Das Besondere an der Ring-Schmiede der Oper Dortmund besteht nicht nur darin, dass Regiealtmeister Peter Konwitschny hier (bildlich gesprochen) den Hammer schwingt, sondern vor allem, dass die Premiere jedes fertig gestellten Teils des Wagner-Monstrums in einen „Kosmos Wagner“ eingebettet wird. Das ist ein seit 2020 um den Wagner-Geburtstag im Mai herum etabliertes Festivalformat, das mittlerweile die laufende Nummer Vier erreicht hat. In diesem Jahr unter dem Motto „Liebe.Macht.Götter“.
Angesagte Werke aus Wagners Zeit erweitern den Blick auf die jährliche Neuinszenierung
Mit Blick auf den „Ring“ begann das Haus damit das Angebot für Auge, Ohr und Diskussion ausgehend vom deutschen Überkomponisten auf all das zu weiten, was zu dessen Zeit noch so en vouge war. Man kombiniert die jährliche Neuinszenierung einer Wagner-Oper mit Werken von Vorläufern, Zeitgenossen, Antipoden oder Nachfolgern, die einst bedeutsam waren, heute jedoch, in Zeiten eines immer schmaleren Repertoire-Kanons, einigen Ausgrabungsehrgeiz brauchen, um wieder auf die Bühne zu kommen. Auf diese Weise bietet Dortmund im Laufe der Zeit eine Begegnung mit Werken von Spontini, Auber, Halévy oder Saint-Saëns. Alles aufgewertet mit wissenschaftlichem Symposiumsehrgeiz. In diesem Jahr bedeutet das eine Wiederaufnahme von „Lohengrin“ und von Halévys „La Juive“.
„Götterdämmerung“ 2024 als Test auf Gültigkeit
Nach den einschlägigen Planungs-Querschüssen der Pandemie und dem Ring-Start mit der „Walküre“ im Vorjahr folgte nun „Siegfried“. Im kommenden Jahr wird Konwitschny den „Rheingold“-Vorabend nachliefern und dann zum Abschluss seine „Götterdämmerung“ für Dortmund neu einstudieren, mit der er vor über 20 Jahren den legendären Stuttgarter Ring von vier verschiedenen Regisseuren rundete. Also einen ähnlichen Test auf Gültigkeit riskieren wie Jossi Wieler mit dem „Siegfried“ von damals, der gerade in das aktuelle Stuttgarter Ringprojekt integriert wurde.
Siegfried tröstet Brünnhilde mit einem Ersatz-Steckenpferd
Zu den vielen witzigen szenischen Götterdämmerungs-Details, die von damals in Erinnerung geblieben sind, gehört (neben Gutrunes Willkommens-Rührkuchen) das Steckenpferd mit dem Siegfried ausgelassen herumtollte. Auf dem Brünnhilden-Felsen im Dortmunder „Siegfried“ wird jetzt schon mal klar, warum sich der junge Mann so ein Ding gebastelt hat. So ganz dicht war die Zeitblase auf dem Walkürenfelsen, in die Wotan Brünnhilde gebannt hatte, offensichtlich nicht. Der viele Jahre währende Straf-Schlaf, in den er seine Lieblingstochter hinterm schützenden Feuer versetzte, hat Brünnhilde zwar (wie geplant) nicht altern lassen. Aber Grane hat es erwischt. Obwohl sie ihren Gaul – so wie in Wagners Text und Noten vorgesehen – nach ihrem ausführlich mit viel „Heil!“-Rufen zelebrierten Erwachen vertraulich begrüßt, hat es das Pferd schlimm erwischt. Verbrannt ist es zwar nicht, da wäre nur ein Häufchen Asche übrig. Doch die Knochenreste deuten auf unnachsichtiges Altern Richtung Tod und Verwesung. So wie wir Siegfried jetzt kennengelernt haben, wird es niemanden wundern, dass er sich in der Pause zwischen vorletztem und letztem Ring-Teil mit Eifer daran gemacht hat, um seine Flamme Brünnhilde mit dem Ersatzpferd zu trösten.
Szenisch überzeugender Wotan, dessen vokale Durchschlagskraft nicht gänzlich durchkommt
Das Altmeisterliche bei Peter Konwitschny zeigt sich nicht nur in seiner ins Detail und die Tiefe des Gefühls gehenden Personenregie, sondern auch darin, dass er sich um diverse Inszenierungsmoden nicht schert. Er tritt da gleichsam ein paar Schritte zurück und setzt auf den Zauber eines oft verblüffend handgemachten Theaters mit einfachen Mitteln. Er spart dabei nicht mit szenischem Witz oder zupackender Emotion, wenn er selbst in göttlichen Naturen Menschliches sucht. Dabei hat er immer auch einen szenischen Überraschungseffekt in petto. Etwa wenn er die häufig nur in Peinlichkeiten mündenden Versuche Siegfrieds, mit dem Waldvogel ins Gespräch zu kommen, dadurch umgeht, in dem er das Orchester die scheiternden Versuche lautstark kommentieren lässt und den Hornisten auf die Bühne schickt. Mimes Hütte hat Johannes Leiacker ziemlich schlicht und einfach in einen Container mit Walddekor und Küchenutensilien verlegt. Spannend wird es hier, wenn ein locker auf Gegenwart getrimmter Wotan mit Basecap auftaucht und zur Wissenswette mit Mime so viel Schnäpse kippt, dass selbst der Gott ins Wanken gerät. Thomas Johannes Mayer spielt ihn überzeugend, bleibt aber mit seiner vokalen Durchschlagskraft hinter den Erwartungen zurück. Matthias Wohlbrecht ist ein eloquenter Mime, der nicht nur gegenüber Siegfried und dem Wanderer, sondern auch in der Begegnung mit seinem Bruder Alberich (präzise: Morgan Moody) wacker standhält.
Poetische Theaterbilder statt Technikutopien
Bei Siegfrieds Schmiede-Arbeit fragt man besser nicht zu konkret danach, was da für eine Wunderküchenraspel im Spiel ist und wie das mit dem Gießen und Härten von flüssigem Metall funktionieren soll … Hier kommen poetische Theaterbilder zum Einsatz und keine Technikutopien. Ein strahlendes Gegenbild, zu allem, was es in der Beziehung bislang so gab, ist die Neidhöhle. Zwar auch ein Container – aber was für einer! Als dessen Wand fällt sehen wir Fafner (Denis Velev mit einem zumindest bei geöffnetem Container irritierenden Verstärkungseffekt) und die hübsche Waldvögelin (von Alina Wunderlin verführerisch geträllert und gespielt) beim Schaumbaden in einer freistehenden Wanne mitten in dem mit Gold ausgeschlagenen und diversen Barren gefüllten Raum. Das ist mal ein nachvollziehbares Fafner-Prinzip „Ich lieg’ und besitz’“. Dass die Leichen von Fafner und Mime in der Wanne enden, versteht sich von selbst.
Radikalste Fallhöhe für das Finale
Auch dass Wotan nach seiner alten Bekannten Erda (Aude Extrémo mit orgelnd dräuender Tiefe) in einem Container sucht. Er findet sie in einer Tiefkühltruhe. Als er den Rat, wie er dem Rad, das er in Schwung gebracht hat, in die Speichen greifen kann, nicht bekommt, zieht er ihr wütend den Stecker. Dass ihm Siegfried den Speer zerschlägt, klappt zwar (in der Premiere) nicht, wäre aber eh nur die Zugabe zu einer intensiven Begegnung und einem exemplarischen Fall von Aneinandervorbeireden. Nach der Fassade aus Containern ist die leere Bühne für den Brünhilden-Felsen selbst die denkbar radikalste Fallhöhe. In dem Falle von unten nach oben. Brünnhilde und Siegfried allein auf weiter Flur. Drei sichtbar platzierte Harfen jeweils links und rechts der Bühne. Ein paar angeleuchtete Flammen ganz im Hintergrund. Und ein beachtliches Finale für Daniel Frank als Siegfried, der vom furchtlos naiven Naturburschen durch die Begegnung mit Brünnhilde zum Liebenden reift. Darstellerisch gelingt ihm das auch deshalb überzeugend, weil er vokal im Finale mit der (als Bühnenfigur und als Sängerin) bis dahin gut ausgeruhten Brünnhilde auch vokal noch einmal deutlich zulegt und mit der das Ensemble krönenden Stéphanie Müther gleichzieht. Konwitschny mutet den beiden am Ende auch keinen Sprung oder Ähnliches zu, sondern lässt sie ganz langsam vereint rückwärts schreitend ins Dunkel der leeren Bühne entweichen.
Gabriel Feltz dirigiert die Dortmunder Philharmoniker beherzt und Sinn fürs Auftrumpfen durch den Abend. Am Anfang vielleicht noch etwas zu laut, aber doch mit Sinn für die Dramatik und die reflektierenden Passagen. Der Beifall in Dortmund war einhellig.
Theater Dortmund
Wagner: Siegfried
Gabriel Feltz (Leitung), Peter Konwitschny (Regie), Johannes Leiacker (Bühne & Kostüme), Daniel Frank (Siegfried), Matthias Wohlbrecht (Mime), Thomas Johannes Mayer (Der Wanderer), Morgan Moody (Alberich), Denis Velev (Fafner), Aude Extrémo (Erda), Stéphanie Mühter (Brünnhilde), Alina Wunderlin (Waldvogel), Dortmunder Philharmoniker
Termintipp
So, 06. April 2025 16:00 Uhr
Musiktheater
Wagner: Siegfried
Gabriel Feltz (Leitung), Peter Konwitschny (Regie)
Termintipp
Fr, 23. Mai 2025 18:00 Uhr
Musiktheater
Wagner: Siegfried
Gabriel Feltz (Leitung), Peter Konwitschny (Regie)
Termintipp
Sa, 31. Mai 2025 16:00 Uhr
Musiktheater
Wagner: Siegfried
Gabriel Feltz (Leitung), Peter Konwitschny (Regie)