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Opern-Kritik: Komische Oper – Die Soldaten

Zeit- und zwecklos amoralisch

(Berlin, 15.6.2014) Mit Bernd Alois Zimmermanns Die Soldaten setzt die Komische Oper in der Hauptstadt erneut Maßstäbe

vonChristian Schmidt,

Um die Schlafstörungen kompensieren und das Erlebte verdauen zu können, muss man eigentlich nach diesem Opernabend mindestens einen Tag frei nehmen. 1965 schrieb Bernd Alois Zimmermann unter dem Eindruck des Kalten Krieges und 20 Jahre nach seiner eigenen Felderfahrung Die Soldaten nach Jakob Lenz, ein schauriges Porträt ganz normaler, quasi naturgegebener Brutalität. In einer Zürcher Koproduktion ist das Stück jetzt an der Komischen Oper in Berlin herausgekommen, womit das ambitionierte Haus wieder einmal eine besondere Duftmarke im sonst eher faden Einheitsbrei der hauptstädtischen Musiktheaterlandschaft setzt.

Die an sich simple Geschichte um Marie, die sich, auf gesellschaftlichen Aufstieg hoffend, dem nur mit ihr spielenden Offizier Desportes hingibt, obwohl sie eigentlich dem einfachen Soldaten Stolzius versprochen ist, zeugt auch in sämtlichen Nebenfiguren von einem desillusionierten Menschenbild. Wir sehen in allen Facetten eine Katastrophe – schon vor fast 50 Jahren mit all den Mitteln erzählt, die das moderne Regietheater einem Zerstreuung suchenden Publikum gern als Schocktherapie verordnet. Allgegenwärtige Gewalt, vor allem seelische, findet hier nur scheinbar ihre physische Vollendung in der Schlussszene, in der Marie, zum Abschuss als Hure freigegeben, vergewaltigt und derart gepeinigt nicht mal mehr vom eigenen Vater erkannt wird. Drängender noch quält das umgebende Dauerklima aus Demütigungen und Schikanen. Opfer werden Täter, Täter werden Opfer. Es gibt keine Unterschiede mehr, und es hat vielleicht nie welche gegeben.

Calixto Bieito lässt die Musik sprechen

Erstaunlich dabei ist, dass Bernd Alois Zimmermann nicht destruktiv wirkt, er verwebt einen absoluten Kunstwillen mit einer aus heutiger Sicht fast rührend anmutenden Warnung, die auch musiksprachlich gleichwohl älter geworden scheint. Dennoch: Zimmermanns Musik ist Hauptakteur eines heutigen Mahnmals, und so braucht Calixto Bieito nur wenige Zutaten fürs Regiekonzept: Seine Geschichte ist das Psychogramm einer gemarterten, demzufolge zermarternden Gesellschaft, die eher zufällig im Militärmilieu spielt. Letztlich sind alle Beteiligten auch Soldaten, der Begriff wird hier eher allegorisch verstanden. Folgerichtig ist auch das 120-köpfige Hausorchester samt Gabriel Feltz am Pult militaristisch eingekleidet und auf der Bühne platziert, womit Bieito aus der Platznot eine Tugend gemacht hat. Rebecca Ringsts gelbe Geländerskelette mit fahrbaren Hub- und Schubpodien, die schon mal das Schlagwerk in den Vordergrund rücken, bilden als eine Art Gulag den Prospekt für sämtliche Bilder.

Die erzählt Calixto Bieito erstaunlich linear, soweit das bei parallel geführten Szenen überhaupt möglich ist. Er lässt vor allem die Musik sprechen. Freilich kann sich Bieito manchen Pleonasmus nicht verkneifen, verätzt hin und wieder eine schon offene und gesalzene Wunde noch zusätzlich mit moralinsaurem Gebräu. Was er Susanne Elmark als Marie zumutet, die ohnehin eine schier übermenschliche Partie zu singen hat, überschreitet selbst schon die Sadismusgrenze, was angesichts des Stückkonzepts auch nicht weiter verwundert. Das weibliche Hauptopfer muss im Liegen die Grenzen des Stimmumfangs voll ausreizen, sich eimerweise mit Blut besudeln, beinahe realistisch vergewaltigen, halbnackt ausziehen und auf allen Vieren als menschlicher Tisch und Stuhl missbrauchen lassen.

Nachhaltige Erschütterung

Dass sie bei all dieser Beanspruchung noch Kraft zur Konzentration auf Gabriel Feltz findet, zeugt von absoluter Hingabe. Der noch junge Dortmunder GMD weiß die Partitur in Berlin mit Unterstützung eines im Parkett postierten Sängerdirigenten zu organisieren. Viel zu interpretieren gibt es nicht, denn das meiste ist fest vorgeschrieben. Auf fatale Weise formt Feltz aus der bewusst hässlichen, aufreibenden Anklage eine betörend klare Klangsprache, die vor allem wirkt, weil sie so pur ist. Kaum ein Protagonist macht den Anschein einer Überforderung, obwohl das Stück nicht umsonst lange Zeit als unspielbar galt. In seiner Rohheit überwältigt besonders der Männerchor der Komischen Oper, der die Soldaten ihrer Kriegsbestimmung entledigt und in die zeit- und zwecklose Sphäre von Amoralität befördert.

Den in der Partitur geforderten Atompilz zum vom Tonband eingespielten finalen Schreckensschrei lässt Bieito denn auch konsequent aus: Schließlich sind nicht nur Soldaten Mörder. Seelenpeiniger scheinen allgegenwärtig, auch im grell angeleuchteten Zuschauerraum. Einhelliger Jubel schallt von dort zurück, aber man muss schon sehr abgebrüht sein, um drei Minuten nach diesem eindrücklichen Erlebnis sofort in den Tischreservierungs- und Premierenküsschen-Modus zurückfallen zu können. Am Ende drängt sich die Frage auf: Haben wir uns schon längst zu Tode amüsiert? Im behüteten Berlin kann nicht mal mehr diese Oper nachhaltig erschüttern. Welche dann? Wofür taugt Theater noch?

Komische Oper Berlin

Zimmermann: Die Soldaten

Ausführende: Gabriel Feltz (Leitung), Calixto Bieito (Inszenierung), Rebecca Ringst (Bühne), Ingo Krügler (Kostüme), Jens Larsen, Susanne Elmark, Karolina Gumos, Xenia Vyaznikova, Tom Erik Lie, Christiane Oertel, Reinhard Mayr, Martin Koch, Hans Schöpflin, Joachim Goltz, Tomohiro Takada, Günter Papendell, Edwin Vega, Alexander Kravets, Máté Gál, Noëmi Nadelmann, Adrian Strooper, Beate Vollack u. a.

Termine: 20. & 25.6. 1. & 9.7.

Weitere Infos zur Komischen Oper Berlin finden Sie hier.

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