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Opern-Kritik: Oper Köln – Leucippo

Sanfte Reize

(Köln, 2.10.2014) Großeinsatz für Hasses Musik: Concerto Köln, ein gefeiertes Sängerensemble und Regisseurin Tajana Gürbaca dienen dem Barockmeister

vonAndreas Falentin,

Was für ein Orchester! Wie Concerto Köln, an diesem Abend 25 Menschen stark, aus Hasses Partitur all diese Klangfarben und –strukturen, Affekte und Effekte extrahiert und dabei nie aufgesetzt oder aufdringlich wirkt, ist eine echte Sensation. Dass auf der Bühne nahezu das gleiche musikalische Niveau herrscht, eine weitere. Und alle, Musiker und Sänger, werden angefeuert und sicher geleitet von Gianluca Capuano, der, wie aus musikalischem Übermut, hier und da selbst in die Cembalo-Tasten greift.

Was soll uns diese Geschichte heute noch angehen?

Das Stück muss man natürlich nicht unbedingt spielen. Der Zahn der Zeit hat es sicher an-, vielleicht sogar zernagt. Da gibt es einen Aristeo, der die Nymphe Daphne liebt, was man nicht darf. Schließlich ist sie eine Art Göttin. So muss der Priester Narete den Frevler, der ja nur verliebt ist, bestrafen. Mit dem Tod, natürlich. Oder ihm verzeihen. Und ein gewisser Delio macht ständig alles noch schlimmer. Des Rätsels Lösung: Aristeo heißt Leucippo und ist Naretes Sohn. Der Gott Apollo, Pseudonym: Delio, hat ihn als Kind entführt, den späteren Nebenbuhler um Daphnes Gunst vorausahnend. Er gibt auf und das Paar zusammen. Was soll uns das heute bloß angehen?

Wenn man Leucippo spielt, kann man es machen wie Tatjana Gürbaca an der Oper Köln. Die Musik gleichzeitig behutsam und hochenergetisch durch die Sängerkörper laufen lassen, gleichsam der Musik die Musik zurückgeben. Dafür hat sie sich von Henrik Ahr einen Raum bauen lassen, der ihren Gestaltungsspielraum stark einschränkt, barocke oder eklektizistische Prachtentfaltung komplett unmöglich macht und handwerkliches Geschick geradezu einfordert. Ein Rundhorizont umschließt zwei halbkreisförmige Bänke und den leicht angeschrägten Boden. Im Scheitelpunkt klafft gelegentlich eine Öffnung, weht es Schwarz herein.

Arkadien ist hier der Schutzraum „Kindheit“   

Leucippo spielt in Arkadien, bei Tajana Gürbaca ist das der Schutzraum „Kindheit“. Sie wählt also einen ähnlichen Ansatz wie seinerzeit ihr Lehrer Peter Konwitschny bei seinem berühmten Hamburger Lohengrin. Nur dass Hasse viel sanftere Reize setzt, seine Dramaturgie viel weniger zwingend ist als bei Wagner. Narete ist die Lehrer-Vater-Figur, alle anderen sind Schüler, ein wenig androgyn kostümiert, ihre Sexualität offensichtlich gerade entdeckend, mit ihren erwachenden Begierden ohne Verantwortung herumspielend. Gürbaca führt ihre Figuren phantasievoll und genau. In den guten Momenten, es gibt davon nicht wenige, entsteht die berühmte „zweite Ebene“, sie schafft Distanz, Witz und Verbindung zum Zuschauer, tritt ins Leben. Manchmal sind es auch nur – viele Gesten.

Überraschend: Countertenor Valer Sabadus gar nicht Star des Abends

Einen tollen Job macht das sechsköpfige Ensemble „Barock Vokal Mainz“, als Chor gefordert nur in drei kurzen Szenen, aber fast den ganzen Abend anwesend als Schülergruppe und Bewegungsskulptur, als Spielmaterial. Star des Abends ist überraschend nicht der gefeierte Countertenor Valer Sabadus in der Titelrolle. Er führt seine wirklich herrlich timbrierte Stimme wunderbar, aber jenseits der Mittellage springt sie nicht gleichmäßig an. Mit mehr Ebenmaß, schöner Energie und vollstem Einsatz begeistern die Ensemblemitglieder Claudia Rohrbach (Delio) und Regina Richter (Dafne). Sie werden noch überstrahlt von der jungen schwedischen Sopranistin Karla Ek. Sie singt Naretes Tochter Climene umwerfend, mit individuell timbriertem, dynamisch geführtem und sehr geläufigem Sopran. Da hört man die kommende große Karriere. Ihr Geliebter Nunte ist der sehr präsente und in jeder Hinsicht frische Bariton Luke Stoker. Den Narete schließlich gibt Kenneth Tarver mit technisch nicht ganz vollendetem Tenor, aber unglaublich souveräner Gestaltung und gewaltiger Ausstrahlung.

Ein toller, sehr langer Abend für Hasses Musik!

Kölner Oper im Palladium

Hasse: Leucippo

Ausführende: Gianluca Capuano (Leitung),  Tatjana Gürbaca (Inszenierung), Henrik Ahr (Bühne),  Barbara Drosihn (Kostüme), Valer Sabadus, Kenneth Tarver, Regina Richter, Klara Ek, Claudia Rohrbach, Luke Stoker, Barock Vokal Mainz, Concerto Köln

Weitere Termine der Oper Köln finden Sie hier.

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