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Operetten-Kritik: Theater Nordhausen – Märchen im Grand-Hotel

Manche mögen‘s schrill

(Nordhausen, 29.11.2024) Paul Abrahams Lustspieloperette sorgt jetzt auch am Theater Nordhausen für Furore.

vonRoberto Becker,

Das erlebt man auch nicht alle Tage: Einerseits muss man in Nordhausen hinten herum ins „Theater im Anbau“ gehen. Hat man dann dort im provisorischen Zuschauerraum in einem der aus dem großen Haus stammenden Sitze Platz genommen, dann gibt es die obligate Ermahnung, die Handys auszuschalten, gleich als erste Nummer und mit großem Orchester intoniert. Irgendwie passt dieser Sowohl-als-auch-Auftakt zum Stück, das auf dem Premierenplan steht. Es ist Paul Abrahams Lustspieloperette „Märchen im Grand-Hotel“.

Dem mit der „Blume von Hawaii“ im Knopfloch auf seinem „Ball im Savoy“ tanzenden ungarisch-jüdischen, aber eigentlich deutschen Star der Berliner Operette gelang es 1934 nicht mehr, sein „Märchen im Grand-Hotel“ im Deutschland der Nazis herauszubringen. In Wien ging es gerade noch. Danach wurde es sehr finster. Nicht nur für Abraham und seine Musik. Sein Librettist Fritz Löhner-Beda etwa wurde 1942 in Auschwitz ermordet. Abraham rettete sich via Kuba in die USA, wo er nie Fuß fassen konnte und obendrein schwer erkrankte. Als ihn 1956 ein Freundeskreis zurück nach Deutschland holte, drang diese Rückkehr schon nicht mehr zu seinem zerrütteten Geist durch. Er wähnte sich Zeit seines Restlebens in New York kurz vor einem neuen Erfolg.

Szenenbild aus „Märchen im Grand-Hotel“
Szenenbild aus „Märchen im Grand-Hotel“

Barrie Koskys Einsatz für Paul Abraham hat Folgen.

Nicht nur wegen der unstrittigen Qualität seiner Musik, auch wegen dieser Biografie ist die Vehemenz und der nachhaltige Erfolg, mit denen sich Barrie Kosky als Intendant der Komischen Oper Berlin und als Regisseur für die Werke von Abraham eingesetzt hat, höchst verdienstvoll. Nachdem Kosky sich mit einer konzertanten Fassung als Märchenerzähler im Grand-Hotel betätigt hatte, zogen viele größere und kleine Bühnen nach. Wenn es dann auch für Häuser wie das Theater Nordhausen wieder eine Option (und eine Alternative zu „Die Fledermaus“ oder „Gräfin Mariza“) ist, um dem Publikum mit flottem Operetten-Klamauk einzuheizen, dann hat es das Werk zurück ins Repertoire geschafft.

„Hollywood meets europäischen Hochadel“

Dass der Plot seine Funken aus einem „Hollywood meets europäischen Hochadel“ schlägt, ist durchaus eine zwar alte, aber immer noch begehbare Brücke in die Gegenwart. Man traut beiden einen gewissen Hang zum Übergriff auf den jeweils anderen zu. In Hollywood sucht Filmmagnat Sam Macintosh (Florian Tavic) nach neuen Ideen für Filmsujets. Seine clevere Tochter Marylou (emanzipiert selbstbewusst: Julia Steingaß) will an der Côte d’Azur unter den dort ihr Exil zelebrierenden Nobilitäten das Personal für einen Film casten, den sie dann mit genau diesen Herrschaften drehen will. Die Infantin von Spanien Isabella (Yuval Oren wechselt mühelos zwischen Habitus der Infantin und dem Sexappeal einer Diva, wobei der Unterschied bei ihr marginal wird) ist die ranghöchste Kandidatin. Die genretypische Lovestory zeigt sich zunächst vor allem im liebestollen Zimmerkellner-Tollpatsch Albert, der nur deshalb nicht achtkantig rausfliegt, weil er der Sohn des Hotel(ketten)-Besitzers ist und inkognito einer von der Pike-auf-Anweisung des Papas folgt.

Szenenbild aus „Märchen im Grand-Hotel“
Szenenbild aus „Märchen im Grand-Hotel“

Overacting mit Methode

Regisseur Matthias Kitter hat offensichtlich großen Spaß daran, gerade diesen Kellner (Marian Kalus) und seinen Hoteldirektor (Sven Mattke) so ins Overacting zu treiben, dass sie dabei vor allem bei ihren verbalen Exzessen manchmal fast aus der Kurve fliegen. Auch mit Komödiantenehrgeiz, gleichwohl mit Maß, geht dagegen Funda Asena Aktop als Gräfin Pepita Inez de Ramirez ans Werk. Oder auch Rina Hirayama in ihrer Hosenrolle als Prinz Andreas Stephan. Sie gehören zum Rahmen für die Auftritte Isabellas, die sich, sozusagen qua Geburt, immer mit Sinn für Wirkung in Szene setzt.

Drehbühnen-Cleverness ersetzt Ausstattungs-Opulenz

Bei dem Drehbühnenrund von Emma Gaudiano und den Kostümen von Anja Schulz-Hentrich fliegt nichts auseinander. Die Bühne changiert mit einem Dreh clever zwischen Studiovorzimmer an der US-Westküste und Hotellobby, Boudoir und Salon an der Côte d’Azur. Die ausschmückende Opulenz, die da möglich wäre, muss man sich hier umständehalber einfach dazu denken. Was aber dank der Spielfreude der Protagonisten und des nie nur rumstehenden Chores auch ohne weiters gelingt. Wegen des unumgänglichen Happyends für Marylous Film und die Operette gibt Isabella ihren Standesdünkel auf und wird Filmstar.

Szenenbild aus „Märchen im Grand-Hotel“
Szenenbild aus „Märchen im Grand-Hotel“

Albert kommt ziemlich aufgetakelt als adoptierter Prinz durch den Zuschauerraum auf sie zu. Der Dirigent des Loh-Orchesters Sondershausen, Julian Gaudiano, hat nicht nur die Musiker hinter der Bühne, sondern via Bildschirm auch die Protagonisten auf der Bühne davor bestens im Griff. Ihm gönnt die Regie auch den Posten des attraktiven Hotelpianisten. Das funktioniert im Ganzen gut, die mikroportverstärkten Sänger wären allerdings auch etwas gedämpfter bestens zu verstehen. Auch hier wäre etwas weniger mehr gewesen.

Theater Nordhausen
Abraham: Märchen im Grand-Hotel

Julian Gaudiano (Leitung), Matthias Kitter (Regie), Emma Gaudiano (Bühne), Anja Schulz-Hentrich (Kostüme), Lukas Strasser (Choreografie), Aron Kitzig (Video), Markus Fischer (Chor), Juliane Hirschmann (Dramaturgie), Yuval Oren, Marian Kalus, Julia Steingaß, Rina Hirayama, Thomas Kohl, Funda Asena Aktop, Julian Gaudiamo, Benjamin Prinz, Katharina Blum, Wonjun Joo, Marvin Scott, Si Young Lee, Jens Bauer, Hyun Min Kim, Opernchor des Theaters Nordhausen Ballett TN LOS! (Filmaufnahmen), Loh-Orchester Sondershausen






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