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Opern-Kritik: Theater Dortmund – Orpheus in der Unterwelt

Die Götter feiern Karneval

(Dortmund, 11.11.2023) Regisseur Nikolaus Habjan setzt jene von Esprit und Mutwillen überbordende Vitalität frei, deren die Offenbachiade unbedingt bedarf. Kapellmeister Motonori Kobayashi und die Dortmunder Philharmoniker lassen sich aus dem Swimmingpool-Orchestergraben im Höllentempo vernehmen.

vonMichael Kaminski,

An Stelle der Schäferidylle lockt Gott Pluto die vom Gatten ennuyierte Eurydike ins Wellnessparadies. Statt einer blökenden Herde folgt ihm eine immerfort Selbstoptimierung betreibende Gymnastiktruppe. Wahrlich ein Anblick für die Götter. Unwiderstehlich mindestens dann, wenn daheim einzig der auf seiner Violine herumkratzende und auch sonst einigermaßen talentfreie Gatte wartet. Regisseur Nikolaus Habjan entfernt sich durch solche Aktualisierungen keinen Zentimeter weit vom Stück.

Im Gegenteil, Habjan setzt jene von Esprit und Mutwillen überbordende Vitalität frei, deren die Offenbachiade unbedingt bedarf und dennoch oft auf der Strecke bleibt. In Dortmund aber springt der Funke sofort über. Teils wörtlich verstanden, indem Die Öffentliche Meinung aus ihrem multifunktionalen Regenschirm den unwilligen Geigenlehrer zur Beschwerde bei Chefolympier Jupiter befeuert und eben dieser Blitze zucken lässt. Liebreizende Göttinnen und selbst Die Öffentliche Meinung nehmen das Publikum unter Beschuss mit Papierschnipseln. Mag sein, früher war mehr Konfetti, immerhin aber ist die Menge zureichend. Weil Premierendatum und Eröffnung der Karnevalssession auf einen Tag fallen, bereitet es Mühe, Wippen, Winken und Polonaise der Götter auf wolkigen Höh‘n nicht als splendide närrische Gala-Prunksitzung mit dem Elferratspräsidenten Jupiter zu begreifen.

Szenenbild aus „Orpheus in der Unterwelt“ am Theater Dortmund
Szenenbild aus „Orpheus in der Unterwelt“ am Theater Dortmund

Comic-Offenbachiade

Neben den skurrilen Ensemble- und Massenszenen wartet Habjan immer wieder mit Kabinettstückchen auf. Kaum hat eine Pappschlange wie aus der Bastelstunde Eurydike das tödliche Gift injiziert, wechselt die Stimmung schlagartig ins Infernalische. Höllengeister entführen die Hingeraffte in einer gespenstischen pompe funèbre zum Hades. Dortselbst kostet die Spielleitung weidlich aus, welche Plage ein sich auf seinem Posten überqualifiziert dünkender Mitarbeiter wie Hans Styx für dessen Vorgesetzten bedeutet, selbst wenn dieser der unterweltliche Gott in Person ist. Bei Bühnenbildnerin Heike Vollmer mutieren Wellnesstempel samt in einen Swimmingpool verwandeltem Orchestergraben, sowie Olymp und nicht zuletzt Hölle zu grafisch und farblich auf das Format der beträchtlichen Dortmunder Bühne vergrößerten Cartoons. Die Comic-Offenbachiade funktioniert famos, weil Denise Heschl der Personnage Gewandungen verpasst, die oft die zeichnerischen Qualitäten des Bühnenbildes aufnehmen. Die Uniform der Öffentlichen Meinung wird so zum Hingucker.

Szenenbild aus „Orpheus in der Unterwelt“ am Theater Dortmund
Szenenbild aus „Orpheus in der Unterwelt“ am Theater Dortmund

Musikalische Verve

Der szenischen Schwerelosigkeit entspricht der musikalische Esprit. Unter Fabio Mancini schlummert der Dortmunder Opernchor vollendet klangschön in schwerelosen Göttinnen- und Götterträumen und verlustiert sich andererseits ebenso leichtlebig wie präzise in der Unterwelt. Motonori Kobayashi und die Dortmunder Philharmoniker lassen sich aus dem Swimmingpool-Orchestergraben im Höllentempo vernehmen. Das geht ins Blut. Zuweilen übereilen Kapellmeister und Klangkörper sich selbst, aber so etwas wird sich im Verlauf der Aufführungsserie geben.

Rinnat Moriah ist eine vokal und spielerisch bezwingende Eurydike. Stupend und immerfort ihre Figur auf die Schippe nehmend, formieren sich Moriahs Koloraturen zu Ketten reihenweise zündenden Pointen. Keine Frage, diese Eurydike setzt Maßstäbe. Für Orpheus verfügt Zachary Wilson über baritonale Eleganz und beinahe zuviel Ausstrahlung. Morgan Moody gibt einen Jupiter, bei dem stimmliche Flexibilität und charakterliche Wendigkeit korrespondieren. Ausgesprochene Buffoqualitäten zeichnen Fritz Steinbacher aus, selbst Höllenfürst Pluto ist eben eine Lachnummer. In Nosferatu-Anmutung trauert Steffen Schortie Scheumanns Hans Styx dem Erdendasein nach. Maria Hiefinger verkörpert vokal autoritär Die Öffentliche Meinung. Allerliebst und vielversprechend Soyoon Lees Cupido. Lee ist Mitglied des Opernstudios. Auch alle weiteren Solistinnen und Solisten schließen sich zur runden Ensembleleistung zusammen.

Theater Dortmund
Offenbach: Orpheus in der Unterwelt

Motonori Kobayashi (Leitung), Nikolaus Habjan (Regie), Heike Vollmer (Bühne), Denise Heschl (Kostüme), Adriana Naldoni (Choreografie), Florian Franzen (Licht), Fabio Mancini (Chor), Zachary Wilson, Rinnat Moriah, Maria Hiefinger, Fritz Steinbacher, Steffen Schortie Scheumann, Morgan Moody, Christine Groeneveld, Hyejun Melania Kwon, Ruth Katharina Peeck, Subin Park, Min Lee, Soyoon Lee, Marlou Düster, Elisa Fuganti Pedoni, Nathalie Gehrmann, Helena Sturm, Iván Keim, Lorenzo Malisan, Evaldo Melo, Christian Meusel, Eva Kwasny, Nemanja Belej, Opernchor Theater Dortmund, Dortmunder Philharmoniker

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