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Opern-Kritik: Teatro la Fenice – La Traviata

Wenn die Gondeln Verdi singen

(Venedig, 6.2.2016) In Robert Carsens La Traviata als Karnevals-Revival spielt das Publikum mit

vonPeter Krause,

Das Spektakel um Aufstieg und Fall der Edelhure Violetta beginnt nicht erst auf der Bühne des legendären Opernhauses von Venedig. Schon auf den Treppen hinauf zum Fenice stolzieren Paare in aufwändiger Verkleidung, gewandet in historischen Roben, geschmückt mit Rokoko-Perücken. Ihre Gesichter haben die Damen und Herren hinter Masken versteckt, die sie auch in den Logen des Theaters nicht abnehmen. Es ist Karneval in Venedig. Die Stadt selbst wird zur Bühne. Und das Theater ist einfach nur schönster Teil davon. Auf dem Spielplan steht wieder jene Inszenierung von Verdis populärstem Titel, mit der das Opernhaus der Lagunenstadt nach dem 500 Millionen Euro teurem Wiederaufbau anno 2004 wiederöffnet wurde: Robert Carsens Produktion von La Traviata.

Im Bordell der Very-Upper-Class

Während die Freunde der Selbstinszenierung sich im Zuschauerraum in die Vergangenheit zurückversetzen, feiert Carsen auf der Bühne die Übertragung des Stücks in die Gegenwart, oder besser: in die jüngere Vergangenheit. Im Dekadenzambiente eines Bordells der Very-Upper-Class, mit Art Deco-Versatzstücken, weißem Flügel, Röhrenfernsehern und Waldtapete ist Violetta Valéry der Star einer Spaßgesellschaft. Sie lässt in Suite Nr. 1206 bitten. Wer gut zahlt, darf sie für eine Stunde haben. Manche Männer sind dabei durchaus eklig übergriffig, wie der schmierige Gastone (der etwas zu späte Charaktertenor des Iorio Zennaro), der sich die feinste Dame des Etablissements nicht gerade nach den Regeln der Liebeskunst nimmt. Wir kapieren deutlich: Hier wird die Liebe zur Ware.

Es regnet keine roten Rosen, sondern Geldscheine

Wahre Liebe flammt freilich zwischen Violetta und Alfredo Germont auf. Doch Carsens Ausstatter Patrick Kinmoth lässt selbst auf dem Landgut-Liebesnest der beiden keine roten Rosen regnen, sondern Geldscheine. Die Desillusionierung setzt früh ein. Es gibt eben doch kein richtiges Leben im falschen. Wo La Traviata 1853 uraufgeführt wurde und wo Maria Callas eine ihrer Paraderollen – neben Wagners Isolde und Brünnhilde – einst sang, ist das tragische Evergreen der Oper also in einer ästhetisch ansprechenden Version einer Art „Regietheater light“ zu erleben, das Touristen wie Einheimische gleichermaßen goutieren können.

Matteo Lippi betört mit schmelzend jungmännischem Tenor-Timbre

Wechselnde Sängerbesetzungen haben leichtes Spiel, sich in der Inszenierung zurechtzufinden. Wobei in der aktuellen Wiederaufnahme sängerisch noch Luft nach oben ist. Auf mit Mailand oder München vergleichbarem Weltniveau bewegt sich nur der junge Matteo Lippi. Der leicht ansprechende Tenor des Genuesers besitzt dieses betörende jungmännische Timbre voller Schmelz, Geschmack und lyrischer Strahlkraft, das ideal ist für einen Alfredo, einen Rodolfo oder Herzog von Mantua. Seine Violetta ist in Gestalt und Stimme der Francesca Dotto eine grundsympathisch aufrichtige wie attraktive Tragödin. Sie hat sehr wohl alle Töne für die Traviata, dennoch ist ihr Sopran zu soubrettenspitz für die großen jugendlich-dramatischen Aufschwünge der Violetta. Ihr fehlt die Expansionskraft für ein Legato, das nicht nur eine schöne Linie ist, sondern stets gesteigerten Ausdruck transportiert. Auch der Vater Germont des wackeren Elia Fabbian hat dieses Grundehrliche, er singt ganz ohne Falsch. Aber die Stimme hat doch nur in der Höhe die nötige Baritonfleischigkeit, um Violetta wie uns mitleidenden Ohrenmenschen als pseudomoralische Instanz zu überwältigen. Orchester und Chor des Teatro La Fenice spielen und singen unter Daniele Rustioni mit Verdi-Präzision, klaren Farben und Delikatesse. Nur die letzten paar Prozent an Passion fehlen, um den Abend aus dem Repertoirealltag eines Traditionstheaters emporzuheben ins wirklich melomanisch Besondere, das hier schließlich lange Jahre wie selbstverständlich zu Hause war.

Teatro la Fenice

Verdi: La Traviata

Daniele Rustioni (Leitung), Robert Carsen (Regie), Patrick Kinmoth (Bühne & Kostümbild), Francesca Dotto, Matteo Lippi, Elia Fabbian, Orchester und Chor des Teatro La Fenice

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