Knusper, knusper, knäuschen an jedem Opernhäuschen: Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ wurde am 23. Dezember 1893 in Weimar zum ersten Mal aufgeführt. Seither erfreut der Dauerbrenner jedes Jahr bei Weitem nicht nur Kinder und Familien in der Winterzeit. Neuproduktionen gibt es im November etwa in Rostock, Bremerhaven und Koblenz zu sehen, während das Werk als Wiederaufnahme ab diesem Monat wiederum auf nahezu jedem Theaterspielplan zu finden ist. Wer von der Geschichte rund um das naschende, verirrte Geschwisterpaar und die fürchtenmachende Knusperhexe im Lebkuchenhaus schon übersättigt ist und Neues für Groß und Klein probieren will, für den hält die Opernlandschaft dieser Tage einige spannende märchenhafte Alternativen bereit.
Vorsichtige, die sich noch nicht allzu weit von den alten Gewohnheiten entfernen wollen, können erst mal im Märchenkosmos der Grimm-Brüder verbleiben – wenngleich in modernisierter Ausführung: „Die Bremer Stadtmusikanten“ halten Einzug in Köln und Cottbus. Komponist und Klarinettist Attila Kadri Şendil erzählt hier die Mär über die vier berühmten verstoßenen, später zum vermeintlichen Ungetüm aufgetürmten Tiere auf neuartige Weise. Nicht nur Story, Botschaft und Erzählsprache (die Tiere singen und sprechen einen besonderen Slang, der aus mehreren Sprachen besteht) werden in ein zeitgemäßes Gewand gehüllt, sondern auch die Musik, die traditionelle türkische Instrumente, orientalische Rhythmen und jazzige Harmonien mit einbezieht. Regie führt in Köln Theresa von Halle, in Cottbus zeichnet Johannes Oertel für die Inszenierung verantwortlich.
Şendil hatte die Kinderoper 2017 im Auftrag der Komischen Oper Berlin komponiert. Hier wiederum beziehungsweise im Komischen Ausweichquartier am Schillertheater steht mit „Nils Holgerssons wundersame Abenteuer“ eine weitere Uraufführung für das (vornehmlich) junge Publikum an. Das zugrundeliegende Buch über den kleingeschrumpften Titelhelden, der mit seinem Freund, der Hausgans Marten, auf luftige Reise geht, stammt aus der Feder der schwedischen Autorin Selma Lagerlöf und erschien erstmals 1906. Nun hat die Australierin Elena Kats-Chernin die berühmte Geschichte über Mut, Freundschaft und Selbstvertrauen in eine Kinderoper verwandelt.
Zwerge und Lokomotiven
Mit Werken jener Gattung war die Komponistin bereits 2015 mit „Schneewittchen und die 77 Zwerge“ sowie 2019 mit dem Michael Ende-Klassiker „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ in Erscheinung getreten. Beide Stücke wurden ebenfalls an der Komischen Oper Berlin uraufgeführt. Das letztere davon, dessen eigentlicher Hauptprotagonist weder Lukas noch Jim Knopf, sondern, wie jedes Kind weiß, Emma, die schnaufende Dampflokomotive ist, geht übrigens gerade am Opernhaus Zürich in Neuproduktion und entführt dort die Zuhörerschaft aus den Schweizer Alpen direkt ins schöne Lummerland.
Noch abgefahrener kann man es am Theater Regensburg haben: Hier schickt man sich in „Die Rückkehr von Peter Pan“ an, die Erzählung des fliegenden, anarchischen Jungen, der nie erwachsen wird, mit den Originalfiguren von J. M. Barrie weiterzuspinnen – in einem bunt-gewitzten Familien-Musical mit Musik von Stephen Keeling, narrativ angepasst an die schuldbehaftete Welt des 21. Jahrhunderts, in der selbst Kinder in Netz und TV schon alles gehört und gesehen haben, und in der sich doch kein Kind mehr von einer ollen Piratengeschichte hinter dem Tablet hervorlocken lässt – oder? Allein schon das mannigfaltige Angebot, das die Opernlandschaft dieser Tage an kinder- und familientauglichem Musiktheater bereithält, sollte da wohl das erfreuliche Gegenteil beweisen.