Startseite » Interviews » „Dafür bin ich doch Opernsängerin geworden!“

Interview Pretty Yende

„Dafür bin ich doch Opernsängerin geworden!“

Unter den internationalen Sängern ist Pretty Yende noch relativ jung, dabei entdeckte die Sopranistin erst mit 16 ihre Stimme

vonMaximilian Theiss,

Nachdem die Südafrikanerin 2009 in Wien den Belvedere Gesangswettbewerb gewonnen hatte, durchlief die Sopranistin ihre internationale Karriere im Schnelldurchlauf, die sie binnen drei Jahre unter anderem an die Mailänder Scala und der New Yorker Met brachte. Derzeit singt sie an der Pariser Bastille, danach debütiert Pretty Yende an der Münchner Staatsoper.

Léo Delibes’ Blumenduett aus Lakmé als Hintergrundmusik einer Werbung – das war der Schlüsselmoment für Sie, um Opernsängerin zu werden. Da musste doch noch mehr folgen, um Ihre Passion für das Musiktheater zu besiegeln, oder?

Klar, wegen Lakmé wurde ich nicht zur Opernsängerin. Aber es war eine Initialzündung, und zwar eine sehr heftige. Da begriff ein 16-jähriges Mädchen in einer kleinen südafrikanischen Stadt plötzlich, welche Kraft und welche Macht die Stimme als Instrument haben kann. Damals kannte ich solche Musik noch gar nicht und wusste nicht, dass die menschliche Stimme so ein Geschenk sein kann.

Aber wie haben Sie sich musikalisch „weiterernährt“? Nur die klassisch unterlegten Fernsehwerbungen anzusehen führt sicher nicht sonderlich weit …

Ich habe das Radio eingeschaltet und es nach Klassiksendern durchforstet, bis ich fündig wurde: RSG, ein Sender in afrikaanser Sprache. Jeden Abend von neun Uhr bis Mitternacht gab es dort klassische Musik. Diese Sendungen habe ich auf Kassette aufgezeichnet, um mir am nächsten Tag jedes einzelne Stück anzuhören. Ich habe die Gesangsstimmen imitiert und mich mit den Arien vertraut gemacht. Zwar hatte ich schon erste Erfahrungen als Sängerin: Als ich fünf Jahre alt war, brachte mir meine Großmutter Lieder bei, später hatte ich auch Auftritte in der Kirche als Solistin. Aber als ich erstmals hörte, welche Möglichkeiten eine klassisch geschulte Stimme hat, war ich fasziniert. Ich war aber auch schlicht neugierig gegenüber dieser großen, weiten Welt der Oper …

… die ja nur ein Teil der klassischen Musik ist. Haben Sie sich auch mit instrumentalen oder konzertanten Formen auseinandergesetzt?

Als ich in Kapstadt studierte, ja. Das half mir auch zu verstehen, wie eine Komposition funktioniert. Ich arbeite zwar mit meiner Stimme, aber letztlich ist auch sie ein Teil des Instrumentariums innerhalb einer Opernpartitur. An der Cape Town Opera gab es neben den Opern- und Konzertaufführungen auch Weiterbildungsprogramme, die ich sehr gerne besucht habe: Ein Live-Erlebnis ist schließlich ein riesengroßer Unterschied zu einem mitgeschnittenen Radioprogramm. Gesteigert werden konnten solche Erfahrungen nur noch durch meine Bühnenauftritte selbst, wenn man seine Freude an der Musik teilen und weitergeben kann.

Besuchen Sie denn auch als Zuhörerin Opernaufführungen? Ganz incognito ist so etwas bei Ihrem Bekanntheitsgrad, den Sie inzwischen genießen, sicherlich nicht mehr möglich…

… und doch ist es für mich als Sängerin wichtig zu wissen, was das Publikum bewegt. Dieses Wissen kann ich nur erlangen, wenn ich mich selbst unter die Zuhörer mische. Aber es stimmt schon: Es kommt inzwischen immer häufiger vor, dass mich die Leute erkennen. Daran muss ich mich erst noch gewöhnen, andererseits: Wenn mich jemand anspricht und mir erzählt, was ich allein mit meinem Gesang in ihm ausgelöst habe – genau deshalb bin ich doch Opernsängerin geworden! Die großartigen Empfindungen, die ich beim Singen habe, möchte ich schließlich ans Publikum weitergeben.

Und was ist, wenn die großartigen Empfindungen sich nicht einstellen? Schließlich haben Sie sicherlich hie und da beispielsweise mit Lampenfieber zu kämpfen.

Früher litt ich oft unter meiner Nervosität. Aber es ist nun mal so: Wir haben es hier mit einer fiktiven, spirituellen Welt zu tun, die von uns Menschen allein mit der atmosphärischen Kraft der Musik erschaffen wird, indem wir mit Emotionen arbeiten und Figuren zum Leben erwecken. Das alles transportieren wir dem Publikum und kommunizieren dadurch auch gewissermaßen mit ihm. Die Bezeichnung der Musik als Sprache kommt da nicht von ungefähr. Ich kann aber nur überzeugend sein, wenn ich frei von negativen Emotionen bin.

Auf Ihrer neuen CD A Journey präsentieren Sie jene Belcanto-Arien, die besondere Meilensteine auf Ihrer Reise zum Opernstar darstellen. Was sind denn Ihre zukünftigen, ganz großen Ziele?

Ach, da braucht man gar nicht in die Zukunft zu blicken: Gegenwärtig bereite ich mich auf meinen Auftritt als Lucia di Lammermoor an der Opéra Bastille vor. Das ist definitiv ein Meilenstein für mich: An diesem großartigen Haus eine der anspruchsvollsten Partien nicht nur des Belcanto, sondern der Opernliteratur überhaupt singen zu dürfen! Ein weitere große Station wird in dieser Spielzeit mein Debüt am Royal Opera House in Covent Garden sein, wenn ich an der Seite von Rolando Villazón die Adina aus Donizettis L’elisir d’amore geben werde. Ein Traum ist, sofern es meine Stimme zulassen sollte, die drei Königinnen Donizettis zu singen: Anna Bolena, Maria Stuarda und Elisabeth I. in Roberto Devereux. Und dann ist da natürlich noch mein allergrößtes Ziel: eines Tages die Partie der Norma zu singen.

Paris, London, New York, Mailand, im November auch noch München, wo Sie an der Bayerischen Staatsoper Ihr Debüt feiern: Gibt es angesichts Ihrer erstaunlichen Reisetätigkeit überhaupt noch einen Ort, an dem Sie sich zuhause fühlen?

Derzeit ist es Mailand. An der Scala feierte ich meine ersten internationalen Erfolge, ich konnte in dieser Stadt so viel lernen, selbst italienisch spreche ich inzwischen fließend. Aber jetzt, wo ich gerade in Paris bin … Plötzlich fühle ich mich auch hier wie daheim und lerne die französische Sprache. Vielleicht wird ja auch hier irgendwann mal mein Zuhause sein. Aber ganz egal, wie gut es im Leben läuft und wohin einen die eigenen Träume leiten – meine Heimat bleibt Südafrika. Hier sind meine Wurzeln, hier lernte und lebte ich, bevor ich „Pretty, die Opernsängerin“ wurde, weshalb auch Südafrika der Ort für mich ist, der mich erdet und an dem ich mich zurückziehen kann.

In Ihrer Kindheit und Jugend hatten Sie sicherlich bestimmte Klischeevorstellungen von der Oper. Welche haben sich bewahrheitet, welche sich als falsch erwiesen?

Ein sehr großes Klischee war lange Zeit, dass schwarze Menschen bestimmte Rollen nicht singen konnten. Zum Glück sind diese Zeiten vorbei und man weiß es heutzutage besser. Ich selbst bin da der lebende Beweis, schließlich singe ich weltweit an Opernhäusern Rollen, die man Schwarzen früher nie gegeben hätte. Vielleicht wird es eines Tages die Oper sein, die der Welt zeigt, dass wir alle gleich sind, egal, welche Hautfarbe wir haben.

Meinen Sie wirklich, das Musiktheater hat die Kraft dazu?

Was passiert denn bei einer Aufführung? Magie! Manchmal haben wir danach auf dem Heimweg lauter Fragen im Kopf, und manchmal sind wir einfach nur beschwingt oder inspiriert. Wie ich schon vorher sagte: Zwischen Künstlern und Publikum findet eine Kommunikation statt, die über das gesungene Wort hinaus reicht. Und wenn ich mit meinem Gesang Menschen eine Freude machen kann – dann hat die Oper die Welt doch schon bereits ein Stückweit besser gemacht.

Termine

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!