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Opern-Kritik: Komische Oper Berlin – Der feurige Engel

Rohes Fleisch

(Berlin, 19.1.2014) Die Komische Oper holt erstmals nach 40 Jahren Prokofjews Der feurige Engel wieder ans Berliner Tageslicht

vonChristian Schmidt,

Schon im Titel seiner Oper aus den 20er Jahren hinterlegte Sergej Prokofjew den Schlüssel zur Deutung dieses hochsymbolistischen Werks nach der Romanvorlage von Brjussow. Renata, eine Frau mit angeblich übernatürlichen Fähigkeiten, irrt ihr ganzes Leben der Vision eines feurigen Engels hinterher, der sie vermutlich als Kind missbraucht hat. Gleichwohl gilt ihr seine menschliche Inkarnation nach der Adoleszenz als sexuelles Obsessionsobjekt, das unerreichbar bleibt. Auf der Suche nach dem Göttlichen im Teuflischen verbraucht sie Ritter Ruprecht, der, einsam und ohne Lebenszweck durchs Leben taumelnd, endlich etwas zum Beschützen gefunden hat und daran zerbricht.

Nach 40 Jahren hat die Komische Oper die Dreiecksgeschichte wieder nach Berlin geholt und gehört allein dafür bejubelt. Denn das Meisterwerk kommt trotz aller Schauerlichkeit mit Klopfgeistern, Alchemie und Scheiterhaufen zwar surrealistisch daher, verhandelt aber doch sehr irdische, konkrete, zeitlose Themen, dicht in Töne der Verrohung, Entrückung, Entmenschung gesetzt. Die Femme fatale, die hier nach sexueller Befreiung, aber vor allem Selbstbestimmung strebt, ist eben kein Teufelsweib, als das sie am Schluss von der Inquisition verbrannt wird. Renata mag wie vom Teufel getrieben sein – sie selbst hat eine zutiefst menschlich Seele, die sich sehnt nach Erfüllung, Liebe, Freiheit.

Schon im Roman steht sie daher eher im Zwielicht einer skeptischen, wenn nicht feindseligen Männerwelt, was Renata den Identifikationsfaktor streitig macht. Schade, dass sich auch der australische Regisseur Benedict Andrews der Frau eher pathologisierend nähert, anstatt der kranken Gesellschaft drumherum wirklich konsequent auf den Zahn zu fühlen. Vielleicht will er auch einfach zu viele Geschichten erzählen, denn das Spektrum der im Feurigen Engel angesprochenen Aspekte ist schon allein der mannigfachen Symbole wegen groß. Dass die Regie am Ende den Inquisitor selber als Feurigen Engel auftreten lässt, ist denn nur auf den ersten Blick folgerichtig, auf den zweiten offenbart es den Zynismus, die Frau als Störenfried zu diskreditieren, die nur in der Bestrafung ihre heroisch-erhöhende Erfüllung findet. Es bleibt Behauptung, dass sie nun erlöst sei.

Hat Andrews zu viele Science-Fiction-Thriller gesehen? Er arbeitet mit grell gleißendem Licht, allerlei Theaterdonner und jungen Mädchen, die als Renatas kindliche Alter Egos eher das Gespenstische der Szenerie betonen. Die dauernd rotierende Drehbühne von Johannes Schütz (alles in Bewegung!) wird immer wieder mit beweglichen Wänden zu neuen Tableaux ver- und entstellt. Ziemlich penetrant lenkt das ständige Gebaue vom eigentlichen Geschehen ab, das mit Horror im filmgewerblichen Sinn kaum, mit Schrecken dagegen viel zu tun hat. Dadurch fällt es schwer, sich auf die durchaus sich auskristallisierende Erzähllinie Prokofjews zu konzentrieren.

Gleichwohl bleibt Andrews in Sachen Personenführung kaum etwas schuldig, überlässt nichts dem Zufall, weiß den Sängern überzeugende Darsteller zu entlocken. In dieser Hinsicht überragt Svetlana Sozdateleva als Renata ihre Kollegen – mit ihrer durchaus schlüssigen Gestaltung einer ganz und gar nicht verrückten, sondern vor allem sehnenden Frau. Sie setzt sie fahl, verletzt, angegriffen in Szene, stimmlich weniger als Wagner-Heroine oder Strauss-Versessene denn als traurige Tschaikowsky-Partie, deren Selbsterhaltungsdrang bis zum Wahnsinn führen muss. Aber auch ihrem „Retter“ Ruprecht verleiht Evez Abdulla den angerauten Ton des einem monströsen Fatum Verfallenen.

Fürwahr das ganze Ensemble lässt sängerisch kaum Wünsche offen und wird – neben dem exzellenten Frauenchor der Komischen Oper – dafür begeistert bejubelt. Die Balance zum Hausorchester kann Generalmusikdirektor Henrik Nánási allerdings nicht immer halten, an zu vielen Stellen deckt er die Solisten zu, so dass man sie schon ab der 5. Parkettreihe nicht mehr hören kann. Das ergibt manche seltsame Flachheit, selten auch den Eindruck etwas lieblosen Überspielens der feurigen Partitur, die selber dampft wie rohes, frisch geschlachtetes Fleisch. Peinlich genau studiert ist sie dennoch, und es ist dankenswert genug, dass Nánási diesem lange genug denunzierten Notentext endlich zu seinem Recht verhilft.

Komische Oper Berlin

Sergej Prokofjew: Der feurige Engel

 

Ausführende:  Henrik Nánási (Leitung), Benedict Andrews (Inszenierung), Johannes Schütz (Bühnenbild), Victoria Behr (Kostüme), Evez AbdullaSvetlana Sozdateleva, Christiane Oertel, Maxim Paster, Dmitry Golovnin, Alexey Antonov, Jens Larsen, Xenia Vyaznikova, Christoph Späth, Máté Gál, Hans-Peter Scheidegger, Bernhard Hansky, Alessandra Bizzarri, Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin

Weitere Termine der Komischen Oper finden Sie hier.

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