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Opern-Kritik: Theater Bremen – Lohengrin

Plötzlich wollen alle in den Krieg

(Bremen, 15.9.2024) In Bremen startet die Oper mit einer hochpolitischen „Lohengrin“-Inszenierung von Frank Hilbrich in die neue Spielzeit. Musikdirektor und Chefdirigent Stefan Klingele setzt aufs Dramatische.

vonJoachim Lange,

Der neue „Lohengrin“, den Frank Hilbrich jetzt am Theater Bremen zum Spielzeitauftakt inszeniert hat, ist eine Melange aus Psychologie und Politik. Er geht nicht nur der Frage nach, in welche Gesellschaft der Schwanenritter hineingerät und was man von ihm erwartet, sondern auch, woher er kommt. Wenn er denn kommt und nicht nur eine Wunschprojektion ist; eine, die sich Elsa herbeifantasiert, um aus der Klemme zu kommen, in die sie das Verschwinden ihres Bruders gebracht hat. Aber auch eine des Königs, der in einer entlegenen Provinz seines Reiches Truppen mobilisieren will, um nach einer Phase des Friedens gegen den Feind gen Osten zu ziehen.

Damit ist man mitten im zweiten Hauptstrang dieser Bremer Inszenierung. Sie zeigt ziemlich anschaulich, wie einfach es ist, mit einem Coup eine staatliche Ordnung auszuhebeln, Anklagen, Gesetze, Regeln im wahrsten Sinne des Wortes vom Tisch zu wischen und die Bilder der Herrscher und damit die eigene Vergangenheit zu entsorgen. Um schließlich vor einem Heilsbringer – auch ganz wörtlich – auf den Knien zu rutschen, wenn der das verlangt. Da bricht die Gewalt gegen die paar Bedenkenträger fast von selbst aus. Und flugs haben die vier Getreuen von Friedrich Telramund Schilder um den Hals, die sie als Verräter, Verwirrte oder Verirrte brandmarken. Die Tritte, wenn sie am Boden liegen, gibt es dann noch gratis obendrauf.

Szenenbild aus „Lohengrin“ am Theater Bremen
Szenenbild aus „Lohengrin“ am Theater Bremen

Kampf zwischen Lohengrin und Telramund ähnelt dem Sturm aufs Washingtoner Kapitol

Das Brabant, das Harald Thor dafür gebaut hat, ist ein leicht wandelbarer Einheitsraum. Ein altertümlicher Plenarsaal mit Galerie und gläserner Kuppel. Mit Schreibtisch und Akten. Der Kampf zwischen Lohengrin und Telramund hat mehr Ähnlichkeit mit dem Sturm aufs Kapitol in Washington, als mit einem Schwertkampf oder irgendeinem Hokuspokus beim Gottesgericht. Solche Möglichkeiten, Bilder der Gegenwart anzudocken, gibt es in dieser Inszenierung zuhauf. Meistens mit aufgeladenem, manchmal überschießendem Aktionismus – der von Karl Bernwitz einstudierte Chor hat hier nicht nur jede Menge zu singen, sondern auch zu spielen. Von den aufgeregten Parlamentariern bis hin zu den in eine Art kollektiven Wahnsinn mit finalem Selbstmord verfallenden Massen am Ende. Wenn der sichtlich nicht nur verzweifelte, sondern jetzt auch resignierte Lohengrin den Brabantern Gottfried als ihren neuen Führer (in Bremen traut man sich Texttreue und weicht nicht auf den Schützer aus) präsentiert hat, sind die längst zu Boden gegangen. Und auch als Elsa das Tuch wegzieht, unter dem ihr kleiner Bruder verborgen war, kommt nur noch der leblose Körper des Knaben zum Vorschein. Hier ist am Ende jede Hoffnung zu Bruch gegangen. Lohengrin war nicht der ersehnte Erlöser, seine kurze Herrschaft hat den Untergang beschleunigt. Offensichtlich waren auch die metaphorischen Spiegelbruchstücke, die in dieser Inszenierung eine Art Leitmotiv für die Sehnsucht nach dem Retter, respektive der Rettung von was auch immer sind, nur was sie tatsächlich sind: Bruchstücke und Trümmer von etwas, was man vielleicht Gral nennen könnte, was es aber nicht mehr gibt, vielleicht nie gab, sondern nur eine Illusion war. Und die man, wie sich am Ende herausstellt, auch als tödliche Waffen nutzen kann.

Szenenbild aus „Lohengrin“ am Theater Bremen
Szenenbild aus „Lohengrin“ am Theater Bremen

Lohengrin könnte ein Immigrant aus einer anderen Welt sein

So wird klar, warum dieser geradezu jugendliche Lohengrin hier als ein Held auftaucht, der selbst – wie ein Immigrant aus einer anderen Welt – nach etwas sucht. Vor allem anrührend sehnsuchtsvoll nach Elsas körperlicher Nähe. Und der sichtbar leidet, wenn Zweifel an ihm aufkommen. Dass er aus Glanz und Wonnen kommt, wie er Elsa gegenüber später behaupten wird, vermutet man jedenfalls zumindest in den ersten beiden Akten nicht. Es sind die Sehnsüchte, die Glaubens- und Liebesbereitschaft der Brabanter und Elsas und das Kalkül des Königs, die ihn leben bzw. aufleben lassen. Und es ist deren Sehnsucht nach klarer und ordnender Führung, die aus dem Traum und dem nie gesehenen Wunder alsbald einen totalitären Alptraum werden lassen. Es sind keine Masken, die für die Hochzeitsgesellschaft verordnet werden, sondern Knieschoner, auf denen man herumzurutschen hat. Ortruds Bemerkung, sie wolle Elsa nicht mehr kriechend nahen, wird beim Wort genommen. Im neu etablierten Regime unter dem Schwanenlogo werden verteilte Schwaneneier zu einem Symbol, das neben den lodernden Fackeln in die Höhe gehalten wird. Das ist an Deutlichkeit kaum zu überbieten, funktioniert aber. Allerdings funktioniert eben auch, wenn die Szene voll auf die suggestive Kraft der Musik vertraut und sie sichtbar macht.

Szenenbild aus „Lohengrin“ am Theater Bremen
Szenenbild aus „Lohengrin“ am Theater Bremen

Christopher Sokolowski gibt imponierendes Lohengrindebüt

In dieser Beziehung wird die Montsalvat-Erzählung Lohengrins zu einem Höhepunkt. Er beginnt sie sitzend im Hintergrund zwischen den gebannt lauschenden Massen, wird dann davon ergriffen und schreitet langsam nach vorn an die Rampe, wobei ihm die Massen wie in Trance folgen. Hier setzt der 32-jährige US-Amerikaner Christopher Sokolowski seinem imponierenden Lohengrindebüt vokal und mit darstellerischer Präsenz die Krone auf. Hier kommt man ihm nicht nur als differenziert gestaltetem Helden nah, sondern obendrein emotional auch ganz direkt dieser besonderen Figur Richard Wagners. Der wusste eben, wie man einem großen Abgang das musikalische Schmankerl bis zum Schluss vorbehält. Sokolowskis Lohengrin nimmt mit der baritonalen Einfärbung für sich ein, bewältigt die lyrischen Passagen und imponiert, wenn er seine Stimme metallisch klar aufstrahlen lässt. Sarah-Jane Brandon ist eine Elsa mit warm aufblühendem Sopran, der man ihre Verzweiflung vom Anfang ebenso abnimmt, wie ihre Zweifel und schließlich ihre Revolte gegen das absonderliche Frageverbot.

Ein Muster an wohlartikulierter Eloquenz und Diktion ist Elias Gyungseok Han als Friedrich Telramund. Zusammen mit der strategisch denkenden, emanzipiert kämpferischen Ortrud, die Nadine Lehner mit der nötigen vokalen Vehemenz beglaubigt, sind die beiden eigentlich die Vernünftigen in all dem plötzlich aufschäumenden Wunderglauben und der Kriegseuphorie. Hidenori Inoue als König Heinrich mit souveränem modernen Politikerhabitus und Michal Partyka als sein Heerrufer komplettieren das Protagonisten-Ensemble. Dass Hilbrich dem König eine stumme, aber stets agil präsente Königin (mit Namen Mathilde) an die Seite gestellt hat, mag die Paarbilanz des Personaltableaus aufbessern und stört nicht – es ginge aber wie bisher auch ohne.

Szenenbild aus „Lohengrin“ am Theater Bremen
Szenenbild aus „Lohengrin“ am Theater Bremen

Premierenjubel für eine Inszenierung mit Nach-Denkeffekt

Am Pult der Bremer Philharmoniker legt sich Musikdirektor und Chefdirigent Stefan Klingele vehement ins Zeug, setzt aufs Dramatische. Dass sich die Brabanter im ersten Aufzug immer die Ohren zuhalten, wenn die Bläser von der Galerie dem König oder seinem Heerrufer sekundieren, hat freilich nichts mit deren musikalischer Qualität zu tun, sondern verdeutlich die anfänglichen Ressentiments der Brabanter gegen das Kriegsgetöse. Das Premierenpublikum bejubelte eine packende Inszenierung mit erheblichem Nach-Denkeffekt auf hohem musikalischem Niveau.

Theater Bremen
Wagner: Lohengrin 

Stefan Klingele (Leitung), Frank Hilbrich (Regie), Harald Thor (Bühne), Tanja Hofmann (Kostüme), Karl Bernewitz (Chor), Christian Kemmetmüller (Licht), Frederike Krüger (Dramaturgie), Hidenori Inoue, Christopher Sokolowski, Sarah-Jane Brandon,  Elias Gyungseok Han, Nadine Lehner, Michał Partyka, Junkyu Kim, Yuheng Wei, Chaoyan Yang, Ill-Hoon Choung, Miku Kobayashi, Mei Matsumoto, Andrezza Reis, Mariam Murgulia, Opernchor des Theater Bremen, Extrachor des Theater Bremen, Orchester Bremer Philharmoniker






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