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Opern-Tipps im Januar 2025: Männer auf Missionen

Morbide Machtspiele

In der Menschheitsgeschichte gab es genügend Herrscher, die ehrgeizige, mitunter despotische Ziele verfolgten. Viele fanden ihren Weg auch in die Oper.

vonAndré Sperber,

Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht!“, ruft der Wolf durch die Tür. „Wir machen nicht auf“, antworten die Geißlein, „du bist unsere Mutter nicht.“ Wir alle kennen das Ende vom Lied: Der Wolf macht sich mit Kreide die Stimme hell, mit Mehl die Pfote weiß, schon ist die Täuschung perfekt. Sie alle landen in Isegrims Rachen – von dem Kleinsten im Uhrenkasten einmal abgesehen. So alt, märchenhaft und auch albern die Grimm’sche Mär von den sieben Geißlein sein mag: Es gibt Menschen, Herrscher in unserer realen Welt, die sich auf ähnliche Weise wie der gute alte böse Wolf durch Lügen, Heuchelei und falsche Versprechungen Zugang zur Macht verschafft haben. Die Geschichte kennt genügend Beispiele, die Gegenwart leider auch.

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An der Hamburger opera stabile etwa begibt man sich auf die Spur eines solch trugvollen Despoten, ähnlich wie bereits 2021 in Bernhard Langs „Playing Trump“. Allerdings wird der Schafsbepelzte in „Die Kreide im Mund des Wolfs“ nicht namentlich benannt. Das Libretto, von Dieter Sperl aus Originalzitaten jenes Unbenannten zusammengetragen, offenbart jedoch schnell Assoziationen. Hier ein Auszug: „Russland ist ein freundlich gesinntes europäisches Land. Für unser Land […] ist der stabile Frieden auf dem Kontinent das Hauptziel.“ Geäußert 2001, vertont von Gordon Kampe in gegenwärtigen Kriegszeiten.

Beispiellose Grausamkeit

Menschenverachtende Kriegstreiberei und totalitäre Machtstrukturen, die vom Größenwahn eines einzelnen Mannes ausgehen, finden sich auch in Viktor Ullmanns „Der Kaiser von Atlantis“. Tyrann Overall erklärt hier kurzerhand den Krieg aller gegen alle. Ein klingendes Mahnmal, dessen Wirkung sich noch durch die Tatsache vervielfacht, dass Ullmann das Werk im KZ Theresienstadt schrieb, kurz bevor er nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde. Als Zusammenspiel von Musik- und Tanztheater kombiniert Dirigent Omer Meir Wellber den Einakter an der Volksoper Wien mit Mozarts Totenmesse zu einem „KaiserRequiem“.

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Selbst zum Kaiser und absoluten Herrscher krönte sich einst Napoleon Bonaparte. Dessen einziger legitimer Nachfahre, der den Beinamen „L’Aiglon“ („der junge Adler“) trägt, möchte in die Fußstapfen seines berühmten Vaters treten. Machtversessen, von Ruhm und Ehre träumend, versucht er sich an der Rückeroberung Frankreichs. Doch die Schrecken des Krieges, die sich ihm auf dem Schlachtfeld offenbaren, holen ihn schnell zurück in die Realität. Daran merkt man, dass es eben doch nur eine Oper ist: „L’Aiglon“, das am Staatstheater Mainz unter der Regie von Luise Kautz aufgeführt wird, war ein Gemeinschaftsprojekt der Komponisten Arthur Honegger und ­Jacques Ibert aus dem Jahr 1937. Zwei Jahre später lässt sich leider niemand von den Schrecken des Krieges zur Vernunft bringen.

Freiheitskämpfer und Könige

Den Feldherren Mazeppa, der die ukrainischen Kosaken glorreich zum Sieg führt, kennen wir in erster Linie aus der entsprechenden Tschaikowsky-Oper. Ein gleichnamiges Werk schuf 1892 die Komponistin Clémence de Grandval, deren Protagonist zunächst als Verdammter vor dem sicheren Tode bewahrt, dann mit großer Macht betraut wird, bevor er diese missbraucht, daraufhin gestürzt und schließlich wieder verdammt wird. Ein spektakuläres romantisches Drama einer viel zu selten gespielten Komponistin, in München nun vom Rundfunkorchester konzertant aufgeführt.

Auch am Theater Nordhausen ist es ein machtvoller Herrscher, der aber nach überstandenem Krieg plötzlich machtlos scheint: Um auf der Heimfahrt einem Sturm zu entgehen, verspricht König Idomeneo dem Meeresgott Neptun leichtfertig, den ersten Menschen zu opfern, der ihm bei seiner Ankunft zu Hause begegnet. Natürlich ist es sein eigener Sohn. Wie gefährlich es wird, wenn die mächtigen Männer sich mit den noch mächtigeren Göttern anlegen, spiegelt sich in Mozarts tosender Musik wider.






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