Die Frage, was denn eigentlich mit dem eingemauerten Liebespaar Aida und Radames geschieht, bewegt Tonsetzer Stefan Heucke seit Jugendzeiten. Im Verein mit seinem Librettisten Ralph Köhnen gibt er darauf nach langen Jahren der Inkubation nun die siebzigminütige Antwort. Deren Eindringlichkeit basiert ganz wesentlich auf den Entscheidungen für ein Kammerspiel statt Grand opéra sowie den Wechsel der Stimmlagen vom Sopran in den Mezzosopran für Aida und vom Tenor in den Bariton für Radames. In den sieben Szenen des Werks lernen sich der ägyptische Ex-Feldherr und die äthiopische Prinzessin erst wirklich kennen. Deutlich wird, welche mentalen, religiösen und politischen Hürden diese Liebe im Flug zu nehmen vermeinte.
In der Gruft aber sind die Hindernisse neuerlich aufgestellt, angesichts des Todes drohen die Beharrungskräfte von Herkommen und Sozialisation Oberhand über die Liebe zu gewinnen. Immer wieder muss Aida sich bezwingen, um in Radames nicht den bloßen Exponenten einer Kolonialmacht zu erblicken, sondern den Mann, den sie liebt. Dem Konfliktgeladenen steht die Vision einer religiös, kulturell und gesellschaftlich versöhnten Welt als utopischer Lebensraum für das Paar gegenüber. Die Liebe bleibt trotz letztlich unlösbarer Konflikte nicht auf der Strecke. Irgendwann setzt Radames‘ Herzschlag aus. Aida versinkt in die Finsternis des Grabes.
Disparates Libretto, starke Musik
Der packenden klaustrophobischen Lage des Paares wird Köhnens Libretto sprachlich nicht immer gerecht. Wiederholt verfällt der Text in Opernschwulst samt allzu gesuchter Bilder und Sentenzen. Aufgewogen wird solcher Bombast durch den argumentativen Scharfsinn der Figuren und ins Gemüt greifende Lyrismen. Heuckes Partitur ruht sich nicht auf für das Publikum sofort identifizierbaren Zitaten und Anspielungen auf Verdis Ägyptenoper aus.
Zwar legt Heucke mit einer regelrechten Zitat-Kanonade los, bald aber verwebt sich Verdis musikalisches Idiom in die Klangsprache der Novität, indem Heucke selbst ersonnene melodische Linien in Verdis Manier moduliert oder – umgekehrt – Melodien Verdis nach eigener Façon umformuliert. Ungeachtet einiger Ruhepunkte durchpulst das Werk packende dramatische Schlagkraft. Keine Frage, Heucke verwandelt sich den Stoff und dessen musikalische Herausforderungen auf ganz eigene Weise an.
Szenisch überzeugend
Die Uraufführung arbeitet dem Werk szenisch wie musikalisch faszinierend zu. Dennis Krauß fungiert in Personalunion als Regisseur sowie Bühnen- und Kostümbildner. In den Bedrängnissen, Zwisten und der Fremdheit ihrer Beziehung lässt Krauß das Paar durch vehementen Körpereinsatz, große Gesten fern aller Opernkonvention und nimmermüdes Anspielen gegen die Wände der Gruft aufs Ganze gehen. Die beiden Spielenden leisten dabei wahrlich Schwerstarbeit. Erst mit dem Ableben des Radames und der Todeserwartung der Titelfigur stellt sich tatsächlich Stille ein.
Die Uraufführung findet im vom Theater-Krefeld Mönchengladbach gelegentlich genutzten Bunker Güdderath statt. Der schuhkartonförmige Veranstaltungssaal erzeugt mit seinen nackten Betonwänden ohnehin eine gewisse Beklemmung. Dass die Figuren dazuhin auf steil-schräger Ebene agieren steigert diese Empfindung noch. Kostümlich deutet sich bei Radames höfische und militärische Uniformiertheit an, Aidas Robe changiert gleichermaßen zwischen Repräsentation und Wehrhaftigkeit.
Musikalisch hoch engagiert
Trefflich koordiniert Giovanni Conti das hinter der Szene platzierte Klavier, die auf eine Galerie im Obergeschoss verwiesenen sechs Mitglieder der Niederrheinischen Sinfoniker mit Mezzosopran Eva Maria Günschmann sowie Bariton Rafael Bruck. Günschmanns Aida grenzt an eine Offenbarung. Mit jugendlich-dramatischer Attacke wirft sie sich in die für einen Mezzo recht hoch notierte Partie. Da ist geballte Leidenschaft am Werk. Günschmanns Aida, eine starke Frau voller Zorn und Liebe. Rafael Bruck verkörpert den Radames darstellerisch hoch engagiert und vokal achtbar.
Theater Krefeld-Mönchengladbach (Bunker Güdderath)
Heucke: Aida – Der fünfte Akt
Giovanni Conti (Leitung), Dennis Krauß (Regie, Bühnenbild & Kostüme), Eva Maria Günschmann, Rafael Bruck, Katie Wong (Klavier), Mitglieder der Niederrheinischen Sinfoniker