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Opern-Kritik: Tiroler Festspiele Erl – Götterdämmerung

„Ring“-Finale in Erl

(Erl, 16.7.2023) Brigitte Fassbaender rundet ihre präzise „Ring“-Regie. Gestik und Gesang ergänzen sich bei ihr ideal. Es schließt sich eine Tetralogie voller suggestiver Höhepunkte.

vonRoland H. Dippel,

Im Juli kam es durch der Pandemie geschuldeten Verschiebungen zur Premiere der zweiten „Ring“-Hälfte mit „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ in Wochen- statt Jahresfrist. Eine satte Leistung im Passionsspielhaus mit seinen reduzierten technischen Möglichkeiten, dessen musikalische Eindringlichkeit auch durch das hinter dem szenischen Geschehen spielende Orchester der Tiroler Festspiele entsteht. Brigitte Fassbaender ist für ihre analytische Gründlichkeit bekannt: Ihre erste Inszenierung von Wagners in Bayreuth 1876 uraufgeführtem Bühnenfestspiel fasziniert durch eine schnörkellose wie scharfe Sichtweise auf die Figuren und sängerfreundliche Lösungen. 2024 gibt es in Erl zwei komplette Zyklen.

Vincent Wolfsteiner als Siegfried in Wagners „Götterdämmerung“
Vincent Wolfsteiner als Siegfried in Wagners „Götterdämmerung“

Feinschliff und Drama

Die Arbeit an diesem Finale zerfällt nach der Geradlinigkeit der ersten drei Stücke „Das Rheingold“, „Die „Walküre“ und „Siegfried“ in mehrere Stilhöhen. Da sind zum einen Szenen mit filigranem szenischem Feinschliff wie die der drei Nornen: Marvic Monreal, Anna-Katharina Tonauer und Monika Buczkowska werden drei nette ältere Damen mit Neigungen zu Handarbeiten und hellseherischem Ökobewusstsein. Auch der Dialog zwischen Hagen und Alberich (Craig Colclough) gelingt faszinierend. Der abgestürzte Zwerg sitzt seinem Sohn, der machoide Gentleman-Anwandlungen kultiviert, im Nacken: Eine schale wie machtvolle Erinnerung. Mit dem Chor malt Brigitte Fassbaender eine graue Welt ohne Drohgebärden und Freude, dafür von amtsgemäßer Nüchternheit. In dieser haben Frauen eine etwas bewegtere Sicht auf die Dinge. Solche Details verdecken die Haupthandlung nicht und bringen dennoch spannende Nebenakzente ins szenische Gedankenspiel.

Der hellblonde Gibichung Gunther (Manuel Walser) kommt aus einem blässlich-blasierten Getue nicht heraus, bleibt deshalb szenisch uninteressant. Doch seine Schwester Gutrune gewinnt neben einem sensationellen sängerischen Format auch darstellerisches. Irina Simmes spielt das derart klar wie Gutrunes Vorliebe für Obststückchen und bürgerlichen Wohnkomfort, den Kaspar Glarner in seiner Ausstattung andeutet. Eine Galerie zieht sich über die Bühne, vor welcher sich die schleichende Naturzerstörung mit viel von Wagner beschworenem Nebelgewölk vollzieht.

Christiane Libor als Brünnhilde in Wagners „Götterdämmerung“
Christiane Libor als Brünnhilde in Wagners „Götterdämmerung“

Verwilderte Götterkinder

Vincent Wolfsteiner als Siegfried ist ein Tölpel in Angleroutfit, der weder von Frauen noch Billard und Wohnkultur Ahnung hat, alles zweckentfremdet und einiges kaputt macht. Brünnhilde benimmt sich ungeschliffen und grob. Auch das ist zweischneidig: Bei Vincent Wolfsteiner besteht noch Synchronie zwischen Verhalten und Stimme, die bei Siegfrieds Tod durch Hagens Dolchstoß sogar zum Blühen kommt. Christiane Libor nutzt die Chance in diesem „Ring“ nicht, um bisherige Brünnhilde-Erfahrungen zu verfeinern, zu schleifen und zu optimieren. Hier wirken Siegfried und Brünnhilde wie Urgesteine in einer Gesellschaft, deren Formen und Zwecke für gefallene Gottwesen undurchschaubar sind.

Robert Pomakov gibt den „schamlosen Albensohn“ Hagen mit rotem Vollbart sympathisch und persönlichkeitsstark, erfreulich undämonisch und mit scharfer Kantabilität. Es versteht sich, dass die Rheintöchter (Anna Nekhames, Karolina Makuła, Katharina Magiera) mit körperlichen Eindeutigkeiten, aber ähnlich verdichteter Leichtigkeit wie die Nornen geführt sind. Eindrucksvoll und mit stiller Differenzierung gelingt die Szene der Waltraute (Zanda Švēde).

Die drei Nornen: Marvic Monreal, Anna-Katharina Tonauer und Monika Buczkowska in Wagners „Götterdämmerung“
Die drei Nornen: Marvic Monreal, Anna-Katharina Tonauer und Monika Buczkowska in Wagners „Götterdämmerung“

Starkes Orchester mit Melancholie

An nur ganz wenigen Stellen und da desto wirkungsvoller trumpft das Orchester der Tiroler Festspiele mit vernichtungsbegeisterter Schwärze auf. Die Trauermusik für Siegfried ist durchsetzt von schmerzgepeinigten kleinen Crescendi. Erik Nielsen betont das Ariose und Transparente der Partitur, angemessen zu den nur selten ausladenden Gesangsleistungen außer denen von Brünnhilde und Siegfried. Auch durch die Position des Orchesters hinter den Solisten liegt ein melancholischer Schleier auf den Streichern. Die geballte bis explosive Dramatik des zweiten Aktes bleibt geformt, die idyllischen Stellen der Rheintöchter geraten nicht zu milde.

Insgesamt schließt sich so ein „Ring“ mit suggestiven Höhepunkten wie in der Erda-Wanderer-Szene in „Siegfried“, bei der das frühere Paar zum beidseitigen Nichteinverständnis Sektkelche kreuzt. Gestik und Gesang ergänzen sich ideal. Am Ende schwebt über Wagners vielleicht sogar hoffnungsvollem Schluss noch immer tiefe Skepsis. Großer Applaus eines Publikums, welches die Vorzüge dieses Festspielorts schätzt und genießt.

Tiroler Festspiele Erl
Wagner: Götterdämmerung

Erik Nielsen (Leitung), Brigitte Fassbaender (Regie), Kaspar Glarner (Bühne & Kostüme), Izabela Chełkowska-Wolczyńska (Kostüme), Jan Hartmann (Licht), Bibi Abel (Video), Mareike Wink (Dramaturgie), Chor und Orchester der Tiroler Festspiele Erl, Vincent Wolfsteiner, Craig Colclough, Robert Pomakov, Manuel Walser, Christiane Libor, Irina Simmes, Zanda Švēde, Marvic Monreal, Anna-Katharina Tonauer, Monika Buczkowska, Anna Nekhames, Karolina Makuła, Katharina Magiera, Chor der Tiroler Festspiele Erl

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