Das niederrheinische Zweistädteinstitut feiert in dieser Spielzeit Diamantene Hochzeit. Ein Meilenstein in der Geschichte dieser 75-jährigen Theaterehe war die Uraufführung von Stefan Heuckes Oper „Das Frauenorchester von Auschwitz“ im Jahr 2006. Zwar wartet das Theater Krefeld und Mönchengladbach in der Jubiläumsspielzeit mit keiner Novität auf, doch trägt es überzeugend zum weiteren Vordringen von Mieczysław Weinbergs Oper in die Spielpläne bei. „Das Frauenorchester von Auschwitz“ und jetzt „Die Passagierin“ führen in die KZ-Mordfabrik der braunen Bande, zu den Täterinnen und Tätern wie zu ihren der restlosen Entwürdigung widerstrebenden Opfern. Regisseurin Dedi Baron verschachtelt die Zeitebenen der Überfahrt nach Brasilien auf dem Passagierschiff und die Begebnisse in Auschwitz. Umstandslos mutiert das Servicepersonal zu Bedrückern und Henkern. Devote Dienstbeflissenheit gegenüber den Passagieren entlarvt sich als sadistisches Spektakel, mit dem verglichen sich das grausame Spiel, das Katzen mit der Beute in ihren Fängen treiben, geradezu harmlos ausnimmt. Da verwandeln sich Serviertabletts zu Folterwerkzeugen.

Humanität als Maske in „Die Passagierin“
Auf solchem Fond muss zweifelhaft bleiben, ob, was KZ-Aufsicht Lisa ihrer weiblichen Favorit-Inhaftierten Marta an Lizenzen gewährt, tatsächlich Reste von Humanität beweist oder nicht vielmehr diabolische Durchtriebenheit. Eine Teufelei, die Vertrauen zu wecken trachtet, um sich an grausam enttäuschten Hoffnungen zu weiden. Guten Grundes beargwöhnen daher Marta und ihr Verlobter Tadeusz die Avancen der Nazi-Schergin. Wenn sich Lisa ihnen als Gelegenheitsmacherin zum verbotenen Stelldichein andient, schlagen sie den Gunsterweis rundweg aus. Regisseurin Baron lässt das Paar in solcher Widersetzlichkeit jenen Persönlichkeitskern bewahren, an dem gleichermaßen offene und camouflierte Gewalt abprallen. Im Verein mit Choreografin Liron Kichler akzentuiert Baron des Werks tänzerische Elemente. Als Flucht, wenn sich Lisa ins Tanzvergnügen auf dem Dampfer stürzt und sich dem nächstbesten Mann an den Hals wirft. Als Freiheitszeugnis, indem der nackt vor seine Peiniger befohlene Geiger Tadeusz den Lieblingswalzer des Lagerkommandanten vortragen soll, doch die Mörderrotte mit einer Bachschen Chaconne konfrontiert.

Sonnendeck und Todesblock
Situationen wie diese funktionieren des Schiffes stählerne Wände in den Todesblock des Konzentrationslagers um. Ohnehin ist der Dampfer wenig komfortabel. Mag immerhin Bühnen- und in Personalunion Kostümbildnerin Kirsten Dephoff dessen Sonnendeck andeuten. Ohne direktes Zitat von KZ-Bauten rufen dennoch rostige Hochwände und selbst die Liegen augenblicklich Gedanken an Kerkermauern und Gefängnispritschen hervor. Auch die Personnage steckt in Kleidung ohne unmittelbaren Bezug auf SS-Uniformen und Häftlingsstreifen. Die inhaftierten Frauen müssen sich mit einfachsten Kleidern und Kitteln begnügen. Hingegen signalisieren Lisas Rock und Bluse oberlehrerinnenhafte Disziplin. Eine Strenge mithin, deren Umschlag in Grausamkeit einleuchtet.

Leichtigkeit des Seins in mörderischer Lage
Wie die szenische, so ergreift die musikalische Seite. Unter Michael Preiser lässt sich der Chor des Hauses versiert vernehmen. Mihkel Kütson bewegt die Niederrheinischen Sinfoniker zu jener Ironie aus dem Geist des Widerspruchs, wie sie bisweilen auch das Werk von Weinbergs Freund Schostakowitsch auszeichnet. Kapellmeister und Klangkörper folgen dennoch Weinbergs ganz eigenem Weg. Kontrastiv zur Grausamkeit des Bühnengeschehens tönt leichthin serviert Jazziges und Loungemäßiges aus dem Graben. Eleganz und Weltläufigkeit feien eben vor totalitärem Gedröhn. Desto packender die sparsam dosierten dramatischen Entladungen. Bei Sofia Poulopoulou wächst Titelfigur Marta zu einem Ausbund an Courage und zuweilen – trotz drohender Vernichtung – Freude am Leben auf. Diese Marta sieht der Gefahr ins Auge, ohne an vokaler Leuchtkraft einzubüßen. Ihren Verlobten Tadeusz verkörpert Rafael Bruck auf beinahe belcantesker Linie. Eva Maria Günschmann belässt der KZ-Aufseherin Lisa jene zwischen Sadismus und Attachement an die Verlobten schillernde Zweideutigkeit, aus der überhaupt erst Interesse für die Figur erwächst. Stupend, wie Günschmann vokal und spielerisch zwischen Aggression und – offen bleibt, ob echter oder geheuchelter – Anteilnahme wechselt. Ein paradigmatisches Rollenporträt. Ihren Gatten Walter gibt Jan Kristof Schliep mit Stentorstimme. Hoch beachtlich auch alle weiteren Mitglieder des Riesenensembles.
Theater Krefeld und Mönchengladbach
Weinberg: Die Passagierin
Mihkel Kütson (Leitung), Dedi Baron (Regie), Kirsten Dephoff (Bühne und Kostüme), Liron Kichler (Choreografie), Michael Preiser (Chor), Eva Maria Günschmann, Jan Kristof Schliep, Sofia Poulopoulou, Rafael Bruck, Susanne Seefing, Sophie Witte, Antonia Busse, Gabriela Kuhn, Bettina Schaeffer, Kejti Karaj, Jeconiah Retulla, Matthias Wippich, Arthur Meunier, Hayk Deinyan, Markus Heinrich, Brigitta Henze, Liron Kichler, Niederrheinische Sinfoniker, Opernchor des Theaters Krefeld und Mönchengladbach
Do., 01. Mai 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Weinberg: Die Passagierin
Mihkel Kütson (Leitung), Dedi Baron (Regie)
Fr., 23. Mai 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Weinberg: Die Passagierin
Mihkel Kütson (Leitung), Dedi Baron (Regie)
Fr., 13. Juni 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Weinberg: Die Passagierin
Mihkel Kütson (Leitung), Dedi Baron (Regie)
So., 22. Juni 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Weinberg: Die Passagierin
Mihkel Kütson (Leitung), Dedi Baron (Regie)
Mi., 02. Juli 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Weinberg: Die Passagierin
Mihkel Kütson (Leitung), Dedi Baron (Regie)