Es hätte ein Triumph werden müssen: Wer so viele Tosca-Trümpfe in der Hand hat, kann das Spiel am Ende eigentlich nur haushoch gewinnen. Da gibt schließlich ein Daniel Barenboim endlich sein Puccini-Debüt, da steht mit Michael Volle der frisch gebackene „Sänger des Jahres“ als fieser Polizeichef Scarpia auf der Bühne, da wechselt Wagner-Heroine Anja Kampe vom dramatischen deutschen Fach verheißungsvoll zur Titelpartie von Puccinis Primadonnenreißer, und da inszeniert mit Alvis Hermanis ein Regisseur des intellektuell geschärften Hyper-Realismus das Zentralwerk des italienischen Verismo. Kann da überhaupt etwas schiefgehen?
Opernmuseum im 21. Jahrhundert
Lange reibt man sich im Berliner Schillertheater, dem Langzeit-Interims-Spielort der Lindenoper, ungläubig die Augen. Denn so viel Opernmuseum war im 21. Jahrhundert selten auf einer Bühne live zu besichtigen. Wir sehen, wie das Libretto es vorgibt, das Rom des Jahres 1800: Die Kirche St. Andrea della Valle, den Palazzo Farnese, schließlich die Engelsburg. In diesen an sich ja werkdienlichen Settings darf Anja Kampes eifersüchtige Tosca ihr eindrücklich überquellendes Dekolleté ausstellen, Fabio Sartoris schwergewichtiger Maler Cavaradossi darf sich wie weiland Tenorissimo Luciano Pavarotti energiesparend und knieschonend von geschickt platzierten Kirchenbänken zu passenden Schemeln bewegen – singt zwischendrin freilich mit höhenstrahlend betörender Italianità, beglaubigt dennoch nicht die alle Hoffnung fahren lassende Gebrochenheit des „Il lucevan le stelle“.
„Der Kuss der Tosca“ gewinnt intensive Sexual-Dramatik
Fern vom Opern-Abziehbild des die Damenwelt regelmäßig entzückenden Bad Guy immerhin legt der kluge Michael Volle den Scarpia an. Dieser Baron ist kein plumper Vergewaltiger, sondern ein liebeshungriger Lüstling mit Manieren. Bei allem szenischen Leerlauf entsteht zwischen ihm und Tosca im zweiten Akt dann doch ein erregender Showdown. Die noch ganz der Tradition folgende Preghiera „Vissi d’arte“, an sich ein Bruch im Verismo-Wahrheitsdrama Puccinis, deutet Alvis Hermanis erfrischend anders und psychologisch einleuchtend. Hier richtet Tosca ihre Worte nicht an Gott, „Signor – Herr“ ist Scarpia persönlich, dem Tosca zu Beginn der Arie ihre Hand auf seine Schulter legt. Das Versprechen auf sexuellen Austausch geht klar von ihr aus, er wagt es zunächst gar nicht, die Diva zu berühren. Toscas Berechnung, sich die Freiheit ihres Liebhabers Cavaradossi mit ihrem Körper zu erkaufen, indem sie sich scheinbar dessen politisch potenten Widersacher hingibt, geht hier von einer aktiven, modernen Frau aus, die verführerisch vorgibt, von Scarpia auf dessen Schreibtisch a tergo genommen werden zu wollen. Just, als er in sie eindringend will, sticht sie zu. Die sonst gern peinliche und oft unglaubwürdige Szene dieses tödlichen „Bacio di Tosca“ gewinnt hier intensive Dramatik. Des Regisseurs mutmaßliche Absicht, der Oper in seiner Inszenierung Kinorealität und damit neue Glaubwürdigkeit einzuhauchen, geht in dieser Begegnung jedenfalls auf.
Verdoppelung der Geschichte im Graphic Novel
Welchen Teufel das Team aber geritten hat, die ganze blutige Angelegenheit im Stile eines Graphic Novel auch noch auf das Bühnenbild zu projizieren, bleibt ein Geheimnis. Oper trifft Comic Strip. Der inszenierte Kitsch trifft auf die verfilmte Klamotte – mit dem Medium gemäßen Überzeichnungen von Mimik und Gestik. Geschieht das mit dem Ziel der Ironisierung? Der Verfremdung? Oben sehen wir einen jünglinghaft verschlankten Ideal-Heros als Comic-Cavaradossi, unten steht, sitzt und singt Fabio Sartori die Partie ab und durch. Neben solchen Lächerlichkeiten, die immerhin bei einem eventuellen späteren Gastspiel von Jonas Kaufmann für visuelle Übereinstimmung der Ebenen sorgen könnten, ergibt sich keine sinnstiftende Kontrastierung oder gegenseitige Bereicherung dieser plumpen Verdoppelung.
Barenboims Puccini-Schwelgen
Luxuriös laut tönt es zu Stummfilm und Stehtheater indes aus dem Graben. Daniel Barenboim kostet das Puccini-Schwelgen genüsslich aus, nimmt sich viel Zeit für die gern gedehnten schönen Stellen, lässt es ordentlich krachen, wenn es, wie im „Te deum“ denn darauf ankommt. Anja Kampes letztlich nur rollendeckender Tosca hilft das wenig, ihr geht in „Vissi d’arte“ die Intonation und der Atemfluss flöten, die lodernde Leidenschaft der Partie singt sie nicht blühend, sondern schrill. Ein seltsam blutleerer Abend, der eigentlich ein Triumph hätte werden müssen.
Staatsoper im Schillertheater
Puccini: Tosca
Daniel Barenboim (Leitung), Alvis Hermanis (Regie), Kristine Jurjane (Ausstattung), Anja Kampe, Fabio Sartori, Michael Volle, Tobias Schabel, Jan Martiník, Florian Hoffmann, Staatskapelle Berlin, Staatsopernchor
Do, 09. Januar 2025 19:30 Uhr Musiktheater Arttu Kataja (Angelotti), David Oštrek (Mesner), Alvis Hermanis (Regie) Sa, 11. Januar 2025 19:30 Uhr Musiktheater Arttu Kataja (Angelotti), David Oštrek (Mesner), Alvis Hermanis (Regie) Di, 14. Januar 2025 19:30 Uhr Musiktheater Arttu Kataja (Angelotti), David Oštrek (Mesner), Alvis Hermanis (Regie) Fr, 17. Januar 2025 19:30 Uhr Musiktheater Arttu Kataja (Angelotti), David Oštrek (Mesner), Alvis Hermanis (Regie) Fr, 25. April 2025 19:30 Uhr Musiktheater Arttu Kataja (Angelotti), David Oštrek (Mesner), Alvis Hermanis (Regie) Puccini: Tosca
Puccini: Tosca
Puccini: Tosca
Puccini: Tosca
Puccini: Tosca