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Opern-Kritik: Theater Kiel – Der Rosenkavalier

Nostalgie ist auch immer eine Frage der Zeit

(Kiel, 21.9.2024) Am Theater Kiel debütiert der neue GMD Gabriel Feltz mit einem „Rosenkavalier“ von Regisseur Sam Brown, der das zeitlos Unzeitgemäße der Strauss‘schen Musik szenisch umzusetzen versteht.

vonPatrick Erb,

Nicht die für die Zeit um 1750 angemessene Menuettgalanterie erklingt, sondern bekanntermaßen die harmonisch wie melodisch ins manieristisch Überzogene abdriftende Walzermusik von Richard Strauss, die bereits bei der Uraufführung von „Der Rosenkavalier“ im Jahr 1911 ein nostalgisch-süßes Tor zu einer vergangenen Welt öffnete. Am Theater Kiel machen Regisseur Sam Brown und sein Bühnenbildner Stuart Nunn das bewusst zeitlos Unzeitgemäße des Stücks zum Thema der Inszenierung. Mit Erfolg, denn so finden tragische und komische Aspekte des „Rosenkavaliers“ immer auch zueinander.

Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“
Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“

Das Schlafzimmer der Feldmarschallin präsentiert sich als ein standesgemäß ausladendes, aber dennoch stilvolles Prunkzimmer: Eine mit Chinoiserien ausgekleidete Decke und ein in Stuck gerahmtes überlebensgroßes Bett beherrschen den Raum. Obschon ein intimer Ort, verlieren sich die Feldmarschallin und ihr Liebhaber Octavian darin beinahe in Einsamkeit. Besonders die Gewänder der Darstellenden – von der Gardenuniform über den Frack bis hin zum Tweed-Sakko – erzählen im ersten Akt die Geschichte des Anachronismus. Im zweiten Akt verfremdet ein auf Neureichtum verweisender moderner Swimmingpool das formale, barocke Gartenlabyrinth des Herrn von Faninal. In einer Farce überführt das gesamte Opernpersonal den Baron Ochs schließlich in einem holzvertäfelten Liebesmotel im Stil der 1950er Jahre seiner unmoralischen Liebesaffären.

Musik- und Regiekonzept planerisch im Einklang

In Einklang mit den Verfremdungseffekten auf der Bühne findet GMD Gabriel Feltz durchgehend die passende Paraphrasierung des Strauss’schen Klangs. Im „Boudoir“ der Feldmarschallin setzt Feltz zunächst auf starke überdehnte Passagen, die zwar wie in einem Stück gegossen, aber dennoch reichhaltig und süß sind. Mit jedem Stück Putz, der sich aus der Rokoko-Fassade der Brown-Inszenierung löst, entlockt er dem Kieler Philharmonischen Orchester zunehmend Tempo und Würze. Allen voran die überzogene Rhythmisierung der Walzer im dritten Akt gelingt als musikalische Persiflage der entsprechenden Zeit treffend.

Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“
Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“

Auch die sängerische Besetzung ist nicht minder gelungen. Hier dominiert Agnieszka Hauzer als Feldmarschallin, beziehungsweise Maria Theresia, mit kräftigem und selbstbestimmtem Sopran die Produktion. Gestaltungsmacht als Kaiserin, die Verlustangst Octavians und die dennoch herrschende Gewissheit, ihn gehen lassen zu müssen – mit ihrem facettenreichen Timbre bringt Hauzer die Vielschichtigkeit ihrer ambivalenten Rolle gekonnt zum Ausdruck.

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Sehr ambitioniert, fast schon über das Ziel hinaus „wienern“

In ähnlicher Weise wird Jörg Sabrowski in der Rolle des Baron Ochs von Lerchenau seiner Befähigung als Sängerdarsteller gerecht. Im Fettanzug verkörpert der Grand Seigneur des Kieler Opernhauses den ekelhaften Liebhaber und Frauenhelden vor allem mit klarer, lauter und genau akzentuierter Stimme. Jedoch gelingt es Sabrowski – wie auch den meisten anderen Darstellern – nicht, einen authentischen Zugang zur wienerischen Sprache Hofmannsthals zu finden. Dem gerecht zu werden, ist schwer und in Norddeutschland nicht unbedingt zu erwarten – weniger Affektiertheit kann deutlich mehr Wirkung erzielen.

Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“
Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“

Schließlich überzeugen Sopranistin Xenia Cumento als Sophie und Clara Fréjacques als Octavian. Cumento, die ihre Klasse als ausdauernde Marathon-Sopranistin unlängst in Ludger Vollmers „Buddenbrooks“ unter Beweis stellte, legte im gesanglich anspruchsvolleren „Rosenkavalier“ noch mehr von ihrer sopranätherischen Stimme und nadelstichgenauen Präzision an den Tag. Clara Fréjacques meistert souverän die Hindernisse des stark an Dynamik einfordernden stoffreichen Bühnenbilds des ersten Aktes wie auch der starken schauspielerischen Einbindung der Rolle in das Regiekonzept. An der Stimmqualität ihres jugendlich frischen Mezzosoprans keine Zweifel aufkommen lassend, beeindruckt Fréjacques einfühlsam und beständig als Rosenüberbringer(in) im zweiten Akt mit Cumento. Vollendung finden die beiden gemeinsam mit Agnieszka Hauser in einem Trio sirenenhafter Atmosphäre.

Theater Kiel
R. Strauss: Der Rosenkavalier

Gabriel Feltz (Leitung), Sam Brown (Regie), Stuart Nunn (Austattung/Bühne), Sophie Laplane (Choreografie), Matthias Hillebrandt (Licht), Waltraut Anna Lach (Dramaturgie), Gerald Krammer & Moritz Caffier (Kinder- und Jugendchor), Agnieszka Hauzer, Jörg Sabrowski, Clara Fréjacques, Samuel Chan, Xenia Cumento, Statisterie am Theater Kiel, Opernchor des Theater Kiel, Philharmonisches Orchester Kiel






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