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Opern-Kritik: Theater Dortmund – Don Giovanni

Von Elviras Register, Zerlinas Kondomen und Annas Nachwuchs

(Dortmund, 18.1.2025) Mozart und sein Meisterwerk halten auch das locker aus: Regisseurin Ilaria Lanzino verheddert sich in ihrer ambitionierten wie feministischen „Don Giovanni“-Interpretation.

vonRoberto Becker,

Das Ende der „Oper der Opern“ findet bei Regisseurin Ilaria Lanzino am Theater Dortmund nicht statt. Weder musikalisch, noch szenisch. Gegen Ende des ersten Aktes formieren sie sich alle einmal in der Konstellation, wie sie gewöhnlich am imaginären Höllenschlund stehen, in dem Don Giovanni verschwunden ist, um über ihr weiteres Leben ohne ihn nachzudenken. Diesmal endet die Musik abrupt, ohne das ja keineswegs „glückliche“ lieto fine. Spätestens wenn Dirigent George Petrou mit der Partitur unterm Arm den Graben mit den eher geschmeidig als pointiert aufspielenden Dortmunder Philharmonikern verlässt, ist klar, dass das ernst gemeint ist. Es ist keine Generalpause vor der hintersinnig vor sich hin gedachten und musikalisch nochmal auftrumpfenden Schlusspointe der Oper. Ein solche Variante ist zwar nicht neu, aber irritierend bleibt sie doch. Nicht nur für Mozart-Puristen.

Alle Figuren tragen ihre komplizierte Lebens- und Liebesgeschichte mit sich herum

Dabei hätte sich hier die Klammer zur inszenierten Ouvertüre ganz gut schließen lassen. Da wurde nämlich das ganze Personal im Schnelldurchlauf in einer jeweils spezifischen Lebenssituation gleichsam vorgestellt. Eine hochschwangere Donna Anna etwa, die vom Vater und einem potenziellen Bräutigam offensichtlich in eine Ehe gezerrt werden soll, von der sie jetzt schon genug hat. Oder das junge Brautpaar, bei dem man sich gut vorstellen kann, wie sich da aus Eifersucht, Leidenschaft und Beziehungsmachtkämpfen eine „normale“ Beziehung zusammenbrauen dürfte. Und dann eine Frau, die sich für jünger und attraktiver hält, als sie wohl sein soll. Wer vorn sitzt, erkennt die (vergebliche) Mühe der Maske (Kostüme: Emine Güner) um ein altes Gesicht. Wer weiter hin sitzt, kann nur raten, was an dieser attraktiven Erscheinung so abstoßend sein soll, dass keiner aus der Kollektion aller Typen von Mann auf ihre offensiven Avancen abfährt. Für den Schluss nach der (bildlich gesprochen) geschlossenen Klammer hinter Don Giovannis letztem Tag wäre man schon gespannt gewesen, wie die Regie mit Elviras Ankündigung bei Da Ponte und Mozart umgegangen wäre, in ein Kloster zu gehen.

Braucht es zu alle dem wirklich den ewigen Verführer Don Giovanni?

Andererseits ist ihr weiterer Lebensweg auch so klar. Hier sind ihre wilden Jahre vorbei, und sie wird an der Seite von Leporello vielleicht in derselben spießigen Vorstadt-Idylle enden wie Zerlina und Masetto, bei denen das ja immer die wahrscheinlichste Variante ist. Anna wird sich vielleicht bald entscheiden, nicht die alleinerziehende Mutter ihres in der Pause zur Welt gekommenen Kindes zu bleiben, sondern – sicher ist sicher – doch Ottavio zu heiraten. Und dann machen sie im Sommer vielleicht auch mal alle zusammen ein Straßenfest, schreiben „Viva la libertà“ darüber und torkeln mit ihrer Bierflasche in der Hand vielleicht sogar in den einen oder anderen Seitensprung. Das Problem wird sein, dass in der Welt dieser Oper nicht mehr der skrupellose Verführer „Schuld“ an dem ist, was dabei an Durcheinander und Verletzungen damit verbunden ist, sondern sie selbst. Was Lanzino in ihrer Inszenierung versucht, ist eine der etwas wohlfeilen betont feministischen Perspektiven, die sich gleichwohl in ihrer eigenen Ambition verheddert.

Szenenbild aus „Don Giovanni“
Szenenbild aus „Don Giovanni“

Don Giovanni ist unter all den Verklemmten und Spießern im Umfeld unserer Gegenwart der langhaarige smarte Verführer aus einer anderen Welt

Im Falle von „Don Giovanni“ ist das Produktive daran die Interpretation des skrupellosen Verführers als eine Projektion der sexuellen Freiheit mit seinem „Viva la Libertà“. Was er sich einfach nimmt, ist allen anderen mehr oder weniger verwehrt, wo Standes- (oder heute soziale) Schranken, moralische Leitbilder (etwa monogamer Beziehungen) oder schlicht die männliche Dominanz im Patriarchat dem Begehren des Einzelnen Grenzen setzten. Don Giovanni ist denn auch unter all den Verklemmten und Spießern im Umfeld unserer Gegenwart der langhaarige smarte Verführer aus einer anderen Zeit oder Welt (so eine Art Posterboy a la Brad Pitt oder Georges Clooney aus dem 18. Jahrhundert). Auf die Bühne hat Frank Philipp Schlößmann einen Rahmen mit Vorhang gesetzt. Dahinter rumpeln dann ein bürgerliches Donna-Anna-Wohnzimmer, ein Elvira-Badezimmer oder das Hochzeitsschlafzimmer von Masetto und Zerlina herein oder heraus. Don Giovanni hat den leeren Raum unter mehr als zwei Dutzend kalter Neonleuchten für sich.

Szenische Übertreibungen und Aufgesetztheiten

Denis Velev bietet für diese Rolle nicht nur die vokale (Verführungs-)Kraft, sondern auch das entsprechende darstellerische Charisma. Schade, dass er nicht allzu oft über eine einladend elegante Hoppla-jetzt-komm-ich-Geste mit ausgebreiteten Armen hinausgehen darf. Freilich bleibt er, was er ist. Auch Daegyun Jeong und Sooyeon Leeverlassen als temperamentvoll eifersüchtiger Masetto und lebenslustig kesse Zerlina letztlich den Rahmen ihrer Rollen nicht. So wie Sungho Kim keine Chance hat, dem Weichei-Image Don Ottavios zu entkommen.

Bei Donna Anna freilich schlägt die Ambition zu: Die Hochschwangere im ersten und junge Mutter im zweiten Akt spielt Anna Sohn nicht nur überzeugend, sondern sie stattet sie auch mit einem wunderbar leuchtenden Verzweiflungs-Ton ohne Überdruck aus. Die Beinahevergewaltigung auf dem Wohnzimmertisch, wenn nebenan bei halbgeöffneter Tür der Vater und Bräutigam vermutlich am Ehevertrag feilen, bleibt gleichwohl eine von den Übertreibungen und Aufgesetztheiten, derer es nicht bedurft hätte. In diese Kategorie gehört auch, aus der Reich-mir-die-Hand-mein-Leben-Begegnung Don Giovannis mit Zerlina eine Mit-oder-ohne-Kondom-Nummer zu machen.

Szenenbild aus „Don Giovanni“
Szenenbild aus „Don Giovanni“

Elvira und Leporello sind ein Paar

Neben dem Ersatz subtiler Anspielungen durch überdeutliche Aktionen, macht die Regie aus Elvira (Tanja Christine Kuhnkommt dabei vokal ohne dramatischen Furor aus, ist dafür aber fast schon akrobatisch gefordert) und Leporello (standfest und immer bei sich: Morgan Moody) ein Paar. Nicht nur, dass sie beide ein Register führen. Sie allerdings als Protokollantin eigener Aktivitäten. Elvira erkennt Leporello in der Dunkelheit auch unterm Don-Giovanni-Umhang, scheuert ihm eine und greift dann trotzdem zu. Ab da sind die beiden ein Paar. Was man ihnen, denen in der Regel übel mitgespielt wird, ja durchaus gönnt. Aber kann das mehr sein als eine emotionale Schadensbegrenzung bei der vorgeführten Frauenpower?

Wenn zum Abendessen mit dem Komtur (mit natürlicher Würde: Artyom Wasnetsov) alle Männer bei Don Giovanni antanzen bzw. auf die abstrakte Spielfläche unter kalten Neonröhren torkeln, könnte man meinen, dass das bedrohlich im Hintergrund aufmarschierte Trio aus Anna, Elvira und Zerlina am liebsten alle Männer entsorgen würde. Da wird das zarte Zusammenrücken von Elvira und Leporello zu einem kleinen Licht der Hoffnung, dass es nach der Rückabwicklung von Don Giovannis Libertà vielleicht doch noch eine Hoffnung gibt. Wenn auch nur für die „kleine“ Lösung.

Am Ende bleibt nicht nur die Frage offen, ob ein solcher Eingriff ins Figurentableau wirklich mehr ist als die Ambition, originell zu sein. Dem Publikum gefiel es. Mozart und sein Meisterwerk halten auch das locker aus.

Theater Dortmund
Mozart: Don Giovanni

George Petrou (Leitung), Ilaria Lanzino (Regie), Frank Philipp Schlößmann (Bühne), Emine Güner (Kostüme), Kevin Schröter (Licht), Fabio Mancini (Chor), Nikita Dubov (Dramaturgie), Denis Velev, Artyom Wasnetsov, Anna Sohn, Sungho Kim, Tanja Christine Kuhn, Ks. Morgan Moody, Daegyun Jeong, Sooyeon Lee, Opernchor Theater Dortmund, Statisterie Theater Dortmund, Dortmunder Philharmoniker






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