Im bayrischen Belcantoland herrschte einsam und unangefochten eine Königin. Ihr Name: Edita Gruberová. Der Königin zuliebe wurden pflegeleichte Inszenierungen von Bellini und Donizetti programmiert, denn Regiekapriolen liebt die slowakische Nachtigall so gar nicht. Bei ihr gilt’s der Kunst des reinen Ziergesangs, der in den späten Jahren der Sopranistin immerhin so einige dramatische Verdichtung erfahren und ein paar willkommene Schärfen gewonnen hat. Nun ist ihr Alter durchaus kein Geheimnis. Staatsintendant Nikolaus Bachler entschied, keine neuen Verträge mit ihr abzuschließen, die Exklusivität aufzugeben. Ein paar Auftritte mit ihr als Lucrezia Borgia stehen freilich noch an.
Es wurde Zeit für die neue Diva des Belcanto
Da Belcanto-Opern aber weiterhin ein Münchner Renner sind, müssen nun neue Diven ran, die sich weder scheuen, mit der ewigen Edita verglichen zu werden, noch in leicht angestaubt wirkenden Bühnenbildnern aufzutreten und in die Kostüme der verehrten Kollegin zu schlüpfen. Carmen Giannattasio debütierte jetzt als Norma in Jürgen Roses Inszenierung, die in der Tat erst zehn Jahre alt ist, aber eher wie ein Relikt der 80er Jahre wirkt. Zwar weckt der Chor der zornigen Gallier in seinen schwarzen Maskenmützen durchaus gewisse IS-Assoziationen – als apokalyptische Vorahnung des renommierten Ausstatters Rose muss man dieses Details nicht deuten, sind Normas Mannen ja im Stück auch eher die Guten im Kampf gegen die bösen Besatzer aus Rom.
Carmen Giannattasio betört mit aufregend dunkler Sopranglut
Ansonsten wird viel und gern gestanden. Der seiner Norma untreue römische Prokonsul Pollione darf dann auch mal gefesselt rumliegen, löst sich aber angesichts der die Stütze gefährdenden Horizontale alsbald von seinen Fesseln. Die Komik von Asterix und Obelix kommt dabei nicht auf, und wenn’s doch mal komisch wirkt, ist das ohne Absicht. Macht nichts. Es geht ja schließlich ums schöne Singen. Und doch eben nicht nur. In ihrem mit Spannung erwarteten Debüt demonstrierte Carmen Giannattasio grandios, wie man schönes Singen in jeder Phrase zu wahrhaftigem Singen transformieren muss. Das fängt dann gar nicht bei der Wunschkonzertarie Casta diva an, sondern bereits in den Rezitativen, die die Italienerin in überlegen durchdachter Gestaltung theatralisch auflädt.
Der dramatische Puls schlägt in der ruhigen Autorität ihrer Rollenanlage schon mit dem ersten Auftritt. Der Sopran der Giannattasio hat dabei jene aufregende dunkle Glut, die man eher mit den Norma-Diven des frühen 20. Jahrhunderts in Verbindung bringt, denn mit der hellen Belcanto-Agilität der Gruberová. Casta diva geht sie denn auch ohne extra langsame Largo-Larmoyanz an, wird indes von Antonello Allemandi unsanft ausgebremst, der nur seinem Tempo folgt, aber nicht dem Phrasenfluss der Sopranistin lauscht, die deshalb zu Beginn der Arie prompt einen Zwischenatmer einlegen muss. Bühnenorchesterproben zur Überbrückung solcher Differenzen würden eben auch im Belcanto durchaus nicht schaden.
Die große Sängerdarstellerin verdient eine mutige Neuinszenierung der Norma
Doch der Abend kommt immer mehr in Gang. Maestro und Sänger einigen sich. Giannattasio denkt ihre Rollenanlage durchaus vom frühen Verdi aus. Eine Violetta, aber auch eine Trovatore-Leonora hört man in ihrer gleichsam unkeuschen Norma schon heraus. Sie betört mit edlen Schwelltönen und fantastischen Koloraturen und weiß doch, dass der Belcanto nie nur virtuoser Selbstzweck sein darf, sondern von sinnhaften, theatralisch empfundenen Sing-Girlanden lebt. Ihre leicht ansprechende, nie brustig versteifte Mittellage lässt noch ahnen, dass die Sopranistin zu Anfang als Mezzo gehandelt wurde. Ihr Mezza voce ist sicher und perfekt projiziert, ihre Piani substanzvoll, die Stimme rund und geschmeidig geführt. Man wünscht ihr jetzt nur eine mutige Neuinszenierung der Norma, die ihrem sängerdarstellerischem Überschuss und ihrer Intelligenz gerecht wird.
Carmen Giannattasios Bühnenpartner passen immerhin teilweise zu ihr. Wunderbar: Angela Brower als anschmiegsam mezzowarme Rivalin Adalgisa, mit der Norma alsbald herzergreifend duettierend ihren Frieden schließt. Allzu heldisch: Aleksandrs Antonenko als Pollione. Sein Trompetentenor hat das Zeug, zum größten Otello, Manrico und Radamès des frühen 21. Jahrhunderts heranzureifen, bei Bellini leidet angesichts der imposant schweren Stimme die hier gefragte Agilität. Großer Jubel, besonders für die beiden Damen.
Bellini: Norma
Antonello Allemandi (Leitung), Jürgen Rose (Inszenierung, Bühne & Kostüme), Carmen Giannattasio, Aleksandrs Antonenko, Angela Brower, Goran Juric, Dean Power, Bayerisches Staatsorchester