Auf die Frage, welcher Person sich ein Vorname wie Bonaventura zuordnen lässt, hat jeder Richard-Strauss-Kenner den jungen Vetter und Liebhaber der Feldmarschallin, Octavian, also den Rosenkavalier, parat. Dass auch ein leibhaftiger Opernkomponist unter anderem diesen Vornamen trug, dürften heute nur noch historisch sehr gut Informierte gewusst haben. Den Namen des Komponisten, den die Oper Bonn jetzt in ihrer ambitionierten Reihe „Focus 33“ mit dem Dreiakter „Li-Tai-Pe“ vorstellt, hätte auch Hugo von Hofmannsthal nicht besser erfinden können: Clemens Erwein Heinrich Karl Bonaventura Freiherr von und zu Franckenstein! Geboren im selben Jahr wie Thomas Mann, mithin 1875. Mit Hofmannsthal war er seit frühester Jugend eng befreundet – ob sich der kongeniale Strauss-Librettist bei den Taufnamen Octavians von denen seines Freundes inspirieren ließ? Wer weiß, möglich wär‘s. Mit dem Namen Thomas Manns verbindet sich eine für von Franckenstein – aus heutiger Sicht – eher peinliche biographische Fußnote. Er hatte sich nämlich im April 1933 jenem unrühmlichen „Protest der Richard-Wagner-Stadt-München gegen Thomas Manns Leiden und Größe Richard Wagners“ (u. a. von Hans Knappertsbusch, Richard Strauss, und Hans Pfitzner) angeschlossen. Zu dieser Zeit hätten sie wohl alle noch eine andere Handlungsoption gehabt.
Komponist, Dirigent, Intendant: Clemens Erwein Heinrich Karl Bonaventura Freiherr von und zu Franckenstein
Aber von Franckenstein war nicht nur Komponist und Dirigent, er war vor allem in München ein prägender Intendant. Zuerst bestimmte er von 1912 bis zur Revolution 1918 die Geschicke der München Hofoper, und dann noch einmal und das ziemlich erfolgreich von 1924 an, als Generalintendant die der Bayerischen Staatsoper. Bis er 1934, wiederum aus politischen Gründen (diesmal allerdings von der „anderen“ Seite), sein Amt endgültig verlor. Eine deutsche Künstlerbiographie, deren letzte Jahre bis zu seinem Tod 1942 mit innerer Emigration wohl treffend beschrieben ist. Sein Wirken als Intendant (das Programmbuch bietet da viel Interessantes und Erhellendes) ist durchaus von zeitgeschichtlichem und theaterhistorischem Interesse.
Lohnender Bonner Ausgrabungsehrgeiz: Wir erhalten ein üppiges, opulentes Bild, optisch und akustisch
Von seiner Wirkung als Komponist kann man sich jetzt dank des Bonner Ausgrabungsehrgeizes ein Bild machen. Sogar ein üppiges, opulentes. Optisch und akustisch. Eins, bei dem der Chor zum Masseneinsatz kommt und sich die Protagonisten ins rechte Bild setzen können. Nach dem „Feldlager in Schlesien“ von Giacomo Meyerbeer ein zweites, heute in völlige Vergessenheit geratenes Opernschmankerl. Im Falle Meyerbeer verblüffte zudem die dezidierte Staats- (genauer Preußen-)nähe der Komposition. Im jüngsten Fall ist es eher die märchenhafte Abwendung von der Nachkriegsrealität des Uraufführungsjahres 1920. Immerhin hat von Franckenstein damit in den Jahren, in denen er als Intendant kaltgestellt war, seine erfolgreichste Oper komponiert, die bis zur Schließung der Theater 1944 immerhin 25 Inszenierungen erlebte!
Es tönt wie die Musical-Version eines wagnergewürzten Puccinisounds
Musikalisch geht er dabei in die Orchester-Vollen. Geradezu hemmungslos. Heute klingt das fast wie die Musical-Version eines wagnergewürzten Puccinisounds. Melodisch eingängig in den Arien. Aufrauschend opulent in den vielen Chorpassagen. Mit fernöstlichem Klangkolorit abgemischt. Der Erste Kapellmeister des Beethoven Orchesters Bonn Hermes Helfricht und seine Musiker legten sich dafür hörbar lustvoll ins Zeug. Und die Protagonisten folgten ihnen dabei. Besonders natürlich Mirko Roschkowski als stets vom Weingenuss schwankende Gestalt und mit sicherem Tenor singender Dichter Li-Tai-Pe (für den es ein historisches Vorbild gibt) und Joachim Goltz als ein Kaiser, der den Trunkenbold mit atemberaubender Geschwindigkeit als seinen Freund bezeichnet. Die beiden rahmen das überschaubare Protagonistenensemble quasi von oben und von unten ein. In dem Text von Rudolph Lothar verlangen nur die Namen erhöhte Aufmerksamkeit – der Plot selbst ist recht simpel. Der Kaiser will eine schöne Prinzessin (Ava Gesell ist die umworbene koreanische Prinzessin Fei-Yen) als Braut mit Versen für sich gewinnen und schreibt dazu einen Dichterwettbewerb aus. Den gewinnen nicht die beiden Hofschranzen, die es auch versuchen, sondern natürlich der echte Dichter. Tobias Schnabel und Johannes Mertes stellen sich der Aufgabe, die beiden Deppen vom Dienst zu geben. Der eine als erster Minister, der zweite als Kommandant der Garden. Und dann gibt es noch Giorgos Kanaris, der als Doktor der kaiserlichen Akademie, den Volksdichter beharrlich fördert.
Fast eine „Tristan“-Konstellation
Dass dem der Ruf vorauseilt, ein Frauenheld zu sein, nutzen die beiden unterlegenen Kandidaten für eine hinterhältige Intrige. Sie beschuldigen den als Brautwerber losgeschickten Dichter, auch die Prinzessin verführt zu haben. Aber diese Tristan-Konstellation ist von der Frau verhindert wurden, die den Dichter schon immer liebte und als Page verkleidet mitgefahren war, damit ihr Idol unterwegs keinen Blödsinn anstellt. Anna Princeva ist diese vor allem beharrlich auf eine Beziehung mit Li-Tai-Pe hinarbeitende Yang-Gui-Fe. Bei der öffentlichen Anklage stellt sich natürlich die Unschuld des Dichters im Handumdrehen heraus – und es herrschen fortan Friede, Freude, Eierkuchen. Selbst das Todesurteil für die beiden Intriganten wird zur Feier des Tages in Verbannung umgewandelt. Als Belohnung für sich erbittet Li-Tai-Pe nur unbegrenzten, kostenlosen Weinkonsum in allen Gegenden des Reiches. Das Reiseboot dazu bekommt er noch obendrauf.
Bunte und politische China-Assoziationen
Adriana Altaras (Regie), Christoph Schubiger (Bühne) und Nina Lepilina (Kostüme) haben das Ganze im Grunde wie ein belebtes Tableau auf die Bühne gesetzt. Auf eine im Video eingeblendete Straßenszene von heute folgt der dichtgedrängte Chor, als ein auf engsten Raum verdichtetes Straßen- (und Straßengeschäfts-) Gewimmel – das macht Eindruck. Zum Thron des Kaisers führt dann eine gewaltige Treppe – den Abstand zum Volk, nimmt der aber selbst nicht ernst. Ein eingeblendeter Blick auf das Ambiente der heutigen Partei-Kongresse in Peking, deutet die Interpretationsmöglichkeiten an, mit denen man aber den als reines Vergnügen gedachten Plot nicht überladen wollte. Dafür treiben vier Mandarine allerlei trippelnden Schabernack, wenn der Vorhang wegen Umbau geschlossen ist.
Es ist halt schon ein rechter Schmachtfetzen, so eine Art familientaugliche Oper wie sie (auch früher nicht wirklich) war, zum Anfüttern. Was sich bei der Handlung nach Anleihen bei Wagner anhört, klingt aus dem Graben auch immer mal so. Es ist ein historischer Opernspaß. Pure Unterhaltung aus einer Zeit, in der die musikalische Moderne längst zur Hochform auflief. Vielleicht war das ganze vom Theaterpraktiker vor allem als flankierender Ausgleich gedacht? Beim begeisterten Premierenpublikum in Bonn hatte er damit jedenfalls Erfolg!
Diese Produktion wird vom WDR aufgezeichnet und auf WDR 3 am 19. Juni 2022 um 20.04 Uhr und am 13. August 2022 um 19.05 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur übertragen.
Theater Bonn
von Franckenstein: Li-Tai-Pe
Hermes Helfricht (Leitung), Adriana Altaras (Regie), Christoph Schubiger (Bühne), Nina Lepilina (Kostüme), Boris Kahnert (Licht), Andreas K. W. Meyer (Dramaturgie), Joachim Goltz, Mirko Roschkowski, Giorgos Kanaris, Tobias Schabel. Johannes Mertes, Martin Tzonev, Kieran Carrel, Pavel Kudinov, Ava Gesell, Anna Princeva, Tae-Hwan-Yun, Alexander Kalina, Juhwan Cho, Ricardo Llamas Marquez, Chor des Theater Bonn, Extrachor des Theater Bonn, Beethoven Orchester Bonn