Die Regisseurin Helen Malkowsky und Mihkel Kütson, GMD in Krefeld und Mönchengladbach, haben gemeinsam bereits Verdis „Stiffelio“ und Tschaikowskys „Mazeppa“ erfolgreich wiederbelebt und als durchaus repertoiretaugliche Stücke präsentiert. Nun gelang ihnen das Gleiche mit „Hamlet“ von Ambroise Thomas.
Treffliches Regiekonzept des dritten Wegs
Wie bereits in den Vorgängerinszenierungen lässt sich Malkowsky auf die ungewöhnliche Dramaturgie des Stückes ein. Dabei schwelgt sie weder in Kostüm- und Ausstattungspomp, noch sucht sie ihr Heil in Gesellschaftskritik durch Aktualisierung. Im optisch attraktiven, wandelbaren, sich auf Wesentliches beschränkenden Raum von Hermann Feuchter erzählt Malkowsky die Handlung stringent und spannend. Dabei achtet sie klug darauf, eine gewisse Distanz zum Werk zu erhalten, so dass eine Nähe zur heutigen Zeit quasi automatisch entsteht, der 1869 uraufgeführten Oper geradezu Parabelcharakter zuwächst.
Infiziert vom Virus der Macht
Zentrum von Bild und Inszenierung ist der Thron, Symbol für Macht, die Gier nach ihr, die Korruption durch sie. Im ersten Bild holt sich der Königsmörder Claudius den Thron aus der Luft. Zukünftig wird er nie ohne ihn sein. Er schleppt ihn mit sich mit, zieht ihn hinter sich her, legt ihn sogar auf den Boden, um auf ihm zu beten. Und immer geht es nur darum, oben zu sein, der erste, der Mächtige, ohne dass diese ausgeübte, auszuübende Macht inhaltlich gefüllt wäre oder eine gesellschaftliche Funktion erfüllen würde. Und alle sind von diesem Machtvirus infiziert, der Hofstaat, der hinter Claudius wie hypnotisiert herdackelt, Gertrude, die darin aufgeht, dem Zentrum der Macht von allen am nächsten zu stehen, sogar Hamlet, der bei Thomas überlebt und vorher alles in einer Art Amoklauf niedermetzelt, was zwischen ihm und dem Thron steht.
Nur zwei Figuren sind frei von dieser Krankheit – Ophelia und der Narr. Letzterer, den Andrew Nolen faszinierend spielt, mit ungeheuer präziser, tänzerischer Körperarbeit, ist hier auch der Geist des Vaters. Mit nacktem Oberkörper und roter Narrenmütze beobachtet und manipuliert er das Spiel als einer, der keine persönlichen Interessen mehr dran hat. Und Ophelia liebt. Sophie Witte tut das zum Herzerweichen, natürlich und klar im Spiel, noch ein wenig zurückhaltend, fast sachlich in der ersten Arie, auf großem Niveau und vor allem unangestrengt in der berühmten Wahnsinnsarie.
Ensembletheater vom Feinsten
Es ist auch ein Abend des Ensembles in Krefeld. Man kommt ohne einen einzigen Gast aus – und ohne Ausfall. Rafael Bruck nimmt nach etwas wackligem Beginn mit seinem bildschönen lyrischen Bariton immer stärker für sich ein. Sein grandioser „Sein oder nicht Sein“-Monolog ist ein Kraftzentrum des Abends. Janet Bartolovas Gertrude fasziniert vor allem durch fantastische Präsenz und darstellerische Autorität, und Matthias Wippich gelingt es, dem machtkranken Claudius mit schnörkellos geführtem, resonantem Bass auch die Dimension eines zweifelnden Menschen zu schenken.
Ein Plädoyer für Ambroise Thomas
Mihkel Kütson geht die ungewohnte Aufgabe mit den Niederrheinischen Sinfonikern zunächst recht rustikal an. Kein Parfum, eher Handwerkskunst. Kütson schärft die Kanten dieser Partitur, macht hörbar, wie wenig hier Klangteppich ist, wie viele Orchesterphrasen solistisch dominiert sind, wie Thomas immer wieder neue, ungehörte Klangfarbnuancen erfindet. Auf deren Höhepunkt, der erwähnten Wahnsinnsarie, lässt er das Orchester los. Jetzt fließt es wie das Wasser, in das Ophelia stürzen wird. Und es lockt. Thomas sollte auf unseren Bühnen wieder mehr gespielt werden.
Theater Krefeld
Ambroise Thomas: Hamlet
Mihkel Kütson (Leitung), Helen Malkowsky (Regie), Hermann Feuchter (Bühne), Susanne Hubrich (Kostüme), Michael Preiser (Chor), Rafael Bruck, Sophie Witte, Matthias Wippich, Janet Bartolova, Hayk Déinyan, Carlos Moreno Pelizari, Andrew Nolen, Kairschan Scholdebajew, Gereon Grundmann, Chor des Theater Krefeld Mönchengladbach, Niederrheinische Sinfoniker