Es ist das alte Inszenierungs-Leid: Da kündet der Regisseur im Vorwege wie im Programm von kühnen Ideen, doch auf der Bühne bleiben die großen Worte dann am Premierenabend bloße Theorie. Den politischen Hintergrund wolle er aufzeigen, hatte Andreas Homoki im Vorwege seiner Hamburger Umsetzung der frühen Verdi-Oper Luisa Miller erzählt und auf Schillers „Sturm und Drang“-Vorlage Kabale und Liebe verwiesen, über den grundlegenden Gegensatz zwischen der Welt des Hofes und der Staatsmacht einerseits und der kleinen bürgerlichen Welt des Privaten auf der andere Seite erzählt – doch dann schafft sein Bühnenbildner Paul Zoller einen zartgrauen, fast kahlen Einheitsraum, der Comicbildern-gleich im Guckkastenformat am Publikum vorüberzieht. Mal vom Chor in weißen Rokokokostümen belegt, mal von den Protagonisten, deren Outfit ebenfalls in die Entstehungszeit des Schillerschen Dramas im Vorfeld der Französischen Revolution verweist. Sieht alles so schön gleich aus hier, denkt sich der Beobachter – vielleicht also einmal auf die Personenführung und -charakterisierung achten?
Soziale Konflikte werden eingeebnet
Doch auch die standesrechtlichen und sozialen Konflikte bleiben bei Homoki weitgehend eingeebnet: Der Standeskonflikt zwischen „oben“ und „unten“ ist allenfalls zu erahnen, die zweifelhafte Rolle der Gesellschaft und des Volkes in Abzieh-Gesten erstarrt, die Konfrontation von Vaterstolz und empörter Jugend in einem fragwürdigen Regie-Keim erstickt. Und wenn im Schlussbild dann wie Kai aus der Kiste eine Guillotine auf der Bühne auftaucht, dünkt dies wie der verzweifelte Versuch, mit dem Hackebeil doch noch jene politische Botschaft zu vermitteln, die Homoki so kämpferisch in Worten beschrieben hat: „… Menschen, die aus ihren Schlössern vertrieben wurden und eingekerkert auf ihre Guillotinierung warten: als Strafe für das Unrecht, das Schiller uns vorführt.“
Generalmusikdirektorin Simone Young und ihre Philharmoniker setzen mit viel Gespür Kommata, Ausrufe- und Fragezeichen
Nun, vorführen tut dieses Unrecht in der Hansestadt vor allem Simone Young – und zwar musikalisch: Gefühle werden in ihrem Dirigat in all ihrer Ambivalenz deutlich, sensibel spürt die Hamburger Generalmusikdirektorin mit ihren Philharmonikern den Eigenheiten der Verdi-Partitur nach und treibt mit straffen Tempi die Handlung voran. Sicher, nicht jeder Einsatz sitzt, nicht alles ist präzis abgestimmt; doch viel entscheidender ist, dass Dirigentin und Orchester über weite Strecken die Idee der Klangrede verinnerlicht haben, Kommata, Ausrufe- und Fragezeichen mit viel Gespür gesetzt werden und man den Sängern ein trefflicher Partner ist.
Die Sänger punkten
Und diese wissen fast durch die Bank zu punkten: Angefangen von der Salzburger Netrebko-Einspringerin Nino Machaidze, die nicht nur ihre Koloraturen beherrscht, sondern ebenso stimmliche Brillanz wie Intensität im Lyrischen offenbart; über Ivan Magri, der als ihr Geliebter Rodolfo farbdramaturgisch zu differenzieren weiß, auch wenn er nicht über italienisch klingenden tenoralen Schmelz verfügt; bis hin zu Tigran Martirossian, der den Grafen Walter mit eleganter Basskultur schmückt.
Dass sie alle wie auch George Petean, Oliver Zwarg und Cristiana Damian trotz manch verblüffender Spitzentöne und bisweilen unter die Haut gehender Emphase immer wieder in Posen erstarren, haben sie Homoki zu verdanken. Nicht nur Gift, auch ein Regiekonzept kann eben manchmal tödlich sein.
Hamburgische Staatsoper
Verdi: Luisa Miller
Ausführende: Simon Young (Leitung), Andreas Homoki (Regie), Paul Zoller (Bühne), Gideon Davev (Kostüme), Tigran Martirossian, George Petean, Nino Machaidze, Ivan Magrì, Oliver Zwarg, Cristina Damian, Ida Aldrian, Philharmoniker Hamburg
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