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Ravenna Festival – Verdi-Gala „The Roads of Friendship”

Hoch lebe der Verdi-Subtext!

(Ravenna, 8.7.2017) Wie Riccardo Muti mit Guiseppe Verdi den westöstlichen Handschlag wagt

vonPeter Krause,

Ganz am Ende des Konzerts reicht Riccardo Muti einer jungen iranischen Geigerin seinen Blumenstrauß weiter, sie nimmt ihn sanft lächelnd an. Und die 4000 Gäste im Palazzo Mauro de André am Stadtrand von Ravenna jubeln. Kleine Gesten können eben eine große Wirkung haben. Man munkelt freilich, es habe bei der nur zwei Tage zuvor in Teheran stattfindenden Verdi-Gala gerade bei diesem Moment ein allzu deutliches Beispiel west-östlicher Irritation gegeben: Da bedankte sich Maestro Muti per Handschlag bei den Musikern seines italienisch-iranischen Freundschaftorchesters – und besagte Geigerin verweigerte ihm ihre Damenhand. Denn was im Westen die höflich selbstverständliche Formel der Begrüßung ist, gilt unter Muslimen unterschiedlicher Geschlechter, die sich nicht näher kennen, mitunter als unzulässig sinnliche Nähe.

Wer über eine Woche gemeinsam probt, musiziert und Ausschnitte aus Verdi-Opern schließlich in der idealen Mischung aus Passion und Präzision zum Glühen bringt, mag sich zwar musikalisch nonverbal verstehen, die kulturellen Unterschiede bleiben. Gerade das Verständnis des Andersseins aber wächst unermesslich, wenn die Musik zum gemeinsamen Puls wird, vom gemeinsamen Atem getragen wird.

Die heilende Kraft des Musikmachens erproben

Ricardo Muti
Ricardo Muti © Silvia Lelli

„The Road of Friendship“ nennen Riccardo Muti und seine Gattin Cristina ihr bahnbrechendes und Brücken bauendes Orchesterprojekt, das erstmals 1997 die heilende Kraft des Musikmachens erprobte, seinerzeit im vom Krieg gezeichneten Sarajawo. Zunächst nur als einmaliges Zeichen der Verständigung zwischen der einen und anderen Seite der Adria gedacht, wollten und mussten die Mutis und das Ravenna Festival den Weg weitergehen. Es folgten Konzerte jeweils neu zusammengesetzter west-östlicher Klangkörper in Beirut, Jerusalem, Kairo oder Nairobi – all den diplomatischen, organisatorischen, institutionellen und finanziellen Problemen zum Trotz.

Verdis politische Botschaft bricht beredt zwischen den Notenzeilen hervor

Kaum die geringste Herausforderung bot der jetzige italienisch-iranische Austausch. Die Pflicht zur Verschleierung, von den jungen iranischen Musikerinnen auf durchweg modisch reizvolle Weise gelöst, musste von ihren italienischen Kolleginnen in Teheran natürlich sittenstreng erfüllt werden. When in Rome, do as the Romans do. Beim Folgekonzert in Ravenna sind dann nurmehr die Häupter der persischen Chordamen in gelbe, die ihrer Mitstreiterinnen im Orchester in rote Tücher gehüllt. Subversiver und dennoch der Diplomatie genügend das Konzertprogramm: Den drei famosen männlichen Solisten steht nicht wenigstens eine, sondern genau gar keine weibliche Sängerin gegenüber. Das solistische Singen einer einzelnen Frau gilt im Iran als unschicklich. Da muss man nichts anbrennen lassen.

Die Auswahl der Ausschnitte aus Verdis Opern „Don Carlo“, „Macbeth“ und „Simon Boccanegra“ aber überstand die Zensur wohl nur, weil deren Italienisch-Kenntnisse mutmaßlich doch eher begrenzt sind. Denn wie die Revoluzzer Don Carlo und Rodrigo in ihrem Freundschaftsduett gar emphatisch die Freiheit besingen, dürfte aus iranischer Sicht nicht wirklich politisch korrekt sein. Und wie der Chor in „Patria oppressa“ aus dem düsteren „Macbeth“ in schmerzerfüllten fallenden Sekunden der unterdrückten Heimat gedenkt, ist ein Statement, das man vielleicht erst im Kontext eben dieses Konzerts vollends versteht. Ja, Verdi war ein eminent politischer Komponist – ganz wie sein deutscher Jahrgangsgenosse Richard Wagner es war. Fürwahr ein Glücksfall, dass Musik sagen kann, worüber man in öffentlichen Reden unbedingt schweigen muss. Hoch lebe der Subtext.

Maestro Mutis Verdis klingt urwuchtig und bandaschmissig, gefühlsdicht und phrasierungsschön

Ravenna Festival: italienisch-iranischen Orchester
Ravenna Festival: italienisch-iranischen Orchester © Silvia Lelli

In den zu Beginn abgesungenen Nationalhymnen vor den farbgleichen Flaggen Italiens und des Irans muss man einen Subtext sicher nicht suchen. Doch dann legt Riccardo Muti los – dirigiert wirkungs- und farbenprall, urwuchtig und bandaschmissig, gefühlsdicht und phrasierungsschön. Als Don Carlo und Rodrigo harmonieren Piero Pretti und Luca Salsi als kultivierte Kollegen des Verdigesangs gar prächtig. Dann veredelt Riccardo Zanellato die Arie des Fiesco aus „Simon Boccanegra“ mit nie brachialer Basswucht, sondern voller feinem Legatoempfinden. Die folgende Arie des Gabriele Adorno stattet Piero Pretti mit seinem obertonreich hellen, vorbildlich in der Maske sitzenden Tenor aus. Muti lässt ihm dabei so gar keinen tenoralen Schlendrian des Schleppens durchgehen, hier ist stets sehr klar, wer denn das Tempo vorgibt.

Das Verdi-Feuer lodert – als vernehmliches Zeichen der Freundschaft in allzu schwierigen Zeiten

Zweifellos der Höhepunkt des Abends: die Ausschnitte aus „Macbeth“. Mit der hintergründig machtvollen Pianokultur seines Basso cantante veredelt Riccardo Zanellato „Studia il passo, o mio figlio“, ergreifend der posaunenorakelnde Chor „Patria oppressa“, in dem Muti selbst die Pizzicati noch spannungsgeladen phrasieren lässt und das transkulturelle Chorkollektiv zu Höchstform aufläuft. Grandios schließlich, wie Luca Salsi mit seinem prachtvollen Verdi-Bariton die große Arie des Macbeth „Pietà, rispetto, onore“ zu einem ergreifenden Seelenportrait macht. In idealem Ausgleich verbindet der Italiener Legatofluss und Artikulation, kann ordentlich hinlangen und doch auch berührend seine Mezza Voce einbinden. Und der Ausklang mit der Sinfonia aus „La forza del destino“ unterstreicht, dass Riccardo Muti kein bisschen alt geworden ist: In keinem Takt erlaubt der Maestro Routine, jeder Moment ist erfüllt und erfühlt. Muti gibt das Verdi-Feuer weiter – als vernehmliches Zeichen der Freundschaft in allzu schwierigen Zeiten.

Ravenna Festival

Verdi-Gala „The Roads of Friendship”: Ausschnitte aus Don Carlo, Macbeth, Simon Boccanegra, La Forza del Destino

Ausführende: Riccardo Muti (Leitung), Piero Pretti, Luca Salsi, Riccardo Zanellato, Giovanni Sala, Orchestra Giovanile Luigi Cherubini, Musicisti dele Orchestre delle Fondazioni Lirico Sinfoniche italiane, Orchestra Sinfonica e Coro Tehran, Coro del Teatro Municipale di Piacenza

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