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Opern-Kritik: Theater Heidelberg – Abends am Fluss/Hochwasser

Wiedervereinigung brechtianisch

(Heidelberg, 6.2.2015) Peter Konwitschny inszeniert die Doppeluraufführung des dirigierenden Komponisten Johannes Harneit

vonAndreas Falentin,

Diese Uraufführung ist auch eine Ausgrabung. Peter Konwitschny hatte sie als Chefregisseur der Leipziger Oper bestellt. Er schied im Streit, und Johannes Harneits Opern landeten in der Schublade. Nach drei Jahren hat das Heidelberger Theater sie daraus befreit.

Hoch spannende Figurenschablonen

Abends am Fluss: Im Raum gestaffelte Musik. Das Orchester sitzt im Graben, auf der Empore, hinter der Bühne. Auch der Chor singt mal aus dem Publikum. Der selbst dirigierende Komponist gestaltet Klangflächen mit Tiefenstruktur, aus denen er immer wieder musikalische Kraftschübe abfeuert. Und er kann für Stimmen schreiben, weiß von der Kraft der Selbstentäußerung durch Gesang. Das Libretto von Gero Troike weiß und kann viel und nichts. Es ist ein klarer, poetischer Blick auf die „Verhältnisse“, zeichnet eine leere Gesellschaft ohne Solidar-, sogar ohne Sozialleben, ausgeliefert der Herrschaft des Einzelnen. Dazu legt Troike ungewöhnliche, hoch spannende Figurenschablonen an, produktive Vorgaben für einen sehr guten Regisseur.

Peter Konwitschnys Inszenierung hat über weite Strecken die direkte Energie einer sehr guten Brecht-Aufführung. Seine Theatermenschen – der sensible Mann (Angus Wood), sein sanguinischer, fast ins Dämonische kippender Hund (Namwon Huh), der Greis als kantiges, asoziales, machtgeiles und doch von Sehnsüchten fast zerrissenes Urvieh (Thomas Möwes) – geraten wunderbar plastisch. Dazu die Beobachter „Rechts“ (kraftvoll: Nico Wouterse) und der unerhört prägnante Winfrid Mikus als sein Pendant. Sie bewohnen Schildwachenhäuschen am Bühnenrand und versuchen linkisch das Geschehen digital zu kommentieren. Und haben genauso wenig Ahnung wie wir alle.

Plakatives bleibt eben doch nur zweidimensional

Am Anfang – und zwischendurch immer wieder – schwankt die Bühne, schauen die Menschen nach vorne, orientierungslos, werfen mit Plakaten und Parolen geradezu um sich. Aber es hilft ihnen nicht. Nach und nach kristallisiert sich eine (tote?) Frau als eigentliche Hauptfigur heraus, als hauchzartes Pflänzchen sozialer Utopie, am Ende gar als, allerdings leblose Familie mit Mann, Greis und Babys. Irina Simmes gibt ihr Bühnenpräsenz und wunderschöne Töne mit – und, zusammen mit Angus Wood, das Emotionszentrum des Abends, eine einzige, wunderbar weit ausschwingende Puccini-Phrase.

110 Minuten dauert dieses erste Stück. Zu lang. Leider. Auch ständige, fantasievoll gesetzte Energiestöße ermüden irgendwann. Wenn Konwitschny die geistig und gesellschaftlich immer noch nicht wirklich vollzogene Wiedervereinigung in den Mittelpunkt stellt, droht der Abend zu kippen, wird die Milch kurz sauer, zeigt sich, dass Plakatives eben doch nur zweidimensional ist – und dass Troikes Texte, die oft in Aufzählungen, in Auftürmungen von beschreibenden, benennenden Phrasen kulminieren, auch in manche Sackgasse führen.

Bei Hochwasser wird das Theater selbst zur Bühne

Einfacher gebaut ist Hochwasser, ein Satyrspiel, etwas Warten auf Godot, eine Prise von Fellinis Orchesterprobe, sublime Komik, die Illusion von Freundschaft, ein rührendes Ende und – auch hier – manche Länge. Zwei Koffer liegen im Keller, und nie passiert etwas. Der alte, schwere schwelgt in Erinnerungen, der junge, leichte träumt vom Leben. Irgendwann ergießt sich Hochwasser in den Keller, zerstört den schweren, belebt den leichten Koffer.

Für die Aufführung wird der Raum gewechselt. Vom modernen „Maguerre-Saal“ geht es in den „Alten Saal“, den ursprünglichen Theaterbau. Das Publikum sitzt auch auf der Bühne. In der Mitte der jeweils letzten Reihe Wilfried Staber und Ipca Ramanovic, die hinreißenden Koffer-Interpreten. In der Mitte, im Graben, Johannes Harneit und seine zehn Musiker. Sie machen mal fragile, mal absurde, mal fragil-absurde Kammermusik. Hier wird das Theater selbst zur Bühne, zum Kunstraum, vor allem zum sozialen Raum.

Ein voller Erfolg – trotz macher Längen

Wir beobachten und werden beobachtet. Wir fahren mit der Bühne nach unten, wir werden beleuchtet, wir rücken zur Seite, wir stehen auf, um besser sehen zu können. Wir machen mit. Eine Tendenz, die schon in Abend am Fluss angelegt war, und hier das Stück trägt. Der tollste Moment ist, wenn die Bühnenrückwand zur Seite gefahren wird und ein schiefgegangenes „Stille Nacht, Heilige Nacht“ erklingt, gespielt an einem Klavier im anderen Theatersaal. Dann spielt das Theater selbst die Hauptrolle.

Also: ein Erfolg. Ermöglicht durch den unglaublichen Enthusiasmus von nicht nur Musikern, Choristen und Solisten, von allen, von der Garderobiere bis zum Intendanten. Das habe ich selten so gespürt. Und jetzt, Johannes Harneit, bitte kürzen, damit noch viele Menschen in vielen Städten ihre lebenskräftigen Opern erleben können!

Theater Heidelberg

Harneit: Abends am Fluss/Hochwasser

Ausführende: Johannes Harneit (Leitung), Dietger Holm (Co-Dirigent), Peter Konwitschny (Inszenierung), Helmut Brade (Ausstattung), Anna Töller (Chor), Angus Wood, Irina Simmes, Thomas Möwes, Namwon Huh, Winfrid Mikus, Nico Wouterse, Carolyn Frank, Hye-Sung Na, Wilfried Staber, Ipca Ramanovic, Chor, Extra- und Kinderchor des Heidelberger Theaters, Philharmonisches Orchester Heidelberg

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