Der Schauplatz, auf den Bühnenbildnerin Monika Biegler Franz Schrekers „Große Zauberoper“ versetzt, kommt uns bekannt vor. Hinreichend deutlich spielt die Lokalität auf die holzgetäfelte und mit umlaufenden Bänken versehene Bühne für jenes theatrum europaeum an, mit dem sich Münster in die Weltgeschichte einschrieb: den nur einen kurzen Spaziergang vom Theater entfernten Friedenssaal im historischen Rathaus der westfälischen Kapitale. Die Allusion macht Sinn. Die Begebnisse um den Genter Schmied und seinen Teufelspakt tragen sich während des „Achtzigjährigen Kriegs“ zu, in dem sich die Niederländer vom Joch der spanischen Besatzer zu befreien suchten. Durch Anerkennung der niederländischen Eigenstaatlichkeit fand der Konflikt 1648 im Münsteraner Friedenssaal sein Ende.
Hammer- und Redenschwinger
Im vereinfachten und modifizierten Nachbau agiert nun der Genter Schmied vom Podest aus zunächst wie sein eigenes zum Leben erwachtes Denkmal. Mächtig schwingt er den Hammer. Nicht, um das Eisen zu schmieden, solange es heiß ist, vielmehr um sich effektvoll zu positionieren und spaßhaft den einen oder anderen Hintern zu versohlen. Die stattliche Zahl der Gesellen scheint kaum dazu bei ihm angestellt, Schwerter, Harnische und Hufeisen zu fertigen. Weit eher hat sie dem in die eigenen Worte verliebten Meister als Fangemeinde zu lauschen. Zwar hat er sich aus dem aktiven Widerstandskampf zurückgezogen, aber in den eigenen vier Wänden führt er noch immer das große Wort. Und wenn die Spanier sich schon nicht zum Teufel scheren, ihm gar die Geschäftsgrundlage entziehen, so paktiert er eben mit der Hölle. Zumal, wenn sich ihm eine so charmante Teufelin andient wie Astarte. Regisseurin Magdalena Fuchsberger jedenfalls dünkt die Hölle einigermaßen unverdächtig. Teufelinnen und Teufel halten Wedel in Händen wie sonst himmlische Heerscharen und Friedensboten. Zur Not wird der Genter Schmied mit ihnen schon fertig. Und selbst nachdem er Astarte in den Sack gesteckt, sie erpresst und die Urkunde mit dem Satanspakt zurückerlangt und zerfetzt hat, will ihm die Teufelin nicht wirklich übel. Wenn später der inzwischen verblichene Smee auf seinem Weg zum Himmelstor an der Hölle vorbei muss, heißt deren Chefin ihre Entourage ihn lediglich der Form halber und mit harmlosen Geschossen attackieren. Kein Wunder daher, dass sie ihn zu allem Überfluss heimlich mit Wegzehrung für die Reise versehen hat.
Ein Himmel voller Nazis
Im Himmel freilich erwartet den Schmied das braune Wunder. Offenbar bestehen vor dem göttlichen Richter allein Nazis. Selbst der heilige Josef gibt sich als Volksgenosse zu erkennen. Doch ist der Genter Schmied selbst für diesen Fall gerüstet. Umstandslos legt er die Parteiuniform an. Im Schlusstableau beweisen daher Dorothee Curios Kostüme erheblichen Rechercheaufwand für deutsche Uniformen und Mode während der Hitlerei. Vergessen sind die Fatsuits, mit denen Curio den in der Fülle des Wohlstands wabbelnden Schmied und seine Frau im Mittelakt bedacht hatte. Dafür enthüllt der an den Münsteraner Friedenssaal gemahnende Schauplatz nun seinen wahren Charakter jener ihre Vorbilder grob stilisierenden Vulgärarchitektur, die der braunen Bande dazu diente, sich klassisches und historisch relevantes Formengut anzueignen. So frappant die Wirkung ist: Das sich auf die Berliner Uraufführung von Schrekers Oper im Oktober 1932 und dessen Drangsalierung durch die Nationalsozialisten beziehende szenische Leitungsteam geht hier komplett fehl. Denn wer damals in der Berliner Städtischen Oper randalierte, zählte nicht zu den himmlischen Heerscharen. Es war Teufelspack, dem nicht einmal die liebreizende Astarte hätte wehren können.
Ironiesatter Zugriff auf die Partitur
Musikalisch beweist Schrekers letzte Oper in Münster Großformat. Anton Tremmels Chor und Extrachor des Hauses stellen sich der monumentalen Aufgabe und bewegen sich der Effekte sicher durch das Klangspektrum vom gleißnerischen Locken der Hölle bis zu des Himmels Jubelhymnen. Wie das Schmiedehandwerk der Titelfigur gebietet, überwiegen in der Partitur deftiges Blech und heftige Perkussion. Henning Ehlert entlässt diese mit dem Sinfonieorchester Münster unter vernehmlichem Augenzwinkern aus dem Graben. Überdies nimmt das Sensorium von Kapellmeister und Klangkörper für Schrekers Selbstparodien seines früheren Stils in den Sphären des Himmels und der Hölle für sich ein. Durchschlagskräftig, viril und begabt für die vielen grotesken Facetten seiner Rolle, wächst Alik Abdukayumov zum überragenden Gestalter der Titelpartie auf. Abdukayumovs Smee ist eine Wucht an Vitalität und Schalkheit. Stimmlich und spielerisch kongenial verkörpert Wioletta Hebrowska raumgreifend und immer das melodische Potential ihrer Rolle ausreizend seine Frau. Robyn Allegra Parton singt sich silberglänzend und höchst beweglich in des Schmiedes Herz. Auch alle weiteren Partien im großen Ensemble sind trefflich besetzt.
Theater Münster
Schreker: Der Schmied von Gent
Henning Ehlert (Leitung), Magdalena Fuchsberger (Regie), Monika Biegler (Bühne), Dorothee Curio (Kostüme), Aaron Kitzig (Video), Michael Heidinger (Licht), Anton Tremmel (Chor), Margarete Sandhäger, Rita Stork-Herbst (Einstudierung Kinderchor), Alik Abdukayumov, Wioletta Hebrowska, Benjamin Park, Garrie Davislim, Johan Hyunbong Choi, Gregor Dalal, Ki Hoon Yoo, Melanie Spitau, Robyn Allegra Parton, Youn-Seong Shim, Katharina Sahmland, Opernchor und Extrachor des Theater Münster, Kinderchor Klasse 6 Gymnasium Paulinum, Sinfonieorchester Münster