Es ist das Bild, dass vermutlich den meisten Opernbesuchern noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Zweiter Akt: Der gutmütige Falstaff, in trefflichem Umfang durch Stefano Meo verkörpert, betritt die Bühne in schickem Ausgehzwirn. Denn der von notorischer Geldnot geplagte Lebemann hat eine Mission. Er muss Mrs. Alice Ford verführen, um wieder flüssig zu werden. Und Verführung bedeutet hierbei für den ausnahmsweise fast nüchternen Falstaff: herausgeputzt in rot glänzender Renaissance-Pluderhose. Da schauen sich nun das erheiterte Publikum und der scheinheilig grinsende Stefano Meo an. Der hätte selbst nackt nicht komischer wirken können.
Die Komik ist natürlich ein Ergebnis von Kautz Inszenierungskonzept. Falstaff ist schon in der Shakespeare-Vorlage ein aus der Zeit gefallener Charakter. Und deshalb trägt er die spätfeudale Ritterrüstung und die an Porträts von Heinrich VIII. erinnernde Pumphose. Sein gesamtes Umfeld ist da schon modisch weitergezogen in die Welt eines Romans nach Jane Austen. Regency ist hierbei das historische Vorbild. Die lustigen Weiber von Windsor sind reizende Damen in seiden schimmernden Pastellkleidern und Regenschirmchen. Die Männer parallel dazu in beigen Hosenkleidern und schwarzen Jacketts. Zu allem Überfluss bereichern Bühnenmitarbeiter in Bedienstetenmanier die Szenerie: sie müssen weiß gepuderte Perücken tragen und sind auf ihre englisch-barocke Weise aus der Zeit gefallen.
Filmische Szenen- und schnelle Stimmungswechsel
Dass die Herrschaften überhaupt notwendig sind, ist der Lebendigkeit des Stücks geschuldet. Verdis Musik ist wie eine Filmmusik. Sie ist durchkomponiert, und es gibt keine Arien, die die Zeit anhalten, um Gefühle ausdrücken. Keine Rezitative, um Handlung voranzutreiben. Alles lebt im Hier und Jetzt und muss auch entsprechend bebildert werden. Und die Impressionen überschneiden sich, ob nun das Wirtshauszechen Falstaffs mit seinen Dienern Bardolfo und Pistola, jeweils gespielt durch Konrad Furian und Matteo Maria Ferretti, oder die ständigen Liebelein im Hause Ford. Das bisweilen hochwertige Bühneninventar verhindert dabei, dass die pittoreske Kleinteiligkeit billig wirkt, kommt doch bei wahllos platzierten Gegenständen schnell der Gedanke von Grundschultheater auf.
Verdis als „musica lirica“ bezeichnetes Werk gehört zu den sängerisch anspruchsvollsten des Komponisten. Nicht nur das stilistische Resümee, das der Italiener hier mit sich selbst zieht, die Verweise auf andere Werke und Komponisten wie Wagners „Meistersinger“, sondern die vielen komischen Slapstick-Brechungen fordern den Darstellern viel ab. Doch alles fällt mit der Fähigkeit zur Eigenironie. Wer sich selbst nicht witzig nimmt, scheitert am „Falstaff“. Und das gilt – wie sollte es anders sein – für die Titelfigur in besonderem Maß. Hier kann man von einer glücklichen Wendung reden, dass mit Stefano Meo ein Bariton gefunden wurde, der nicht nur gesanglich zwischen alkoholgeschwängerten Gedankengängen und selbstbezogenen Mitleidsbekundungen changieren kann. Ihm ist auch die Rolle in allen Facetten des Schauspiels auf den Leib geschnitten, und seine kunstvoll-theatralische Mimik zieht dadurch mindestens mit der skizzierenden Musik Verdis gleich.
Eine starke Nebenbesetzung
Ihm zur Seite steht natürlich – um im Bilde zu bleiben – eine ganze Riege von Sidekicks. Die beiden Diener in solider Besetzung, aber vor allem die vier weiblichen Partien, die im Kollektiv als lustige Frauen den widerwärtigen und fetten Falstaff hinters Licht führen und dabei hervorragend harmonierten. Hervorhebenswert ist dabei Xenia Cumento, die in der Rolle der Nanette, neben ihrer Funktion als Intrigantin, auch immer in die Rolle der Geliebten von Fenton (Francesco Lucii) schlüpft und dadurch zwei Rollen spielt.
Lediglich der durch Samuel Chan verkörperte Ford entpuppt sich als schwierige Rolle. Er nimmt viel Platz ein in der Handlung, weswegen auch hier schauspielerisches Talent unumgänglich ist. Doch gerade Chan nimmt man die Eifersucht Fords auf Falstaff nicht ab. Neben der gesamtheitlichen Brillanz von Meo wirkt Chan dagegen etwas verloren, obschon seine sängerischen Leistungen hier nicht infrage stehen.
Fulminante Finalwirkung
Was den „Falstaff“ von Verdi besonders macht, sind die aus der Sicht des Protagonisten wenig humorvollen Situationen am Ende des zweiten und dritten Akts. In einer Melange aus Komik und Tragik muss der in die Jahre gekommene Ritter um sein Leben fürchten: zunächst eingepfercht in einer Wäschebox und zur Notrettung in die Themse geworfen, während Ford und die Bürger von Windsor, die mit Gewehren bewaffnet auf der Suche nach ihm sind, auch noch dem Liebespaar Nanette – Fenton nachstellen. Beim zweiten Mal wird der an der Schlechtigkeit der Welt verzweifelnde, aber stets gutgläubige Falstaff erneut aus der Deckung in den Park von Windsor gelockt, wodurch er dann schließlich von allen mit Stöcken zusammengeschlagen wird. In beiden Szenen herrscht Chaos, das das Philharmonische Orchester Kiel unter Leitung von Francesco Cilluffo überzeugend erklingen lässt.
Die Kieler beherrschen den Umgang mit der szenengebundenen Echtzeitmusik meisterhaft – von den ouvertürenlosen Anfangstakten des Werks bis zur apotheotischen Schlussfuge mit allen Beteiligten. Eine gelungene und erheiternde Inszenierung, die die finale Botschaft im Stück „doch besser fürwahr lacht Keiner, als wer am Ende lacht“ den Zuschauern mit auf den Heimweg gibt.
Theater Kiel
Verdi: Falstaff
Francesco Cilluffo (Leitung), Luise Kautz (Regie), Valentin Mattka (Bühne), Julia Schnittger (Kostüme), Martin Witzel (Licht), Ulrich Frey (Dramaturgie), Steffano Meo, Samuel Chan, Francesco Lucii, Michael Müller-Kasztelan, Konrad Furian, Matteo Maria Ferretti, Agnieska Hauzer, Xenia Cumento, Tatia Jibladze, Heike Wittlieb, Opernchor des Theater Kiel, Philharmonisches Orchester Kiel