Den Opern-Einakter nebst Vorspiel „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal könnte Michael Frayn im Kopf gehabt haben, als er in seinem Dauerbrenner „Der nackte Wahnsinn“ alles, was auf und hinter der Bühne bei einer Aufführung so passieren kann, fröhlich aufeinander übergreifen ließ. Dem kongenialen Duo aus Komponist und Dichter ist das mit ihrer „Ariadne“ Jahrzehnte vorher jedenfalls meisterhaft gelungen. Obwohl sie das Ganze – erstaunlich innovativ – zunächst ganz anders, nämlich als gleichberechtigte Kombination von Schauspiel und Oper, angedacht und dem Publikum angeboten haben. Das Publikum hat anders entschieden (würde es ehrlich gesagt heute wahrscheinlich auch).
Die beiden marktorientierten Genies gaben nach, und ihre zweite Version hat sich dann seit 1916 tatsächlich im Repertoire bis heute gehalten. Übrig geblieben sind die witzig gedrechselten Wortbeiträge des Haushofmeisters, die sich natürlich ohne zu haken in die Musik fügen. Dieser so herrlich blasierte Sprecher seines Herrn ist heutzutage nicht nur der Lakai eines so kunst- wie eigensinnigen, reichen Mäzens, sondern er steht gleich noch für die demokratisch legitimierten Geldgeber (oder -verweigerer) der Branche. Man muss da kein Wort ändern, um die Gegenwart hervorlugen zu lassen.
Wenn die Entstehungsgeschichte in der Inszenierung mitschwingt
Frank Hilbrich hat das Schmankerl, das wie ein kreatives Durchatmen zwischen „Rosenkavalier“ und „Frau ohne Schatten“ entstand und bis heute wirkt, in Bremen jetzt neu inszeniert. Er hat dabei die entstehungsgeschichtlich angelegte Überarbeitung aufgegriffen und szenisch gleichsam auf die Spitze getrieben. Den Haushofmeister gibt es in Gestalt von Christoph Heinrich und Christian Bergmann nicht nur im wahrsten Wortsinn ausgestopft (der Bauch als Nahkampfwaffe), als Haus- und als Hofmeister verdoppelt. Beide werden damit gleichsam zu einem fast schon surrealen Stichwortgeber von außen.
Jeder Bezug zu den Rahmenbedingungen der musikalischen Doppelvergnügung vor dem Feuerwerk bleibt so außen vor. Die alle Beteiligten überraschenden und herausfordernden Anweisungen, die darin gipfeln, die bestellte Buffa und das Opernauftragswerk zwischen Tafel und Feuerwerk gleichzeitig aufzuführen, werden so erst recht zum Synonym für die Entstehungs- und Aufführungsbedingungen von Kunst.
Die Herzkammern für den Lebenscharme der Musik
Auch, dass Ian Spinetti mit seinen wehenden Gewändern und Gesten sowohl den Tanzmeister, als auch den Brighella und Elias Gyungseok Han sehr pointiert sowohl den Musiklehrer als auch den Harlekin verkörpern, verstärkt den Blick, den Hilbrich gleichsam nach innen richtet. Nämlich in die beiden Herzkammern für den Lebenscharme der Musik. Beim entfesselten Verkleidungsfuror (Kostüme: Gabriele Rupprecht) vervollständigen Luis Olivares Sandoval als Scaramuccio und Stephen Clark als Truffaldin die Truppe von Zerbinetta. Einer Zerbinetta, der in der Gurgel von Nerita Pokvytytė eine Spur Höhenleichtigkeit fehlt, die aber mit ihrer Partie auch ihre Truppe selbstbewusst zusammenhält. Wie aus einer anderen, stilisiert choreographierten, rabenschwarzen Welt kommend, machen Constanze Jader, Elisa Birkenheier und Maria Martin Gonzalez als Dryade, Najade und Echo eine Hingucker- und Hinhörer-Show für sich.
Das hemmungslose Aufstrahlen der musikalischen Apotheose
Um dafür einen Raum zu schaffen, kann sich Sebastian Hannak auf ein paar weiße, verschiebbare Wände beschränken, die mal Raumecken, mal einfach nur eine Rückwand bilden. Dem Komponisten (den Nadine Lehner einen überzeugend jugendlichen Habitus verpasst, was über gelegentlich etwas scharfe Höhen hinwegtröstet) hat Hilbrich ein Alter Ego an die Seite gestellt. Noori Cho greift immer dann in die Tasten, wenn sich ein Zerbinetta-Motivschnipsel in den Strom der Musik verirrt, deutet also an, dass auch in der Brust dieses Komponisten durchaus zwei Seele wohnen. Der junge Mann entflammt dann tatsächlich für die attraktive Zerbinetta, besinnt sich aber doch auf seine hehren Ideale uns lässt lieber alles in Flammen aufgehen, als seine Oper zu verraten. Das desavouiert zwar den eigentlich vernünftigen Kompromiss (lieber gekürzt, als gar nicht uraufgeführt), ist aber eine Steilvorlage für ein grandioses Finale des ersten Teils.
Da lässt der Komponist die Partitur und sämtliche Konzertflügel in Flammen aufgehen. Etwa so metaphorisch, wie Pierre Boulez einst die Opernhäuser sprengen wollte. Diese Konzertflügel kehren nach der Pause zunächst als Asche für die wüste Insel, dann aber in verschiedenen Formationen zurück. Am Ende, wenn sich der standfest lostrompetende Christian-Andreas Engelhardt als Bacchus-Tenor und die mit Eleganz aufstrahlende Primadonna Sarah-Jane Brandon als Ariadne in einander und vor allem im hemmungslosen Aufstrahlen der musikalischen Apotheose verlieren, ist das wie ein Vulkanausbruch, der sie selbst und durchweg die komplette Zerbinetta-Truppe in den Bann zieht. Bacchus und Ariadne auf einem Instrumentenberg und ihnen zu Füßen das staunende Publikum auf der Bühne und im Saal.
Der pure Zauber der Musik
Wenn das so wie in Bremen seine pure Suggestivkraft entfaltet, dann liegt das natürlich nicht nur an den spielfreudigen und wandlungsfähigen Protagonisten und einer ambitionierten Regie, sondern auch (so platt das auch klingen mag) am puren Zauber der Musik, den in diesem Fall Stefan Klingele mit den Bremer Philharmonikern aufblühen lässt. Was am Ende auch das Publikum begeistert.
Theater Bremen
R. Strauss: Ariadne auf Naxos
Stefan Klingele (Leitung), Frank Hilbrich (Regie), Sebastian Hannak (Bühne), Gabriele Rupprecht (Kostüme), Christian Kemmetmüller (Licht), Frederike Krüger (Dramaturgie), Christoph Heinrich, Christian Bergmann, Elias Gyungseok Han, Nadine Lehner, Christian-Andreas Engelhardt, Luis Olivares Sandoval, Ian Spinetti, Jörg Sändig, Wolfgang von Borries, Nerita Pokvytytė, Sarah-Jane Brandon, Stephen Clark, Constanze Jader, Maria Martin Gonzalez, Bremer Philharmoniker