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Opern-Kritik: Theater Chemnitz – Tristan und Isolde

Wagner-Eldorado Chemnitz

(Chemnitz, 23.10.2021) Triumphal: Elisabeth Stöppler führt kriminologisch zugespitzte Wagner-Regie, Annika Hallers kreiert beredte Schauräume, Gesine Völlms Kostüme liefern ganze Romankapitel an Details, GMD Guillermo Garciía Calvo holt Entfesselung aus klagenden, schmelzenden und vernichtenden Melodien.

vonRoland H. Dippel,

Wieder ein Wagner-Triumph in der Kulturhauptstadt 2025! Elisabeth Stöppler hatte für ihre fulminante  Inszenierung der „Götterdämmerung“ 2019 am Opernhaus des Theater Chemnitz den Theaterpreis DER FAUST erhalten. Auf gleicher Erfolgshöhe erobern sich Stéphanie Müther und Daniel Kirch in der Stadt der Moderne eine hochdramatische Partie nach der anderen. Generalmusikdirektor Guillermo García Calvo ist am Pult der phänomenalen Robert-Schumann-Philharmonie ein Meister der suggestiven, transparenten und dramatisch durchpulsten Klangrede. Auch diesmal überrascht Stöppler mit ganz anderen Einsichten als herkömmliche Imaginationen über das vermeintliche Liebespaar.Todessehnsucht ist nicht poetisch, sondern grausam. Das ändert nichts an der Rauschwirkung von Wagners 1865 in München uraufgeführter Handlung in drei Aufzügen. Ovationen.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“

Zugespitzte Folge von Erkenntnissen über Eros und Thanatos

Schon das Ende des ersten Aufzugs gerät faszinierend: Immer heftiger und quälender wird Isoldes Sicht auf die Begleitumstände, warum sie die Verheiratung mit Marke als demütigend empfinden muss. Bis Tristans undurchdringlicher Psycho-Panzer sich in einem Tränensee löst. Trotzdem reden beide ständig aneinander vorbei: Isolde ist wild entschlossen zum Seitensprung aus der Ehe mit dem schwulen Marke. Aber für Tristan bedeutet Vereinigung im Idealfall Doppelselbstmord. Zur hernieder sinkenden Nacht der Liebe packt er den sorgfältig in ein Taschentuch gehüllten Revolver aus. Seine Beziehung zur Waffe ist erotischer als die zu Isolde. Er fügt sich selbst den Schulterschuss zu, der fast verheilt und deshalb nicht Todesursache sein kann. Isolde singt den Liebestod für Marke quasi mit – ihr und sein erschütterndes Schluchzen breitet sich über Wagners seraphische Schlussakkorde. So liefert die Chemnitzer Aufführung eine ebenso unliebsame wie massive Auslotung Wagners, bei der das Orchester immer dicht dran bleibt an den physisch-psychotischen Prankenschlägen. Bei Stöppler und García Calvo stimmen alle Proportionen. Nichts wirkt aufgesetzt, übertrieben oder fehlinterpretiert – der lange Abend wird zur kriminologisch zugespitzten Folge von Erkenntnissen über Eros und Thanatos.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“

Nichts ist mild und leise

Annika Hallers Schauräume sind beredt: Ein U-Boot, bei dem Isoldes Koje fast immer offen steht und die Wachmannschaft zu viel vom Seelenkrimi der „irischen Maid“ mitbekommt. Im zweiten Akt ein Salon mit cremefarbenen Vorhanglasten, die Tristan und Isolde bei ihrer Liebesszene aufreißen. Tristans Heimatort: Ein Jungenzimmer mit Gammelmatratze und Rambo-Postern – für den emotional geschädigten Tristan kam nie etwas anderes als eine Militärkarriere in Frage. Gesine Völlms Kostüme liefern ganze Romankapitel an Details. Kurwenal und Brangäne haben Signalorange an sich, und Marke trägt am Ende Tristans Schal.

Die Dosierung des Liebestranks für zwei passt in einen Eierbecher. Im Mittelakt schärft Alkohol die Sinneswahrnehmung und illusionäre Einbildungskraft. Tristan und Isolde wirbeln durch die Fauteuil-Landschaft der Marke-Villa. Insgesamt vier Umarmungen gibt es: Drei zwischen Tristan und Isolde, nach denen das Paar immer heftigst auseinander stiebt, und einen gewaltsamen Kuss Markes an Tristan, der seine Lippen sofort mit Likör spült. Viele Härten zeigt die Chemnitzer Neuproduktion, nichts ist mild und leise.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“

Selbstzerstörungswerk

Aber Stöpplers Sicht bleibt immer synchron mit dem unwiderstehlichen Sehnsuchtssog der Musik. Das einzige, was fehlt, ist hier Brünnhildes Klage aus „Götterdämmerung“: „Dich verriet er, und mich verrietet ihr Alle!“ Das gilt in Chemnitz ebenso für Isolde. Tristan verstrickt sich in Verrat an Marke und Isolde. Kein Fall für Moraltribunale, sondern Blessuren an der Schwelle zum Unsagbaren. Dabei ist Tristan als Soldatenraubtier nicht einmal unsympathisch. Randfiguren der Katastrophe sind immer nur so präsent und vor allem sängerisch plastisch wie nötig. Jacob Scharfman beim Zweiminuten-Gemetzel als Steuermann, Martin Petzold als Hirt und Tillvon Orlowsky als unsichtbare Eifersuchtsfäden spinnender Melot. Packend Oddur Jonsson als Kurwenal mit steifem Bein. Hier wird Tristans Begleiter endlich nicht die sängerische Legitimation zur vokalen Grobheit, sondern ein ebenso fein gestaltetes Figurenporträt wie Sophia Maenos Brangäne: Diese tritt mit einer erstklassigen Gesangs- und Bühnenleistung aus dem Schatten von Isolde, entwickelt ein eigenes Drama aus misslungener Fürsorge und Scheitern. Selten hört man den Wachgesang mit so dramatischer Sinnhaftigkeit. Isolde und Tristan sperren alle aus, die sich ihrem krampfhaften und ständig misslingendem Liebesdelirium in den Weg stellen. Ein in seinem Gefühlshaushalt integrer Marke wie Alexander Kiechle kann gegen dieses Selbstzerstörungswerk nichts ausrichten.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“

Die Robert-Schumann-Philharmonie singt unter Guillermos García Calvos denkwürdiger Gestaltung schon den Tristan-Akkord am Beginn. Selten hört man so genau, was Wagner das Blech und die tiefen Streicher machen lässt. Die vielen Tremoli liefern ungesättigte Pastellfarben, die Spannung lässt keine Sekunde nach. Entfesselung holt García Calvo aus Melodien – klagenden, schmelzenden und vernichtenden.

Glaubhafte Gegenwartsrelevanz

Stéphanie Müther hat die physisch und stimmliche Statur einer Wagner-Heroine aus alten Zeiten, aber weitaus mehr psychische und szenische Beweglichkeit. Neben Trompetentönen agiert sie zutiefst anrührend in den vielen Momenten, wo Empathie wichtiger wird als Kondition. Ebenbürtig dazu ist der in Liebesdingen immer etwas jungenhafte Tristan von Daniel Kirch. Fragilität und Kondition sind auch bei ihm gleichermaßen stark ausgeprägt. Die drastischen Widerstände zwischen Isolde und Tristan sieht und hört man. Stöppler und García Calvo waren sich bereits bei „Götterdämmerung“ einig, wie sie aus Wagners fragwürdigen Geschlechteridealen emotional glaubhafte Gegenwartsrelevanz gewinnen. Das gelang ihnen und dem Ensemble bewegend, gerade weil die Liebe Tristans und Isoldes in Chemnitz keine Erlösung bringt. Dabei ist die von Stöppler sensibel diagnostizierte Daseinshölle für Männer noch größer als für Frauen.

Theater Chemnitz
Wagner: Tristan und Isolde

Guillermo García Calvo (Leitung), Elisabeth Stöppler (Regie), Annika Haller (Bühne), Gesine Völlm (Kostüme), Stefan Bilz (Chor), Daniel Kirch, Alexander Kiechle, Stéphanie Müther, Oddur Jonsson, Till von Orlowsky, Sophia Maeno, Martin Petzold, Jacob Scharfman, Thomas Kiechle, Chor der Oper Chemnitz, Robert-Schumann-Philharmonie

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