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OPERN-KRITIK: Wernigeröder Schlossfestspiele – La Tragédie de Carmen

Mordserie im Schlosshof

(Werningerode, 6.8.2021) In Peter Brooks maximal verdichteter Carmen-Version werden Spanien-Klischees als Beziehungskammerspiel inszeniert.

vonJoachim Lange,

Es sind die 26. Wernigeröder Schlossfestspiele. Und sie finden – anders als im vorigen Jahr – statt! Live und in Farbe sozusagen. Der Pandemie abgetrotzt. Mit auf 80 reduzierten und auf Abstand verteilten Zuschauerplätzen im Schlosshof. Bei der Premiere waren der in Sichtweite liegende Brocken und der Himmel vor und über ihm gnädig. Sie verschonten die Zuschauer, die Musiker des Philharmonischen Kammerorchesters Wernigerode und die Akteure auf der Bühne mit ihren feuchten Zwischenrufen. Es gibt zwar die Schlechtwettervariante Marstall – also wirklich umsonst muss niemand zu einer der zehn geplanten Vorstellung der maßgeschneiderten „Carmen“ aufbrechen. Aber allein schon der Aufstieg zum Schloss bis hinauf in den Burghof ist Teil jeder Inszenierung, die hier stattfindet. Burgenromantik pur, heute in der Fassung, wie man sie sich am Ende des 19. Jahrhunderts zurechtbaute und wie sie seither unsere Vorstellungen prägt. Das ist zwar nicht echt, entfaltet aber seine Wirkung. Ganz so wie die französische Oper von Georges Bizet ein gängiges Spanien-Klischee bis heute kräftig mitbestimmt. Habanera, Stierkampf, lodernde Leidenschaft, die sich nicht um Gesetze schert. Morde aus Eifersucht oder machohaftem Besitzdenken inklusive.

Hochspannung in pausenlosen 80 Minuten

In Wernigerode gibt es unter dem Titel „La Tragédie de Carmen“ eine auf pausenlose 80 Minuten geschickt verdichtetes Beziehungskammerspiel ohne große Chorszenen. In dieser französischsprachigen Adaption des Komponisten Marius Constant, der Regielegende Peter Brook und von Jean-Claude Carrièreaus dem Jahre 1981 muss aber kein Carmen-Liebhaber auf die wesentlichen Nummern verzichten, die es nach der zunächst nicht so erfolgreichen Pariser Uraufführung von 1875 in die Herzen des Publikums geschafft haben und „Carmen“ nachhaltig in der Spitzengruppe der Repertoirerenner halten.

Wernigeröder Schlossfestspiele: La Tragédie de Carmen
Wernigeröder Schlossfestspiele: La Tragédie de Carmen

Carmen: skrupellos auf ihre Freiheit bedacht

Carmen bleibt auch hier Carmen. Wenn auch mit einer modifizierten und komprimierten Handlung und einem reduzierten Personaltableau. Verführerisch und herausfordernd. Skrupellos, auf ihre Freiheit bedacht. Vor allem die, die Männer um den Finger zu wickeln, sie zu verführen, wenn es ihr Spaß macht oder einen Vorteil verschafft, oder ihnen den Laufpass zu geben. Sicher hat das auch mit einem Drang nach Freiheit zu tun. Aber ohne tödliche Kollateralschäden ist die nicht zu haben.

Der permanente Opernausnahmezustand

Für diese Carmen ist die französische Mezzosopranistin Johanna Brault eine darstellerische und mit minimalen Abstrichen auch vokale Idealbesetzung. Daneben bleibt als Machopendant Don José. Der Kraft und Tenorschmelz verbindende Chilene Guillermo Valdés tritt mit leicht gebremsten Latin-Lover-Habitus genauso rigoros in seinem leidenschaftlichen Besitzanspruch auf – auch wenn der mit Weihrauch katholisch vernebelt ist. Dass da zwei auf einander zu fliegen, gemeinsam tanzen, mit dem Ritual der Blutsbrüderschaft eine Art heimlichen Ehebund eingehen, dann aber hochemotional aufeinander und auf die Katastrophe zurasen, ist der permanente Opernausnahmezustand schlechthin. Bei aller äußerlichen Attraktivität – ins wirkliche Leben übertragen, käme man weder ihr noch ihm besser nicht zu nahe.

Wernigeröder Schlossfestspiele: La Tragédie de Carmen
Wernigeröder Schlossfestspiele: La Tragédie de Carmen

Starke Besetzung

Dagegen sind Micaela und Escamillio geradezu bodenständig. Rebecca Reister liefert in der kleineren Frauenpartie die überzeugendste vokale Leistung des Abends. Hier ist sie zudem kämpferischer, als man sie so kennt. Sie wird beim Kampf mit Carmen um „ihren“ Jose so stark verwundet, dass sie vom Leutnant Zuniga (Alexander Kruuse-Mettin) verhaftet wird. Zuniga (wie Gerd Lukas Storzer als der erklärend beredte Kneipenwirt Lillas Pastia eine Sprechrolle) wird das erste Opfer von Joses Eifersucht. Der nächste ist García (Jörg Schulze-Neuhoff) der anders als in der gängigen Variante, nach dem Gesetz der Roma Carmens Ehemann ist und plötzlich ziemlich finster dreinblickend aus der Deckung auftaucht. Zum Finale – das musikalisch mit zurückgenommen wirkenden Klavierpassagen eingeleitet wird, müssen natürlich auch noch der prachtvoll und elegant auftrumpfende Escamillio (fabelhaft: Ilya Lapich) nach seinem Stierkampf und schließlich Carmen selbst dran glauben. Ob Don Joses Blutrausch für sich selbst reicht, bleibt am Ende offen.

Wernigeröder Schlossfestspiele: La Tragédie de Carmen
Wernigeröder Schlossfestspiele: La Tragédie de Carmen

Hannes Neumaier hat sich auf eine mit Sand aufgeschüttete Spielfläche und Vorhänge zwischen vier kahlen Bäumen beschränkt. Robuste Tische und ein paar Stühle reichen neben dem übersichtlichen Waffenbestand für Regisseur Oliver Klöter aus, um seine Akteure mit spürbarer Spielfreude (und Körpereinsatz namentlich der Titelheldin) die Tragödie der Carmen präsentieren zu lassen. Die Musiker des Philharmonischen Kammerorchesters unter Leitung ihres Musikdirektors Christian Fitzner sorgen von ihrem Platz unter einem schützenden Dach aus dafür, dass sich der romantische Burghof für 80 Minuten in jenes französische Opernspanien verwandelt, das die Zuschauerauch mit dieser Carmen verbinden dürfte.

Wernigeröder Schlossfestspiele im Schloss Wernigerode
Nach Georges Bizet: La Tragédie de Carmen

Adaption: Marius Constant (Komponist)/Peter Brook & Jean-Claude Carrière (Verfasser)

Christian Fitzner (Leitung), Oliver Klöter (Regie), Hannes Neumaier (Bühne & Kostüme). Sebastien Joly (Korrepetition), Johanna Brault, Guillermo Valdés, Don José, Rebekka Reister, Ilya Lapich, Alexander Kruuse-Mettin, Gerd Lukas Storzer, Jörg Schulze-Neuhoff, Philharmonisches Kammerorchester Wernigerode

Weitere Termine

9. bis 14. 8., täglich, 20.00 Uhr (Schloss)

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