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Opern-Kritik: Theater Lübeck – Der Zaubertrank (Le Vin herbé)

Tristan-Variationen

(Lübeck, 15.3.2025) Mit Frank Martins Kammeroper „Der Zaubertrank“ erobert das Theater Lübeck erfolgreich das Märchenhafte des durch Wagner dominierten Tristan-Stoffes zurück.

vonPatrick Erb,

Ein magischer Trank, der nicht nur zur ewigen Liebe verdammt, sondern gleich den gesamten Niedergang besiegelt – Richard Wagner wusste um die dramatische Wucht solcher Elixiere. Bei ihm ist es zunächst ein Todestrank, der das Schicksal des Entführers Tristan und der Geraubten Isolde besiegeln soll. Dieses ikonische Werk inspirierte den Schweizer Komponisten Frank Martin zu seiner 1942 uraufgeführten Kammeroper „Der Zaubertrank“, die nun in den Kammerspielen des Theater Lübeck zu erleben ist.

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Allerdings erlaubte sich Martin einige Variationen des bekannten Stoffes, der in drei Episoden Vor- und Nachgeschichte ausleuchtet: So soll Brangäne den verhängnisvollen Trank ursprünglich als Brautgeschenk von Isôts Mutter an König Marke überreichen. Erst die unachtsame Verwechslung durch eine weitere Dienerin sorgt dafür, dass Tristan und Isôt (alias Isolde) in den ungewollten Rausch geraten. Ein entscheidendes Detail: Anders als bei Wagner zeigt sich Marke großzügig und verzeiht den unglückselig Liebenden. Tristan kehrt daraufhin in seine bretonische Heimat zurück, ehelicht dort eine zweite, gleichnamige Isôt – die Weißhändige – und wird erst Jahre später im Kampf verwundet. Im Sterben verzehrt er sich nach seiner wahren, einstigen Geliebten, Isôt die Blonde – was bei seiner Ehefrau wenig überraschend Eifersucht auslöst. Die ersehnte Isôt trifft jedoch erst ein, als es zu spät ist, und stirbt an der Seite Tristans.

Szenenbild aus „Der Zaubertrank“
Szenenbild aus „Der Zaubertrank“

Mehr Märchen als Drama

Die Kammeroper rückt das Märchenhafte in den Fokus und lässt den Chor zur zentralen Erzählerfigur avancieren. Er treibt die Handlung voran, berichtet von den Figuren, kommentiert mit dezenter Distanz das Geschehen. Erst wenn das narrative Spiel in erlebte Handlung übergeht, lösen sich die Charaktere aus dem vokalen Kollektiv: Tristan, Brangäne, Marke oder die beiden Isôts treten hervor und gestalten ihre Szenen. Die raschen Wechsel und fluiden Übergänge vermeiden dabei bewusst dramatische Brechungen, große Gefühlsausbrüche oder exzessive Monologe – keine Zeit also, um den tragischen Liebestod zu besingen und zu durchleben.

Szenenbild aus „Der Zaubertrank“
Szenenbild aus „Der Zaubertrank“

Eine reine Ensembleleistung

Die Qualität der Produktion lässt sich folglich nicht an individuellen Sängerleistungen messen, sondern am Zusammenspiel des Ensembles – und das liefert am Premierenabend ordentlich: Zwölf Sänger stehen auf der Bühne, acht mit zugewiesener Rolle, die übrigen vier als Choristen. Alle agieren gleichwertig, fügen sich in eine klanglich und szenisch fein justierte Einheit, ohne dass sich jemand auf Kosten der anderen in den Vordergrund singt. Sollte man dennoch nach besonderen sängerdarstellerischen Akzenten suchen, dann etwa bei Andrea Stadel, die dynamisch ausladend eine ziel- und pflichtbewusste Brangäne gibt. Oder bei Delia Bacher, deren seidig-ätherischer Mezzosopran in den wenigen Minuten des Verrats an Tristan eine fast genießerische Boshaftigkeit suggeriert.

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Die enge Verzahnung von Spiel und Narration gelingt Regisseurin Jennifer Toelstede und Bühnenbildnerin Iris Braun mit pointierten, teils sarkastischen Impressionen und wandelbaren Bühnenelementen: giftgrünes Licht unterstreicht die unheilvolle Magie des Trankes und verweist gleichzeitig auf Isôts irische Herkunft. Kaum in Cornwall angekommen, werden – mit augenzwinkerndem Realismus – Regenschirme aufgespannt. Bühnenvorhänge mutieren durch Lichtregie zu tosenden Wellen oder zu romanischen Rundbögen. Stets steht das Kammerspiel im Vordergrund – das Zusammenspiel von Interaktion, Gesang und Narration, nie aber reines Schaulaufen oder entseelte Ästhetik.

Szenenbild aus „Der Zaubertrank“
Szenenbild aus „Der Zaubertrank“

Musikalisches Motorboot

Musikalisch leitete Kapellmeister Nathan Bas den Abend, der am Klavier sich, die Sänger und ein Streicherexzerpt des Philharmonischen Orchesters Lübeck choreografierte. Vergleicht man Wagners „Tristan“ mit einem symphonischen Ozeandampfer, so kommt Martins „Der Zaubertrank“ wohl einem wendigen Motorboot nahe: schnell, agil und zu raschen Nuancen befähigt. Diese Vorzüge kostet Bas mit Freuden bis ins Extreme aus – wohlwissend, dass Martins Partitur im Gegensatz zu Wagner keine komplexen Leitmotive bietet, an denen sich der Hörer orientieren könnte. Stattdessen bleibt die Erzählung stets im Fluss, ein musikalischer Strom, der ohne große Höhepunkte auskommt und doch fesselt.

Lübeck beweist Mut, indem es sich an ein wenig bekanntes Werk wagt – und das mit einer klugen, subtil erzählten Inszenierung, die sich nicht in Pathos verliert. Ein musikalisches Kammerspiel, das als kompakte Alternative zum übergroßen „Tristan“ glänzt – in nicht einmal einem Drittel der Zeit.

Theater Lübeck (Kammerspiele)
Martin: Der Zaubertrank (Le Vin herbé)

Nathan Bas (Leitung), Jennifer Toelstede (Regie), Iris Braun (Bühne, Kostüme & Video), Daniel Thulke (Licht), Jens Ponath (Dramaturgie), Evmorfia Metaxaki, Andrea Stadek, Delia Bacher, Frederike Schulten, Noah Schaul, Mark McConnell, Jacob Scharfman, Timotheus Maas, Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck




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