Deutschland hat mit seinen achtzig festen Opernensembles und den dazugehörigen Opernhäusern so viel Musiktheater-Exzellenz zu bieten wie der gesamte Rest dieses Globus zusammengenommen. Doch der letzte spektakuläre Neubau eines entsprechenden Tempels der Hochkultur wurde hierzulande im vergangenen Jahrhundert eingeweiht: Das war das Aalto Theater in Essen. Es öffnete 1988 erstmals seine Pforten. Human und organisch sollte seine Architektur sein, für die der legendäre Finne Alvar Aalto stand.
Die asymmetrische Form des einem griechischen Amphitheater nachempfundenen Auditoriums, all die fließenden Rundungen, die einladenden Foyers, deren Sichtlinien hinaus in den Park führen, sorgen für Wohlbefinden und Niedrigschwelligkeit. Unter seinem Intendanten und Generalmusikdirektor Stefan Soltesz spielte sich das Aalto Theater in der Folge auch künstlerisch nach ganz oben: 2008 wurde es „Opernhaus des Jahres“. Rückblickend nahezu ein Schnäppchen waren die Baukosten von seinerzeit 160 Millionen DM.
Sanierungs-Schauergeschichten
Für positive Schlagzeilen – einschließlich zwischenzeitlicher kostenbedingter Krisen – sorgen seitdem ausschließlich Neubauprojekte im europäischen Ausland. Denn in Deutschland, dem politisch-wirtschaftlichen Sanierungsfall, wird in Operndingen momentan nur über mitunter jahrelange Verzögerungen, Baustopps und explosive Anstiege der veranschlagten Budgets für dringend nötige Maßnahmen gestritten, mit denen die Traditionshäuser wieder fit gemacht werden sollen.
Die Schauergeschichten um die Komische Oper Berlin, die Oper Köln oder die Staatsoper Stuttgart zeugen von grassierender Inkompetenz in den politischen Instanzen. Vor allem aber von mangelndem Mut, visionär in die Zukunft zu denken – und statt viel zu teurem Sanierungen-Klein-Klein nach großen Lösungen zu suchen. Letztere würden im beherzten Neubau von veritablen Opernhäusern des 21. Jahrhunderts liegen. Das Ausland macht uns vor, wie es gehen kann.
Vorbilder aus dem Ausland
Die aufregendsten Vorbilder hat Skandinavien zu bieten. So gilt das neue Opernhaus von Oslo gar als größtes norwegisches Kulturprojekt der Nachkriegszeit. Der kurze Weg vom Hauptbahnhof an den Hafen führt Passanten direkt zum Musentempel, dessen weiße Marmorhülle man besteigen kann wie einen Eisberg. Ganztägig steht das Haus Besuchern offen, die auch mal nur für einen Kaffee oder einen Lunch vorbeischauen. Da schweift der Blick auf die Weite des Wassers, der Zugang ist demokratisch: Oper für alle. Im Jahr 2008 wurde das Theater sogar fünf Monate früher als geplant eröffnet, die Baukosten betrugen umgerechnet 548 Millionen Euro – nicht wenig, aber weniger als die schwer kalkulierbaren Instandsetzungen hierzulande.
Sinnliche wie gesellschaftliche Durchlässigkeit zeichnen auch die anderen attraktiven Neubauten im Norden aus, wie jene in Göteborg, Helsinki oder Kopenhagen. Mit jenem in der dänischen Hauptstadt wurde im Besonderen Neuland betreten. Denn die Finanzierung des im Jahr 2005 fertiggestellten Hauses im Hafenquartier Holmen direkt am Kai erfolgte durch den Milliardär Arnold Mærsk Mc-Kinney Møller, nicht durch den Steuerzahler. Dasselbe Modell führte 2017 in Athen zum Erfolg, wo mit der Stavros Niarchos Foundation das Vermögen eines der größten griechischen Reeder das Kulturzentrum als Gesamtkunstwerk ermöglichte: Opernhaus und Bibliothek wurden als Einheit und Ort der Begegnung konzipiert. Die Studiobühne, auf der neues Musiktheater und anspruchsvolle Musicals gezeigt werden, dient der Erprobung des Experiments – und damit der Zukunft der Gattung. Auf eben jene zielte anno 1967 auch der damals junge Wilde Pierre Boulez. Der Komponist sprach sich in einem Interview dafür aus: „Sprengt die Opernhäuser in die Luft!“ Sein Vorschlag war konstruktiv gemeint: Er forderte neue flexible Räume des Musiktheaters, die der Aufführung eines Repertoires jenseits der Romantik dienen.