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Opern-Feuilleton

Wie sich die Bilder gleichen

Teil 1 der Reihe „Die Zukunft der Oper – Die Oper der Zukunft“: Die Reproduktionsmaschinerie der Oper ist am Ende ihres Lebenszyklus angekommen

vonPeter Krause,

Wagners Wotan, als Wanderer mittlerweile schon in die Jahre gekommen, raunt Urmutter Erda sein baritondüsteres „Hinab, Hinab“ zu. Die Alte möge doch bloß mit ihren ewigen Warnungen aufhören und endlich wieder in die Unterwelt abhauen. Sie nimmt die Aufforderung jedoch ganz wörtlich, gleitet an des Gottes Unterleib hinab und macht sich an seinem besten Stück zu schaffen. So zu sehen in Frank Castorfs Bayreuther Ring-Regie des Sommers 2013: Der „Blow Job“ als witziger wie sexistischer Einfall, aus der lockeren Probenatmosphäre eher zufällig denn aus konzeptioneller Absicht heraus geboren.

Da der Inszenator sich um das Werk wenig schert, lässt er die Sänger gern ihre eigenen Ideen anbieten und entwickelt daraus seine mal hübsch lockeren, mal sterbenslangweiligen Häppchen-Stories. Hier und da projiziert er dazu ein paar eigene Traumata aufs Weltendrama. Am Ende entlädt sich erwartungsgemäß der lautstarke Protest des Publikums, das der Regisseur nicht nur für dumm verkauft hat, sondern auch zu Idioten erklärt, indem er sich ans eigene, in Wagnerfragen eher unbedarfte Hirn tippt.

Die journalistischen Diskurswächter jubeln ergeben

Teile des überregionalen Feuilletons aber jubeln hernach, ihrerseits wie erwartet, als politisch korrekte Diskurswächter über ein „historisches“ Regie-Meisterwerk. Denn der Regisseur hat schließlich ergeben ihren journalistischen Katechismus heruntergebetet und eine zeitgemäße Lesart vorgelegt, die sich von allen vorangegangenen Interpretationen recht ordentlich abhebt. Schließlich gilt im aktuellen, irgendwie immer noch postmodernen Regie-Diskurs: Es gibt nur einen Gott, den Gott der Kontingenz. Die Abweichung vom Erwarteten setzt die Prozesse ästhetischer Wahrnehmung erst so richtig in Gang. „Das Andere“ aktiviert und schärft unsere Sinne. Die Premierenluft einer neuen Inszenierung, findet sie nun in Bayreuth, München oder Berlin statt, reizt unsere Augen, ganz groß zu werden. Aber hat sich das längst ideologisch verhärtete Unterschiedsgebot in seinem Originalitätszwang womöglich selbst ad absurdum geführt?

Verfremdung als Beliebigkeitsassoziativität …

Jede Abweichung von bisherigen Interpretationen verliert ihre Aussagekraft angesichts eines diffus werdenden Normhintergrundes. Das Neue wird bedeutungslos, wenn es keine Basis mehr besitzt, auf die es sich beziehen könnte. Je geringer die verlässliche Kenntnis des Werkkanons, seiner Bedeutungsschichten und Interpretationsmodelle, desto nichtssagender wird die Dekonstruktion des Kanons. Musiktheaterdiskurse der Verfremdung verkommen zur Beliebigkeitsassoziativität. Hatte das Regietheater mit den alten Meistern wie Ruth Berghaus oder Peter Konwitschny, die noch in der Lage waren, ihre kühnen Ideen analytisch präzise aus der Musik zu beziehen, einst das alte Material infragegestellt und vergegenwärtigt und so die Werke im besten Falle zur Kenntnis entstellt, spiegelt es heute nurmehr die überholte Protestattitüde seiner in die Jahre gekommenen Macher wieder. Die Revoluzzer von heute, gern aus Schauspiel und Film kommend und der Musik gegenüber allzu oft immun, sind zu Gralshütern geworden – das angeblich Andere wird zum Immergleichen.

… oder Regie als Kunst des Weglassens

Ist die Reproduktionsmaschinerie des Musiktheaters, die ein immer enger werdendes Repertoire von Mozarts Zauberflöte bis zu Wagners Ring des Nibelungen von Lübeck bis Zürich, von Dresden bis Paris „neu befragt“ hervorbringt, schlichtweg ans Ende ihres Lebenszyklus gekommen? Eine erfreulich erfrischende Gegenbewegung brachte in den letzten Jahrzehnten immerhin die Wiederentdeckung der Barockoper, die in ihrer offenen Dramaturgie den Regisseuren willkommene Freiheiten bietet und zudem von einer wichtigen Diskussion um Fragen der authentischen Aufführungspraxis begleitet wird.

Längst wieder fällig scheint freilich die Entrümpelung der Opernbühnen vom realistischen Trash der Einbauküchen, Guantánamogefängnisse und Punker-Dekorationen, wie sie ähnlich dringend am Ausgang der Romantik durch Alfred Roller und Gustav Mahler oder für das Neu-Bayreuth von Wieland Wagner mit der jeweiligen Reduzierung auf das Wesentliche stattfand. Ein Regiestil als Kunst des Weglassens müsste dann auch die Relevanz des singenden Menschen wieder in den Fokus rücken. Denn die Realismusbehauptungen vieler Inszenierungen neutralisieren oftmals selbst herausragende Gesangsleistungen: Die Stimmen werden gleichsam unhörbar, büßen ihre uns berührende Magie ein. Dabei ist das Singen für die Oper nicht nur konstitutiv, das Singen in der Oper ist auch sonderbar, es bleibt eine überaus unwahrscheinliche Form der Kommunikation, nicht selten unlogisch und handlungshemmend, dafür aber emotional überwältigend und wahrhaftig.

Was wäre, wenn sich die Oper ihrer Verweltlichung und Verbildlichung so weit entzöge, dass ihre nicht-alltägliche Kraft der künstlerischen Transzendenz wieder zum Ausdruck käme? So etwa durch die bewusste Akzeptanz der eigenen Unwahrscheinlichkeit und Eigenweltlichkeit, durch das erneute Wagnis der Stilisierung, durch suggestive Illusionsräume. Wirklichen „Wandel und Wechsel“, wie ihn Wotan in der Walküre propagiert, wird es indes nur geben, wenn eine neue Gründerzeit der Oper anbricht, in der das Publikum auf einmal wieder, wie noch im 19. Jahrhundert selbstverständlich, zu Uraufführungen pilgert, statt sich bloß dem Zauber des Wiederhörens der ollen Opern-Kamellen hinzugeben.

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