Zu Beginn wuchten schreiende Klangfragmente eindrucksvoll eine auseinander gerissene Welt auf die Bühne. Die Kulissenwände und –versatzstücke sehen wie Setzkästen aus, leere Begrenzungslinien, allenfalls gefüllt mit provisorischen Inhalten. In dieser kalten Welt kann es sich nicht gut leben lassen. Ludger Engels nimmt am Theater Aachen die Vorlagen auf, die ihm die ersten Takte von Brokeback Mountain und die diese ideal spiegelnden Bilder von Christin Vahl geben, und liefert eine schnörkellose, durch und durch stringente Inszenierung ab.
Der Musik mangelt es an theatralischer Vision
Das einzige, was man ihm „vorwerfen“ könnte, ist, dass er die Komposition schönt, ihr mehr Richtung gibt, als sie ausstrahlt. Denn nach dem beeindruckenden Beginn erschöpft sich Brokeback Mountain musikalisch in spröder Statik. Da werden permanent Klangfetzen aneinandergereiht und aufeinandergetürmt, gelegentlich mit kleinen, oft plumpen rhythmischen oder melodischen Motiven versetzt. Diese Musik kennt keine Entwicklung, keinen dramatischen Atem, evoziert keine theatralische Vision.
Aachens GMD Kazem Abdullah lässt federnd und intonationsrein musizieren
Brokeback Mountain war der letzte Kompositionsauftrag Gerard Mortiers. Die Uraufführung fand vor einem knappen Jahr in Madrid statt. GMD Kazem Abdullah setzte sich für das Stück ein und gab den entscheidenden Impuls, es nach Aachen zu holen. Und er hat es gut einstudiert. Es wird federnd und besonders intonationsrein musiziert, ungemein wichtig bei einer Partitur, die das Orchester ständig in einzelne Instrumentengruppen zerspaltet.
Der Oscar-gekrönte Film von Ang Lee liefert die Vorlage
Die Geschichte von Annie Proulx, bekannt aus dem Oscar-gekrönten Film von Ang Lee, von der Autorin selbst zum Libretto umgestaltet, trägt den Abend, muss sich aber ihren Weg suchen durch die robuste, formlos brockige, auch noch mit konventionellen Opernzutaten dekorierte Musik. Bloß gut, dass Ludger Engels Christin Vahls Provisorien nutzt, um jede Art von Kitsch zu umgehen, dass er Naturalismus nur andeutet, nie hineinfällt, das Milieu nur als Hintergrund benutzt. Vor diesem entwickelt er die glückhafte, tragische Begegnung von Jack und Ennis, die sich in der Einsamkeit des titelgebenden Berges ineinander verlieben, sich nicht mehr lassen mögen, aber nicht zusammen kommen können. Weil Ennis Angst hat vor gesellschaftlicher Ächtung. Und weil er ein Heim, eine Familie will. Die zerbricht. Und Jack stirbt. Nach 20 Jahren leidenschaftlich gelebter Nicht-Beziehung. Und Ennis ist ungeheuer allein.
Grandiose Sänger haben die hoffnungslose Liebe in Körper und Stimme
Christian Tschelebiew spielt das grandios aus. Und er hat die Stimme dafür, einen warmen, flexiblen, eher hoch gelagerten Bass, den man einfach gern haben muss. Jack ist Mark Omvlee, mit etwas engem, aber sehr charmantem Tenor. Beide haben diese große, hoffnungslose Liebe in Körper und Stimme und zeichnen, von Ludger Engels behutsam geführt, darüber hinaus das Porträt von Männern, die dem Fortschritt der Verstädterung hilflos ausgeliefert sind. Die sich vom Leben draußen, von der physischen Auseinandersetzung mit der Natur und ihren eigenen Trieben und Kräften nicht lösen können oder wollen. Aber die Komposition retten können weder sie, noch das von Polina Artsis hervorragend angeführte restliche Ensemble. Vielleicht sollte man einfach keine Literaturopern mehr schreiben!
Theater Aachen
Wuorinen: Brokeback Mountain
Ausführende: Kazem Abdullah (Leitung), Ludger Engels (Inszenierung), Christin Vahl (Bühne), Moritz Junge (Kostüme), Andreas Klippert (Chor), Christian Tschelebiew, Mark Omvlee, Antonia Bourvè, Polina Artsis, Pawel Lawreszuk, Antonella Schiazza, Vasilis Tsanaktidis, Ceri Williams, Hans Schaapkens, Margarita Dymshits, May Bellefroid, Stefan Hagendorn, Sinfonieorchester Aachen, Opernchor Aachen
Termine: 12., 21. & 27.12., 4., 11., 14. & 22.1.15