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Opern-Kritik: Theater Magdeburg – Die Blume von Hawaii

Hawaii, ein Operetten-Traum

(Magdeburg, 8.9.2023) Die Oper in Magdeburg startet mit Paul Abrahams Operette „Die Blume von Hawaii“ in die neue Spielzeit.

vonRoberto Becker,

Wer nicht gerade ein Liebhaber von Fernreisen ist, dem kommt Hawaii heute am ehesten in der US-Krimi Serie „Hawaii Five-0“ unter. Allein die Naturbilder des Drohnenfluges über die Insel im Vorspann haben echte Verführungsqualitäten. Im Vor-TV Zeiten war es die 1931 in Leipzig uraufgeführte Operette „Die Blume von Hawaii“ von Paul Abraham, die mit diesem Paradies-auf-Erden-Image spielte. Ohne Mord und Totschlag wie in der CBS-Serie mit den smarten und stets erfolgreichen Ermittlern von heute. Dafür mit einem Verweis auf jenen Teil der Geschichte, in der sich Hawaii noch dem Schicksal entgegenstellte, zu einem weiteren Stern in der Flagge der USA aufzusteigen oder – je nach Perspektive – zu sinken.

Widerstandsgeist der heimischen Bevölkerung wird lebendig gehalten

Abrahams – ebenso wie er selbst – in die Mühlen des Rassenwahns der Nazis geratende Librettisten Alfred Grünwald, Fritz Löhner-Bender und Emmerich Földer siedeln ihre vor allem Wer-mit-Wem lastige Handlung genau in der Zeit an, als die USA schon eine Gouverneurin (na ja) auf der für Onkel Sam so attraktiven Insel haben, der/die die Annexion unter Dach und Fach bringen soll. Der Widerstandsgeist der heimischen Bevölkerung wird von der Hoffnung auf die Prinzessin Laya lebendig gehalten, die es sich zwar in Europa als Bühnenkünstlerin gut gehen lässt, aber bereit ist, in ihre Heimat zurück zukehren, dort den ihr schon in Kindertagen zugedachten Prinzen Lido-Tarozu heiraten, sich zur Königin krönen zu lassen und so den Amerikanern die Tour zu vermasseln.

Der Plan funktionierte natürlich nicht mal im Gewand einer relativ logikresistenten Operette. Immerhin weigert sich Kapitän Reginald Harald Stone, die Widerspenstige auf Geheiss der Gouverneurin festzunehmen. Natürlich aus dem typischen Operettengrund, dass er sich bei der Überfahrt in sie (bzw. in ihre Inkognito-Identität als Suzanne Provence) verliebt hat. Inhaltlich ist es nicht der politische Hintergrund der Story, der die Macher heutzutage in die Bredouille bringt. Da ist schon das amerikanische Selbstverständnis von den USA als der besten der möglichen Welten vor.

Alexander Sprague, Susi Wirth, Doğukan Kuran in Abrahams „Die Blume von Hawaii“
Alexander Sprague, Susi Wirth, Doğukan Kuran in Abrahams „Die Blume von Hawaii“

Magdeburg streicht Jimmy Boy

Es ist die kleine Rolle von Jimmy Boy. Das ist ein schwarzer Saxofon-Spieler, der im Stück auch bei den Damen gut ankommt, und am Ende in einem langen Monolog über die Schikanen klagt, die er ob seiner Hautfarbe auszuhalten hat. Es ist eine seltsame, fast schon unheimlichen Allianz des Zeitgeistes der Entstehungszeit mit dem von heute. In den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts war es das bedenkenlose Spiel mit dem Klischee des potenten, aber ausgegrenzten Schwarzen. Heute gilt es als problematisch Bühnenrollen wie die des Jimmy von geschminkten hellhäutigen oder auch dunkelhäutigen Menschen überhaupt noch darstellen zu lassen. In dieser Hinsicht dominiert ein Ehrgeiz, den Regeln einer vermeintlichen political correctness von heute auch in der Vergangenheit zu entsprechen, um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, dass man diese Klischees teilen würde.

In Magdeburg hat man sich entschieden, die Rolle gleich ganz zu streichen. Allerdings wird die so entstehende Leerstelle als solche benannt und die Rolle des schwarzen Jimmy von der eher gelangweilten weissen Fleischverkäuferin Dani übernommen. Die gehört wie die Operettendiva außer Diensten, Frau Schröder, zu der hinzuerfundenen Rahmenhandlung mit der sich der Magdeburger Intendant Julien Chavez als Regisseur der heutzutage latent drohenden Shitstorm-Gefahr bei Abweichungen vom Korrekt-Sprech (oder dem, was als darstellbar gilt) umgeht.

Carmen Steinert und Rosha Fitzwhole in Abrahams „Die Blume von Hawaii“
Carmen Steinert und Rosha Fitzwhole in Abrahams „Die Blume von Hawaii“

Chavaz hat den Operetten-Bogen raus

Für Chavaz spricht, dass seine dem Zeitgeist von heute angepasste Variante des Personaltableaus auf der Bühne funktioniert und sich nahezu bruchlos in ein erfrischend temporeiches Spiel einfügt. Im Programm ist der Originaltext von Jimmys Monolog im dritten Akt der Neufassung gegenübergestellt. So kann sich jeder selbst eine Meinung bilden. Auch dazu, dass selbst im Zitat des Originals die offenbar unumgängliche Ächtung eines bestimmten Wortes berücksichtigt wird. Man kann sich dabei zwar fragen, wie das einst von Publikumsjahrgängen rezipiert werden soll, die nach Ausbruch der großen Sprachbereinigung lesen und denken gelernt haben. Beantworten lässt sich das vorerst nicht.

Aber sei’s drum – Chavaz hat den Operetten-Bogen raus. Er lässt die Funken sprühen, die Kostüme (von Wojciech Dziedzic) glitzern, die weiblichen und männlichen Tanzbeine fliegen und die gassenhauertauglichen Hits über die Rampe schmettern, dass es eine wahre Pracht ist. Die Magdeburger Protagonisten-Crew, inklusive Chor und Tänzer haben offenkundig ihre Freude an dem Spektakel. Und der operettenaffine Dirigent Kai Tietje macht ihnen mit den Musikern der Magdeburgischen Philharmonie gehörig Beine auf ihrem Weg nach Hawaii und Monte Carlo. Alle zusammen bieten eine mitreißend kurzweilige Show.

Susi Wirth und Carmen Steinert in Abrahams „Die Blume von Hawaii“
Susi Wirth und Carmen Steinert in Abrahams „Die Blume von Hawaii“

Frau Schröder träumt von Abrahams Operettenhawaii

Die beginnt nüchtern mit der Rahmenhandlung in der Metzgerei, wo sich Frau Schröder beim Kauf ihres Biohühnchens sich immer wieder in das Operettenhawaii von Paul Abraham träumt. So beharrlich, dass die Verkäuferin Dani, sie fragt, ob sie denn ihre Medikamente wirklich einnimmt. Es ist wunderbar wie Susi Wirth das als Frau Schröder glaubhaft macht und so ganz nebenbei dem Publikum immer wieder hilft, sich in der vertrackten Handlung zurecht zu finden. Der schauspielerisch höchst überzeugenden Carmen Steinert als Dani bleibt nicht anderes übrig, als dann an Stelle von Jimmy in die Handlung einzusteigen.

Die eigentliche Handlung ist eine Art heraufbeschworener Theatertraum. Hinterm grauen Vorhang erwachen die Figuren der Operette zum Leben und bevölkern eine Bühne auf der Drehbühne, die Jamie Vartan so gebaut hat, dass man sie von allen Seiten einsehen kann. Mit Treppe für den Showauftritt von herrlich aufgetakelten Tänzern, die Spaß daran haben, operettigen Glamour mit einem Hauch von Exotik zu würzen. Wenn die Amerikaner militärisch tun, aufmarschieren und salutieren klingt das von Ferne nach Puccinis „Turandot“, das traumhaft schöne Kostüm der Prinzessin mit seinem Schmetterlingsdekor erinnert an Butterfly. Augenzwinkernd, souverän und heiter.

Den Vogel schiesst Stefan Sevenich als Kapitän Stone ab

Meike Hartmann und Alexander Sprague in Abrahams „Die Blume von Hawaii“
Meike Hartmann und Alexander Sprague in Abrahams „Die Blume von Hawaii“

Den Vogel schiesst Stefan Sevenich als Kapitän Stone ab. Schon weil seine Pirouetten und hingetupften Tanzschritte in einem herrlichen Kontrast zu seiner Figur stehen – so hätte der Komiker Dirk Bach wohl auch seine Tanznummern absolviert. Meike Hartmann ist als Varietee-Schönheit im Glitzerfummel ebenso souverän wie dann als Prinzessin. Alexander Sprague bietet jede Menge Tenorschmelz immer wieder für sein leitmotivisches Schwärmen für Hawaii auf. Eine echte Stimmungskanone im Theater auf dem Theater ist Emilie Renard als Bessie und auch Adrian Domarecki sorgt als putziger John Buffy für Lacher.

Diese „Blume von Hawaii“ ist ein überzeugender Beleg dafür, dass es mehr Exemplare der Gattung Operette gibt, als „Fledermaus“ oder „Gräfin Mariza“, die musikalisch durchweg zünden und hochkarätige Unterhaltung mit Hintersinn verbinden. Im Falle der hinreißenden und vom Publikum heftig gefeierten „Blume von Hawaii“ schließt das den Diskurs über die Änderungen des Personaltableaus ein.

Theater Magdeburg
Abraham: Die Blume von Hawaii

Kai Tietje/Svetoslav Borisov (Musikalische Leitung), Julien Chavaz (Regie), Annemiek van Elst (Mitarbeit Regie), Jamie Vartan (Bühne), Wojciech Dziedzic (Kostüm), Nicole Morel (Choreografie), Sarah Ströbele (Dramaturgie), Suzanne Provence/Meike Hartmann/Rosha Fitzhowle (Prinzessin Laya), Alexander Sprague/Aleksandr Nesterenko (Prinz Lilo-Taro), Stefan Sevenich (Kapitän Reginald Harald Stone), Carmen Steinert (Dani, Jimmy), Susi Wirth (Frau Schröder), Emilie Renard/Weronika Rabek (Bessie Worthington), Adrian Domarecki (John Buffy), Na’ama Shulman/lrene Cabezuelo (Raka), Doğukan Kuran/Marko Pantelić (Kaluna), Ks. Undine Dreißig/Ulrika Benecke-Bäume (Gouverneurin Laura Harrison), Zarah Frola, Daniel Daniela Ojeda Yrureta, Jade Ribaud, Andrea Spartà (4 Tänzer:innen), Opernchor des Theaters Magdeburg, Magdeburgische Philharmonie

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