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Opern-Kritik: Opéra national de Paris – Adriana Lecouvreur

Schokoladentenor trifft goldenen Sopran

(Paris, 23.6.2015) Grandioses Sängertheater: Angela Gheorghiu und Marcelo Alvarez werden an der Seine als neues Traumpaar gefeiert

vonPeter Krause,

Haben wir uns nicht doch heimlich danach gesehnt? Nach wirklich großen Sopranistinnen, die sich auf der Bühne in die wahre Diva, mithin ein göttliches Geschöpf der Kunst, verwandeln? Die zudem auch privat die extraterrestrische Primadonna und Opernzicke bleiben? Und, Hand aufs Herz: Lieben wir nicht die Tenöre, die den Herz-Schmerz-Helden geben und sich ohne extrakluge Regieumwege die Seele aus dem Leib singen, um uns ganz einfach zu berühren? Wie halten wir’s mit der puren Sängeroper im historisch korrekten Kostüm? Ist sie Traum oder Alptraum? Führt ein Weg zurück zu den Wurzeln der Gattung oder nur der Abweg in die ewig gestrige Mottenkisten-Oper?

Oper ohne Brechung, ohne Ironie, ohne kritische Regie-Befragung

Die längst legendäre Inszenierung der Adriana Lecouvreur durch David McVicar, die nach Covent Garden in London ihren Koproduktionsfeldzug von Wien bis San Francisco antritt und jetzt erstmals an der Opéra Bastille in Paris zu bestaunen ist, muss man lieben oder hassen. Entweder oder. Sie verzückt oder verschreckt in ihrem unbedingten Festhalten am vorgegebenen Libretto-Kolorit, dem Ausstellen von edlen Roben und großen Gesten, die ganz ohne Brechung, ohne Ironie, ohne kritische Regie-Befragung zu bewundern sind.

Das Opernmuseum lebt!

Keine Frage: Es hätte ein schrecklicher Abend an der Seine werden können. Zumal in Italien gibt es solche Erlebnisse ja noch: Reiner Rampensingsang, Konzert im Kostüm. Genau dies aber erlaubt sich McVicar nicht. Denn sein Opernmuseum lebt – von detailgenau liebevollen Figurenportraits und einer Weltklasse-Besetzung, die es sichtlich genießt, die eigene Rolle nicht hinterfragen zu müssen, sondern einfach nur intensiv darstellen zu dürfen. Zum Glück betrifft dies nicht nur die beiden Stars, Angela Gheorghiu und Marcelo Alvarez als veritables Cilèa-Traumpaar.

Auch die Besetzung der mittleren Partien hat Spitzenniveau und darüber hinaus Konzept. Denn die aufregende Mischung des 1902 in Mailand mit Enrico Caruso uraufgeführten melodienschwärmenden Stücks zwischen Verismo-Blut, Buffokomik und der Innerlichkeit eines lyrischen Dramas braucht Spezialisten aus allen Feldern des Gesangs. Und so bringen Alessandro Corbelli und Raúl Giménez, der große Rossini-Almaviva der Vergangenheit, die perfekt passende Parlando-Präzision und damit den ausgeprägten Wortwitz für die heitere Seite der Oper ein. Es entstehen herrliche Charakterstudien für den in die Heldin seiner Stücke verliebten, sich später in die väterliche Fürsorge für Adriana rettenden Bariton-Regisseur und den kuriosen Tenor-Abbé, der dank der Persönlichkeit des Sängers nie zum billigen Abziehbild wird.

Angela Gheorghiu darf ganz Primadonna sein

Sensationell besetzt freilich ist das tödlich tragische Rivalitäts-Dreieck der Liebe zwischen der Schauspielerin Adriana Lecouvreur, dem Herzog von Sachsen, Maurizio, und der ihm in politischer Mission und privater Passion verbundenen Fürstin von Bouillon, die der Nebenbuhlerin schließlich mit dem vorgeblich aus Maurizios Händen kommenden Präsent vergifteter Veilchen ein Ende bereitet. Die Goldglanz-Gheorghiu hat mit der Adriana ihre aktuelle und sicher auch zukünftige Paradepartie gefunden. Ihre stupende Pianokultur und Atemkontrolle erlauben es ihr, die Titelpartie mit weit ausgebautem, enorm substanziellem Mezza Voce zu singen, Pianissimo-Phrasen von schier überirdischer Schönheit auszuspinnen, leise Schlusstöne scheinbar endlos auszuhalten.

Dabei hat diese lyrische Rollenanlage nichts Geschmäcklerisches, sondern verströmt berstende Intensität. Das Orchester der Opéra National bereitet der Gheorghiu unter dem effektsicheren Instinktdirigat von Daniel Oren mit seidig edlem, quasi impressionistisch gewebtem Klangteppich den idealen Boden für diesen riskanten vokalen Ansatz. Die Gheorghiu genießt die Rolle, und sie genießt, in der konsequent aktualisierungsabstinenten Inszenierung einfach ganz Primadonna sein zu dürfen.

Die Tenorwonne des Marcelo Alvarez

Auch die langen Bühnenküsse mit Marcelo Alvarez sehen nach echtem Genuss aus. Sein edelsüß schmelzendes Schokoladentimbre ist die reine Tenorwonne. Da macht ein Sänger den Mund auf und singt mit mühelosem Herz-Schmerz-Schmachten. Dass Alvarez darstellerisch keine Bombe ist, tut all dem keinen Abbruch. Eine sängerdarstellerische Wucht ist dafür Luciana D’Intino als giftspritzende Fürstin. Wenn Blicke töten könnten, wäre die Geschichte schon viel zu früh zu Ende. Mit wuchtig brustigem, kerngesundem Alt-Orgeln wird die Italienerin zur hochdramatischen und gleichwertigen Gegenspielerin der Gheorghiu. Grandioses Sängertheater.

Opéra National de Paris

Cilèa: Adriana Lecouvreur

Daniel Oren (Leitung), David McVivar (Inszenierung), Charles Edwards (Bühne), Brigitte Reifenstuel (Kostüme), Angela Gheorghiu, Marcelo Alvarez, Luciana D’Intino, Alessandro Corbelli, Raúl Giménez

Termine: 23.6. (Premiere), 26. & 29.6., 3., 6., 9., 12. & 15.7.

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