Ach ja die Tenöre! Wenn denen ein verführerischer Mezzo in die Quere kommt, dann wird es gefährlich. Bizet lieferte mit Carmen und Don Jose ein Paradebeispiel dafür, wie Leidenschaft Leben gegen die Wand fahren kann. Bei Bizet endete es für die Frau tödlich. Vielleicht liegt es ja daran, dass die französische Komponistin Augusta Holmès (1847-1903) mit der Erfahrung ihres eigenen, ziemlich beeindruckenden Kampfes um ein selbstbestimmtes Leben in einem abgrundtief patriarchalisch geprägten Jahrhundert in dem von ihr selbst zu ihrer Oper „La Montagne Noire“ (Der schwarze Berg) verfassten Libretto die Frau im Zentrum der Geschichte überleben lässt. Überhaupt könnte ihre ganze Oper genauso gut Yamina – also wie die Mezzo-Heldin – heißen.
Deutsche Erstaufführung (und überhaupt erste Wiederaufführung) der 1895 aus der Taufe gehobenen Oper
Aber dann wäre es ihr womöglich nicht gelungen, sie nach zähem Ringen im Pariser Palais Garnier 1895 uraufführen zu lassen, wo sie es auf 13 Aufführungen brachte. Das ist zwar kein Vergleich mit den Aufführungszahlen der französischen Grand-opera-Blockbuster, aber immerhin. Die Konzession an die Opernleitung, den Schluss der Geschichte zu streichen, konnte sie wohl für diesen, wenn auch mäßigen, Erfolg schon verantworten. Durch die Kooperation mit dem Centre de musique romantique française Palazzetto Bru Zane und dessen herausgegebener und zur Verfügung gesellter Notenedition kam die Oper Dortmund jetzt zu dem Privileg, diesen Schluss bei der deutschen Erstaufführung (und überhaupt ersten Wiederaufführung) der Oper das erste Mal erklingen zu lassen. Was mehr als eine Petitesse ist, denn sie verleiht der großformatig in Töne gesetzten Melange aus Liebes- und Heldengeschichte eine Pointe, die durchaus anschlussfähig an die Diskurse der Gegenwart ist. Da werden nämlich die beiden Krieger Mirko und Aslan, die am Ende tot auf der Strecke bleiben, kurzerhand zu Nationalhelden erklärt. Dass sie aus viel persönlicheren Gründen ihr Leben lassen mussten, wird ignoriert, denn der Helden-Mythos ist nützlicher!
Die schöne Fremde
Überhaupt sind es in der Konstellation, die Holmès im Montenegro des 17. Jahrhunderts verortet, weder die Kriegs-Parteien, noch die einzelnen Figuren, die rückhaltlose Sympathie auf sich ziehen. Selbst wenn man mit dem vom osmanischen Reich bedrohten Montenegro (und mit dessen Kriegern Mirko und Aslan) sympathisiert, ist der Hass und die Verachtung, mit der die in ihre Hände geratene türkische Gefangene Yamina von den Siegern behandelt wird, abstoßend. Nur weil sich Kriegsheld Mirko in die schöne Fremde verliebt, „darf“ sie als Sklavin seiner Mutter Dara am Leben bleiben und sich von ihr schikanieren lassen.
Die Biografie der erstaunlich selbstbewussten Komponistin schwingt mit
Aber auch Yamina weiß, wie man durch Manipulation überlebt und sich einen Fluchtweg organisiert. Ob sie Mirko wirklich so liebt wie er sie, ist nicht so ganz klar. Jedenfalls schafft sie es, mit ihm zu fliehen und so zu überleben. Wenn sie mit einem hinreißend verführerischen, melodisch witzigem Auftritt sogar die Frauen des Dorfes, die sie stets verachtet haben, dazu bringt, für Momente ihre „freiwillige“ traditionelle Unterwerfung und die Herrschaft ihrer Männer zu vergessen und mit ihr zu tanzen, dann hat das sicher etwas mit der Biografie dieser erstaunlich selbstbewussten Komponistin zu tun. Die in Paris geborene, begabte Tochter irisch-schottischer Eltern war zeitlebens nie verheiratet, gleichwohl Mutter von fünf Kindern mit dem (verheirateten) Schriftsteller Catulle Mendès. Das man ihr zur Weltausstellung 1889, also zum 100. Jahrestag der Revolution, die Komposition einer „Ode triomphale“ antrug, für die nicht weniger als 1200 Mitwirkende aufgeboten werden mussten, spricht nicht nur für das Talent, sondern auch für die Durchsetzungskraft dieser Frau!
Folkloristische Optik: Chronistenpflicht geht über Deutungsehrgeiz
In dem Vierakter, der musikalisch durchweg in Atem hält, ist es die Charakterschwäche Mirkos, der den Fluss der Handlung bestimmt. Mal Held, mal Liebhaber, dann wieder Blutsbruder, am Ende doch der resignierte Liebhaber und das Opfer eines Brudermordes, wegen der Ehre. Emily Hehl (Regie), Frank Philipp Schlößmann (Bühne) und Emma Gaudiano (Kostüme) erzählen die Geschichte in einer gefälligen, fast folkloristischen Optik, stellen Chronistenpflicht über Deutungsehrgeiz. Die Kostüme sind bunt, die Personenführung konventionell. Wenn von Blutsbrüderschaft die Rede ist, dann hat der Priester reichlich Blut parat, wenn die Montenegriner siegreich heimkehren, dann bringen sie die (Gebets-?)Teppiche der Türken als Beute mit. Wenn vom Paradies die Rede ist, gibts für jeden einen Apfel zum Reinbeißen. Die Hinzufügung der Gusla-Spielerin Bojan Pekovic bringt zwar einen Hauch Balkanfolklore in die französische Oper, aber nicht wirklich einen eigenständigen Deutungsstrang.
Sinnlicher, farbenreicher und bläsergespickter Klangstrom
So bleiben die Musik und ihre Interpreten im Zentrum des Abends, der trotz der dreieinhalb Stunden Bruttolänge nie langweilig wird. Vor allem, weil Motonori Kobayashi den Dortmunder Philharmonikern im Graben einen sinnlichen, dramatisch packenden, farbenreichen und bläsergespickten Klangstrom entlockt, der keinen Spannungsabfall zulässt. Weil der von Fabio Mancini einstudierte, erweiterte Opernchor seiner Hauptrolle voll gerecht wird. Vor allem aber, weil ein fabelhaftes Protagonisten-Ensemble sich voll in den Dienst dieser Entdeckung stellt. Allen voran imponiert Aude Extrémo als Yamina mit ihrem satten, dramatisch auftrumpfenden Mezzo und ihrem darstellerischen Charisma. Aber auch Sergey Radchenko als zwischen Pflicht und Neigung schwankender Mirko und Mandla Mndebele als sein gradliniger, aber auch zu Mirkos Gunsten lügender Blutsbruder Aslan schlagen sich fabelhaft. Denis Velev ist der Priester und Alisa Kolosova die vehement aufdrehende herrschsüchtige Dara. Anna Sohn hat als zarte Mirko-Verlobte Héléna das Mitgefühl mit der ohne Schuld sitzen gelassenen Braut auf ihrer Seite. Auch alle kleineren Rollen sind adäquat besetzt. So ist insgesamt aus Dortmund die Begegnung mit einer musikalisch durchweg überzeugenden Entdeckung zu vermelden, der die Regie nicht in die Quere kam.
Der Jubel des Premierenpublikums war entsprechend einhellig.
Theater Dortmund
Holmès: La Montagne Noire (Der schwarze Berg)
Motonori Kobayashi (Leitung), Emily Hehl (Regie), Frank Philipp Schlößmann (Bühne), Emma Gaudiano (Kostüme), Adriana Naldoni (Choreografie), Florian Franzen(Licht), Fabio Mancini (Choreinstudierung), Daniel Andrés Eberhard (Dramaturgie), Sergey Radchenko, Mandla Mndebele, Denis Velev, Aude Extrémo, Anna Sohn, Alisa Kolosova, Ian Sidden, Min Lee, Yoonkwang Immanuel Kang, Bojana Peković, Opernchor Theater Dortmund und Projekt-Extrachor, Statisterie Theater Dortmund, Dortmunder Philharmoniker