Man kann es auch übertreiben mit der Abrüstung. Wenn Wotan und seine kampfeslustigen Töchter ohne Waffen aufkreuzen, dann haben die immerhin noch die göttliche Herkunft auf ihrer Seite. Bei Wotan reicht ein wütendes „Geh!“ – und ein Mannsbild wie Hunding kippt aus den Latschen. Aber wenn die eigentlich von Wotan für seinen Sohn in Hundings Hausbaum (für den Notfall) deponierte Wunderwaffe per Dramaturgen-Fingerschnips verschwindet, dann hat Siegmund nicht nur keine Überlebens-Chance (hätte er auch mit Waffe nicht), sonders es fehlen auch die für den nächsten Teil unerlässlichen Schwert-Trümmer. Wenn Wotan ohne seinen Speer auf Wanderschaft geht, dann fehlt der Szene, in der er seinem Enkel Siegfried das einzige Mal begegnen wird, das Werkzeug ihrer Kommunikation.
Eine Enttäuschung in Sachen Personenregie
Sicher, man kann das Schwert als ein Hilfs-Versprechen Wotans nehmen, das er dann nicht hält oder halten kann. Aber weglassen kann man diese tragenden Symbole halt nur, wenn man die Geschichte nicht weitererzählen muss. Die niederländische Regisseurin Monique Wagemakers und ihr Team (Bühne: Claudia Weinhart, Kostüme: Erika Landertinger) schließen (nicht) an den „Rheingold“-Wurf von Verena Stoiber und Ausstatterin Sophia Schneider an. Auf Feinheiten kommt es hier nicht an. Was hier unter der monströsen Gewölbekonstruktion unter 13 Pfeilern passiert, ist vor allem in Sachen Personenregie eine Enttäuschung. Das Spiel mit dem Vorhangschleier, der sich immer wieder bedeutungsschwanger öffnet und schließt und zum Davor-, Dahinter- oder Hindurchsingen herhalten muss, ändert nichts an der zelebrierten Statik, Rampe und Gestenkonvention.
Der erste Aufzug, in dem das Wälsungenblut aufblühen soll, und der sich eigentlich wie von selbst spielt, leidet darunter besonders. Zumal er auch musikalisch kaum Profil gewinnt. Die Sturmmusik hebt bei Felix Bender noch verheißungsvoll an, doch dann verkühlen sich die Zwillinge nicht nur im übertragenen Sinne, weil sie sich in der riesigen Halle geradezu verlieren. Daran ändert auch der martialische Aufzug des Hausherrn Hunding (mit solider Wucht: Magnus Piontek) mit freier Brust unterm Pelz nichts. Felix Bender enthält ihnen die Beglaubigung der Leidenschaft im Graben weitgehend vor, bleibt zu kleinteilig und vorsichtig. Hinzu kommt, dass Zoltán Nyári als Siegmund und Christiane Kohl als Sieglinde ein Geschwisterpaar mit mäßiger (im Falle Sieglinde hausbackener) Ausstrahlung sind. Beide kalkulieren obendrein allzu spürbar mit ihren vokalen Mitteln.
Das Gewölbe liefert einen etwas glaubwürdigeren Rahmen für das Geschehen
Die vokale Showeinlage der Wälse-Rufe lässt sich der lyrisch hell timbrierte Ungar natürlich ebenso wenig entgehen, wie sie eine fulminante Steigerung bei ihrem Abschied von Brünnhilde. Im Finale des ersten Aufzugs versteht man schon, dass die beim anbrechenden Wonnemond auftauchenden Kinder-Double der Wotansprößlinge dem Kindheitstrauma dieses verlorenen Paares nachspüren sollen. Die Zweifel am Gelingen dieser szenischen Verdeutlichung mit den Videogesichtern im Hintergrund und den Kindern freilich, die weichen (anders als die Winterstürme) nicht! Dazu kommen Nebensächlichkeiten wie der betont abgewandte Blick Sieglindes, wenn sie von Siegmunds Adern Geäst singt. Kurzum: der erste Aufzug dieser „Walküre“ ist szenisch missglückt und musikalisch zu schaumgebremst.
Zum Glück ändern sich wenigstens das vokale und darstellerische Format und auch die musikalische Gangart nach der ersten Pause. Was zunächst am Charisma von Aris Argiris als höchst vitalem Wotan und der schon im „Rheingold“ bewährten Fricka von Monika Bohinec liegt. Vor allem aber an Dara Hobbs, die vom Scheitel bis zur Sohle, vom ersten Hjotoho bis zum langen Abschied von ihrem Vater, eine echte Brünnhilden-Entdeckung ist. Da kommt dann auch im Graben bei der Robert-Schumann-Philharmonie dramatische Leidenschaft auf – bei der Todesverkündigung auch das berührende Innehalten. Hier liefert das Gewölbe einen etwas glaubwürdigeren Rahmen für das Geschehen. Auch wenn es seltsam bleibt, mitzuerleben, wie ein unbewaffneter Siegmund von Hundings Schwert durchbohrt wird, und Wotan und Brünnhilde wie erstarrt zusehen.
Lediglich ein Vorhang-Wallen zum Schluss
Wenn der dritte Aufzug mit dem (von Bender maßvoll entfesselten) Hit der Oper beginnt, versammeln sich die Walküren mit ihren eher wie Busen- denn wie Brustpanzer angelegten Oberteilen und ihren transparenten Röcken über den Stiefelhosen wie zur Selbsthilfegruppe zum Gesprächskreis. Zum „Schwerter zu Vorhängen“ kommt hier noch ein „Speere zu Stühlen“. Erhebliche vokale Power und obendrein Wortverständlichkeit bieten die Damen aber allesamt auf. Dass es hier keinen Feuerzauber sondern nur ein Vorhang-Wallen zum Schluss gibt, überrascht keinen mehr.
Wotan begegnet auf seinem Weg in die Weite des Bühnenraums einem Jung-Siegfried und streicht ihm mit der Hand über den Kopf. Nimmt man die „Walküre“ als Ringteil für sich, ist das sogar logisch. Das Premierenpublikum ermutigte die Sänger und sein fabelhaftes Orchester und den Dirigenten gleichermaßen. Bender tritt auch im „Siegfried“ wieder an. Beim dann dritten Regieteam heißt es wieder: Alles auf Anfang.
Theater Chemnitz
Wagner: Die Walküre
Felix Bender (Leitung), Monique Wagemakers (Regie), Claudia Weinhart (Bühne), Erika Landertinger (Kostüme), Dara Hobbs, Christiane Kohl, Monika Bohinec, Zoltán Nyári, Aris Argiris, Magnus Piontek, Robert-Schumann-Philharmonie