Von Aida bis zur Zauberflöten-Königin der Nacht – das klassische Musiktheater kann seit Jahrhunderten eine beachtliche Schar starker Frauenfiguren vorweisen. Das gilt ebenso für das Genre Ballett: Die geflügelte Sylphide, Giselle und deren jenseitiger Geist sowie Tschaikowskys Schwanenmädchen bekennen sich alle selbstbewusst zum Mann, den sie lieben, doch sind sie letztlich nicht von dieser Welt. Der Kontrast zwischen den surrealen Bühnenfiguren und dem harten Alltag ihrer Darstellerinnen könnte kaum größer sein. Erst nach und nach bekommen tanzende Frauen Boden unter die Füße, selbst wenn die noch in Spitzenschuhen stecken. Heute gehören starke Frauenfiguren ins Repertoire.
Leben einer falschen Tempeltänzerin
Zu Beginn dieser Spielzeit stehen an drei Theatern Werke über bemerkenswerte Frauen, die tatsächlich gelebt haben, auf dem Spielplan. Die einzige mit Tanzvergangenheit unter ihnen ist Mata Hari, Robert Norths Choreografie porträtiert sie am Theater Krefeld. Die Verwandlung der hübschen Margaretha G. Zelle in die geheimnisvolle Mata Hari vollzog sich Anfang des 20. Jahrhunderts. Eine frei erfundene Vergangenheit als indische Tempeltänzerin und ihre Schönheit öffneten Theatertüren. Vor allem das männliche Publikum zog sie magisch an, und im erotisch-orientalischen Outfit passte sie perfekt in die Belle Époque und deren Vorliebe für Exotik.
Auf jene Epoche nehmen sowohl die Kostüme als auch die für den Tanzabend komponierte Musik Bezug: Christopher Benstead schuf einen abwechslungsreichen Klangteppich mit stilistischen Anklängen an die damalige Avantgarde sowie mit asiatischem Kolorit. Der Erste Weltkrieg beendet die Ära der Ausschweifungen – auf der Bühne personifiziert durch vier maskierte, apokalyptische Reiter – und auch die Karriere der berühmten Künstlerin. Das tragische Finale findet auch auf der Bühne statt: die Hinrichtung 1917 in Frankreich als Spionin der Deutschen.
Mut braucht es auch, um in einem totalitären System für Freiheit zu kämpfen. Eine solche Frau war Mariana de Pineda Muñoz, die 1831 im Alter von 26 Jahren ermordet wurde, weil sie sich gegen den spanischen König Fernando VII. auflehnte. Mehr noch: Lieber starb sie, als dem Versprechen ihres Richters zu glauben, als dessen Geliebte weiterzuleben. Federico García Lorca, der knapp hundert Jahre später von General Francos Handlangern ebenfalls ermordet wurde, schrieb ein Drama über die spanische Volksheldin. Das dient nun als Basis für das aktuelle Stück der freien Gruppe „XXTanztheater“, das in Kooperation mit der Oper Köln entsteht.
Bibiana Jiménez choreografiert mit „Mariana Pineda“ surreales Tanztheater, in dem sowohl das Leben der Titelfigur nachgezeichnet als auch Bezug genommen wird zu heutigen Freiheitskämpfen, wie sie derzeit viele Frauen im Iran ausfechten. Die Musik stammt von Valerij Lisac, bekannt für sein performatives und intermediales Konzert- und Musiktheater.
Drei Frauen, eine Choreografie
Gleich drei Frauen stellt Annett Göhre in „Marie! Romy! Petra!“ vor. Uraufgeführt 2022 am Theater Plauen-Zwickau, gibt die Choreografin mit diesem Dreier-Porträt in neuer Besetzung ihren Einstand als Tanztheaterdirektorin am Theater Ulm. So unterschiedlich die Wissenschaftlerin Marie Curie, die Schauspielerin Romy Schneider und die Politikerin Petra Kelly waren, eine Gemeinsamkeit sieht Göhre im leidenschaftlichen Verfolgen einer Vision. Auch die Musik ist ausschließlich in Frauenhänden, komponiert oder interpretiert. Männer sind (nur) als Darsteller dabei, denn während den realen weiblichen Vorbildern die Bühnenrückwand gehört, wird jede einzelne Ikone verkörpert von jeweils drei Tänzerinnen und Tänzern.