Für die dritte Premiere der diesjährigen Tiroler Festspiele Erl hat man im Festspielhaus eine französische Rarität auf die Bühne gebracht. Mit Ernest Chaussons „König Arthus“ hat man sich für ein Unikum entschieden, das sein Schöpfer 1895 nach langjähriger Arbeit abschließen konnte. Für dessen Etablierung er sich aber nicht mehr langfristig selbst engagieren konnte, da er 1899 bei einem Unfall mit dem Fahrrad ums Leben kam. Der postumen Uraufführung von 1903 gelang es nicht, ausreichend starke Impulse für eine Etablierung auf den Spielplänen zu geben.
Im Bann der Sagen kreist das Werk um den Mythos von Tristan und Isolde
Das zu Unrecht eher unbekannte Werk ist, wie es der Titel schon verrät, im Sagenkreis um Artus angesiedelt, und das durch Chausson selbst realisierte Libretto sucht die Nähe zu Tristan und Isolde. König Artus kündet zu Beginn der Handlung von der siegreichen Schlacht gegen die Sachsen, bei der sich Lancelot im Besonderen verdient gemacht habe. Seine Frau Genièvre lädt ihn während der Feierlichkeiten heimlich ein, sie in der Nacht in ihren Zimmern zu besuchen. Und mit der Vereinigung des Paares beginnt der große Verfall von Arthus Macht und Vermächtnis, die zu Beginn der Handlung ihren Höhepunkt erlebten.
Herrlicher Reichtum an Klangfarben
Chausson hat an der Instrumentierung des Werkes über ein Jahr gearbeitet und eine impressionistische Partitur geschaffen, die auffällig reich an Klangfarben ist. Die Herausforderung, dieses Gewebe zum Leben zu erwecken, hat das Orchester der Tiroler Festspiele Erl unter der Leitung von Karsten Januschke angenommen. Weil die Partitur mit instrumentalen Solopassagen eng durchwirkt ist, braucht es in nahezu allen Stimmen gute Instrumentalisten.
Und das hinter der Bühne platzierte Orchester glänzte bei diesen Gelegenheiten, von den Passagen des Solocellos, über die Kaskaden der Harfen bis hin zu exotischen Stellen wie einem Tuba-Solo (um nur einige wenige zu nennen). Während der Orchesterklang insgesamt etwas schlanker hätte gestaltet werden können, um noch etwas mehr Raum für Nuancen zu lassen, entfaltete sich dennoch die starke, rauschhafte Wirkung, für die die Partitur alles Potenzial hat.
Popkultur blickt aufs Mittelalter
Der Bühnenraum ist durch alle drei Akte durch eine Rampeninstallation des Künstlers takis dominiert, die für die Handlung flexibel umfunktioniert und zuletzt von einem Feuerring gekrönt wird. Mit den ebenfalls von takis gestalteten Kostümen sind die Figuren in Kleider gewandet, die einen von der Popkultur geprägten Blick auf das Mittelalter vermitteln.
Ein junger gealterter König ist Publikumsliebling.
In der Titelpartie war Domen Križaj Publikumsliebling des Premierenabends. Den jungen Sänger brachte die Maske als weißhaarigen, reifen, gealterten König auf die Bühne. Mit seinem hell gefärbten Bariton gab er einen stimmlich fein ausnuancierten Arthus und mimte überzeugend die verschiedenen Phasen, die der Charakter durchlebt. Von der selbstbewussten, herrischen Art des Auftakts bis zur verklärten Entsagung von allem Irdischen, nachdem er alles verloren hat, was ihm lieb und teuer war.
Anna Gabler ist Genièvre
Die sängerisch beste Leistung des Abends lieferte Anna Gabler als Genièvre. Sie füllte die sehr fordernde Partie, die zwischen Leidenschaft, Euphorie, Zärtlichkeit, Verzweiflung und Resignation changiert, mit Leben, indem sie klar und abwechslungsreich phrasierte. Die darauf basierende stimmliche Ausdrucksstärke unterstrich sie über den gesamten Abend hinweg mit intensiver Gestik und Mimik und spielte nicht bloß eine Rolle, sondern schuf einen Charakter.
Chausson selbst setzte den Fokus unter anderem auf ihre langen roten Haare, mit denen sie Lancelot umgarnt. Es ist ein eindrucksvolles Bild der Erler Produktion, wie sie in der Liebesnacht ihre zu einem Zopf aufgewickelten Haare (nach dem Vorbild der Star Wars-Prinzessin Leia) verführerisch vor Lacelot herablässt. Um sich am Ende des ersten Bildes des dritten Aktes mit eben dieser Haarpracht zu erdrosseln.
Der Ire Aaron Cawley sang die Partie des Lancelot mit einem kräftigen Tenor. Die Passagen, in denen er die starke Zerrissenheit seines Charakters zwischen Liebessehnsucht und Pflichtbewusstsein porträtierte und der Gefühlseuphorie in den Duetten mit Genièvre Ausdruck verlieh, lagen ihm sehr. Auch ritterliche Männlichkeit und Stolz glückten ihm in Körpersprach und Tongestaltung gut. In den Passagen, die in einem sensiblen Piano auszugestalten gewesen wären, zeigte er keine vergleichbare Stärke, was für die Gesamtleistung eine Unausgewogenheit bedeutet. Seine Hingabe an die Partie sorgte jedoch dafür, dass man seinem Spiel dennoch den Abend über gebannt folgte.
Intensive Personenregie
Die Regiearbeit von Rodula Gaitanou verdankt sich die intensive Interaktion sämtlicher Figuren auf der Bühne. Der Fokus liegt dabei eindeutig nicht nur auf den Hauptfiguren, sondern erstreckt sich bis auf die einzelnen Chormitglieder. Statisches Herumstehen gibt es deshalb nur dann zu sehen, wenn dies explizit gewünscht ist, um damit eine szenische Wirkung zu erzielen. So im Finale mit der Verklärung Arthus‘, in der der Frauenchor den Weg in die Transzendenz aufweist. Wünschenswert wäre allenfalls eine Stellungnahme zum Disney-haft anmutenden Ende gewesen, das bei Chausson durchaus deutungsoffen bleibt und zur Interpretation einlädt. In Erl wird die Verklärung wörtlich genommen und Artus fährt auf einem Bühnenelement gen Himmel.
Tiroler Festspiele Erl
Chausson: Roi Arthus
Karsten Januschke (Leitung), Rodula Gaitanou (Regie), takis (Bühnenbild & Kostüme), Simon Corder (Licht), Domen Križaj, Anna Gabler, Aaron Cawley, William Meinert, Andrew Bidlack, Robin Schneider, Kabelo Lebyana, Božidar Smiljanić, Orchester und Chor der Tiroler Festspiele Erl