wirtschaftswunder. Der Johannistag firmiert um zum Rosenmontag. Die Meistersingerzunft mutiert zum karnevalistischen Elferrat. Liebreizende Funkenmariechen schwingen die Beine, und fleißige Heinzelmännchen gehen nimmermüde zu Werk. Keine Frage, die „Meistersinger“ am Theater Bonn sind ein Riesenspaß. Doch weit mehr als das. Der rheinische Karneval ist politisch. Die den Kunst schaffenden Handwerkern innewohnenden „guten Geister“ decouvrieren Gelichter von der Sorte Putin, Trump und Weidel als – auf gut Rheinisch – Pappköpp, überdimensionale Politikerkarikaturen, wie sie die Karnevalswagen der Region zieren.
Aufklärung und Dämonenaustreibung
Über die bloße Folklore hinaus bedeutet Fastnacht immer auch Aufklärung und Dämonenaustreibung. Zwar erweisen sich von der Warte der auf der Bühne obwaltenden Bonner Republik aus betrachtet die gegenwärtigen Rattenfänger als Zukunftsprojektion, indes als durchaus nachvollziehbare. Das Eis, auf dem sich Humanität und Aufklärung bewegen, ist immerfort dünn. Regisseur Aron Stiehl lässt es in der Massenprügelei des zweiten Aufzugs einbrechen. Kunst und Republik stürzen zurück in Chaos und Gewalt, sobald sich der gesellschaftliche Konsens arg lädiert zeigt. Zerwürfnisse zwischen den Milieus – ob nun Aristokratie und Bürgertum, Handwerkern und Akademikern, Traditionalisten und Avantgardisten oder entlang heutiger Bruchlinien bleibt sich gleich – gefährden die mühsam errungenen zivilgesellschaftlichen Standards.
Wenn der Konsens zerbricht
Die Meistersinger, respektive vereinsmäßig organisierten Karnevalisten haben es sich in der Bonner Republik bequem gemacht. Ein Video spielt die Sprengung des Hakenkreuzes auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände ein. Mit der braunen Bande scheinen die Leute fertig. Wenn aber die Spannungen und Konflikte in der Keilerei des zweiten Aufzugs eskalieren, bricht die Vertäfelung von den Wänden des Vereinsheims. Dies, um den Blick auf verborgene Naziadler mit dem Kranz für das Hakenkreuz in den Fängen freizugeben. Es bedarf schon eines Moderators wie Hans Sachs, um dem Schlimmsten zu wehren. Welchen Verzicht er sich dabei auferlegt, das schildert Stiehl intensiv in des Schusterpoeten Beziehung zu Eva, beiderseits hatte sich eine echte Liebesgeschichte angebahnt. „Herr Marke“ ist da wirklich nicht weit.
Behaglichkeit dank Bogenhanf
Timo Dentler und Okarina Peter verlegen die Begebnisse in einen Saal mit Bühne und Ausschank. Einstiger Naziprotz wurde durch die Nüchternheit der Nachkriegszeit kaschiert. Für ein wenig Behaglichkeit soll Bogenhanf sorgen, die für diese Jahre ikonische Zimmerpflanze. Je nach Platzbedarf lässt sich der Bühnenraum ziehharmonikaartig vertiefen. Für die Festwiese, respektive die Große-Gala-Prunksitzung im Vereinslokal der Karnevalisten darf der Malsaal eine illusionistische Stadtansicht auf die Leinwand praktizieren. Vor dem Prospekt marschieren die Zünfte auf und sitzt später der Elferrat am Präsidiumstisch. Die Personnage hüllen Dentler und Peter oft und vor allem die Meister augenzwinkernd in Nachkriegskonfektion, um final in detailverliebtem Karnevalsputz zu schwelgen.
„Die Meistersinger von Nürnberg“ als furiose Komödie
Wie die szenische, so nimmt die musikalische Seite dieser Bonner-Republik-Meistersinger für sich ein. André Kellinghaus beflügelt Chor und Extrachor des Hauses zu vokaler Prachtentfaltung ohne Protz. Noch in höchster Emphase bewährt das Kollektiv Kultiviertheit, Präzision und Durchhörbarkeit. Und wenn ein jeder und jede der Choristinnen und Choristen singend eine Tafel mit einer großen Vertreterin der „heil’gen deutschen Kunst“ von Annette von Droste-Hülshoff über Gabriele Münter bis Else Lasker-Schüler in Händen hält, dann greift das ins Gemüt. Aus dem Graben tönt es unter Dirk Kaftan voll geradezu italienischen Brios. Das hat Feuer, Kraft und die Tempi einer rasanten Komödie. Tobias Schabels Hans Sachs beweist, wie eng verbunden innere Begeisterung für Kunst und Liebe mit echter, freilich bisweilen mühevoll errungener Gelassenheit und Selbstbeherrschung einhergehen. Dieser Sachs ist cool und zugleich voller Empfindung, ein echter Poet halt. Mirko Roschkowski wartet für Stolzing liedhaft innig, doch – wenn nötig – raumgreifend strahlkräftig auf. Pointensatt und präzise serviert Joachim Goltz einen nicht eben fiesen, doch statuserpichten und zu verliebten Dummheiten neigenden Beckmesser. Vokal leuchtend und anmutig verkörpert Anna Princeva ihre Eva der Extraklasse. Wann meldet sich Bayreuth? Herausragend auch Dshamilja Kaisers Magdalena. In Manuel Günthers David schwingt bereits mit, was über den Charaktertenor hinausweist. Einen balsamischen Pogner gibt Pavel Kudinov.
Theater Bonn
Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg
Dirk Kaftan (Leitung), Aron Stiehl (Regie), Timo Dentler & Okarina Peter (Bühne & Kostüme), Max Karbe & Jorge Delgadillo (Licht), André Kellinghaus (Chor), Sabine Arthold (Choreografie), Tobias Schabel, Mirko Roschkowski, Anna Princeva, Joachim Goltz, Manuel Günther, Dshamiljal Kaiser, Pavel Kudinov, Ralf Rachbauer, Mark Morouse, Carl Rumstadt, Tae Hwan Yun, Samuel Levine, Hans-Georg Priese, Christopher Jähnig, Mikhail Biryukov, Martin Tzonev, Juhwan Cho, Pauline Asmuth, Gaston Efficace, Alicia Grünwald, Eetu Joukainen, Leon Juurlink, Verena Kronbichler, Tianji Lin, Matthieu Segui, Paul Skalicki, Julia Werner, Johanna Welsch, Beethoven Orchester Bonn, Chor und Extrachor des Theater Bonn
Fr, 22. November 2024 17:00 Uhr
Musiktheater
Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg
Dirk Kaftan (Leitung), Aron Stiehl (Regie)
So, 24. November 2024 16:00 Uhr
Musiktheater
Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg
Dirk Kaftan (Leitung), Aron Stiehl (Regie)