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Opern-Kritik: Theater Bremen – Otello

Otello Fashion Week

(Bremen, 13.4.2025) Am Theater Bremen wird aus „Otello“ eine schillernde Show toxischer Männlichkeit – musikalisch souverän und getragen von einem starken Chor und starken Hauptpartien.

vonPatrick Erb,

Speckiger Mantel mit Fellkragen in Weiß, schwarze Lederhose, dazu militärische Baskenmütze, Sonnenbrille und Bikerstiefel – es braucht nicht viele geschmackliche Entgleisungen, um überbordende Männlichkeit ostentativ zur Schau zu stellen. Schon gar nicht, wenn man sich dafür auf dem Laufsteg feiern lassen darf. Und ein solcher ist – angesichts zahlloser nach Schönheit gierender Blicke – geradezu prädestiniert für diesen Jahrmarkt männlicher Eitelkeiten. Doch am Theater Bremen geht es nicht um Mode – und wenn doch, dann höchstens im metaphorischen Sinne. Es geht um Männlichkeit, Testosteron, Geltungssucht und Verrat. Es geht um Otello.

Kluger Ansatz – nicht konsequent zu Ende gedacht

Hausregisseur Frank Hilbrich, der zuletzt mit seiner bittersüßen „Lohengrin“-Satire eindrücklich demonstrierte, wohin übersteigerte Verehrungsbereitschaft führen kann, widmet sich nun mit Verdis „Otello“ einem weiteren Werk, das vom spannungsgeladenen Verhältnis zwischen Volk und vermeintlichem Heilsbringer lebt. Hilbrich dekonstruiert das Setting und wendet den Blick weg vom historisierenden Zypern – hin zu einem Showroom mit zeitlos-kühlem Interieur. Ein Laufsteg ragt in Richtung Zuschauerraum. Venedig scheint somit zumindest als medienwirksamer Modestandort präsent zu sein.

Szenenbild aus „Otello“
Szenenbild aus „Otello“

Star des Abends: der Chor

Welche Rolle spielen aber die Choristen, die aus den ersten Reihen der aufgeblasenen Grandezza Otellos zujubeln? Sind es Modefans oder doch nur Bürger Venedigs? Hier besitzt das Regiekonzept zu wenig Stringenz und verliert zwischenzeitlich an Komplexität zugunsten einer konventionellen Erzählweise.

Klar ist allerdings: Der von Karl Bernewitz einstudierte, vom Publikum geliebte Chor überzeugt trotz der mehrdimensionalen Einflechtung ins Bühnenspiel durch Präzision und Präsenz. Unklar bleibt hingegen die Funktion der im Hintergrund agierenden Eltern Otellos sowie der zwei immer wieder auftauchenden Kinder. Sie deuten zwar auf eine mögliche Vergangenheit und/oder Zukunft des Titelhelden hin – doch eine schlüssige Auflösung bleibt aus.

Szenenbild aus „Otello“
Szenenbild aus „Otello“

Sängerdarstellerische Spezialisten

Für die Charaktere hingegen funktioniert die abstrakte Verlagerung ins entseelte Setting eines Seminarsaals deutlich besser. Der Konflikt zwischen Otello und Jago – sowie die durch Taschentücher evozierte Eifersucht, die in Desdemonas Femizid gipfelt – ist hier so artifiziell wie distanziert dargestellt. Und das erlaubt den Figuren, ihre postpubertären Probleme wie auch ihre fragile Männlichkeit genüsslich auszuleben.

Michał Partyka etwa spielt diese Karte mit Bravour aus. Seine Fähigkeit, performativ zu singen, kommt ihm ebenso zugute wie das grotesk-coole Outfit seines intriganten Jago – eine Rolle, die ihm auf den Leib geschneidert scheint. Der polnische Bariton zählt freilich zu den sängerdarstellerischen Größen des Bremer Theaters. Seine gesungenen wie gespielten Scharmützel mit Roderigo, Cassio oder Otello gelingen am Premierenabend hervorragend fluide.

Gerade im direkten Gegenüber mit Aldo di Toro, der in der Rolle des Otello am Haus gastiert, wird allerdings deutlich, wie sehr dessen voluminöser Tenor das Klangbild dominiert. Der Australier überzeugt mit einem farbenreichen Heldentenor zwischen Wehmut, Selbstverliebtheit, lyrischer Innigkeit und Differenzierungsvermögen.

Szenenbild aus „Otello“
Szenenbild aus „Otello“

Figurenentwicklung

Adèle Lorenzi gelingt in Vertretung für Sarah-Jane Brandon eine souveräne Desdemona. Sie wächst aus der weiblichen Nebenrolle heraus und entwickelt sich zur selbstbestimmten Figur inmitten einer Männerriege aus toxischer Überheblichkeit. Im berührenden und introvertierten Ave Maria, diesem die Zeit anhaltenden Ausnahmestück innerhalb von Verdis Werk, brilliert Lorenzi mit einer Ausdruckskraft, die an die unheilvolle Kälte einer Lady Macbeth erinnert und doch in sich noch Spuren von Herzlichkeit birgt. Unterstützt wird sie dabei von den hier besonders aufblühenden Bremer Philharmonikern unter der Leitung von Sasha Yankevich.

Ein Premierenabend also, den vor allem der Chor und die Darsteller für sich entscheiden. Die szenischen Schwächen in der Regieführung bleiben spürbar – doch der musikalische und sängerische Ausdruck schafft einen Ausgleich.

Theater Bremen
Verdi: Otello

Sasha Yankevych (Leitung), Frank Hilbrich (Regie), Sebastian Hannak (Bühne), Lara Duymus (Kostüme), Christian Kemmetmüller (Licht), Karl Bernewitz (Chor), Aldo di Toro, Adèle Lorenzi, Michał Partyka, Ian Spinetti, Nathalie Mittelbach, Fabian Düberg, Jasin Rammal-Rykała, Arvid Fagerfjäll, Bremer Philharmoniker






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