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Opern-Kritik: Hamburgische Staatsoper – Carmen

Zigaretten aus Havanna

(Hamburg, 19.1.2014) Jens-Daniel Herzog wollte Bizets Klassiker klischeefrei erzählen – und liefert dennoch eine allzu konventionelle Regiearbeit ab

vonChristoph Forsthoff,

Es ist das alte Leid: Da tönt der Regisseur vorab, was er alles anders, besser und natürlich viel näher am eigentlichen Kern des Werkes machen wolle – und dann sitzt der Opernbesucher da und reibt sich erstaunt die Augen ob der am Ende doch reichlich konventionellen Inszenierung. Eben dies nun auch wieder einmal an der Staatsoper Hamburg, wo Jens-Daniel Herzog in seiner Carmen-Inszenierung „mehr Informationen über die Figuren“ und die „atemberaubende Story“ einmal wirklich „zur Geltung“ bringen wollte – um dann in Klischeesierung und dekorativen Bildern zu landen.

Nicht die vermeintliche, titelgebende Femme fatale hat es ihm angetan, sondern ihr Mörder Don José und dessen sozialer Abstieg und seine Gewaltbereitschaft. Dumm nur, dass Nikolai Schukoff zum einen eine gefühlte Ewigkeit braucht, um sich einzusingen und stimmliche Stabilität zu gewinnen, vor allem aber von Statur und Auftritt allenfalls in Ansätzen mitspielen will. Das war’s dann also mit der großartigen Idee – und so richtet sich alle Aufmerksamkeit wieder einmal auf das männermordende Luder in Netzstrümpfen und Korsage.

Solch Arbeitskleidung trägt frau nämlich in der kubanisch anmutenden Zigarettenfabrik-Kulisse (Mathis Neidhardt), natürlich gehen ihr die abgewrackten, herumlungernden Soldaten schon zum Arbeitsbeginn an die Wäsche, erinnert diese Carmen auch für den Rest des Abends eher an eine Dame aus dem benachbarten Rotlichtbezirk auf der Reeperbahn als an eine Andalusierin. Was Elisabeth Kulman das Hauptaugen- und ohrenmerk des Publikums garantiert – indes nicht nur aus solch oberflächlichen Attraktivitätsgründen: Nein, die spielfreudige Mezzosopranistin setzt ihre Stimme nuanciert und dramaturgisch gescheit ein, auch wenn sie in ihrem Rollenverständnis nur wenig mit Herzogs Idee eines „radikalen Glücksanspruchs“ im Sinn hat.

Zumal der Gedanke, statt der Rezitativ-Fassung auf die originalen, gesprochenen Dialoge zurückzugreifen, zum Wortkrepierer gerät: Die französischen Dialoge bringen kaum Mehrwert zu den Figuren, ja, die deutschen (Übertitel-)Übersetzungen sind an Banalität kaum noch zu überbieten. Und warum selbst der Kinderchor dem Veränderungsdrang Herzogs ausgesetzt werden und sich in mikroökonomischen Verteilungskämpfen ergehen muss, erschließt sich kaum der Logik.

Bleibt also wieder einmal die Musik – neben den starken Frauenstimmen Mélissa Petits (Frasquita) und Maria Markinas (Mercédès) und einer wunderbar klaren lyrischen Linienführung Liana Aleksanyans als Micaela – und die tönt klar konturiert und dynamisch differenziert aus dem Orchestergraben. Ja, Alexander Soddy, Ex-Assistent der Generalmusikdirektorin Simone Young, vermag mit den Hamburger Philharmonikern die koloristische Schönheit der Partitur ebenso auszukosten wie die Laszivität des Beginns und die unbarmherzige Härte des Finales. Und bleibt Bizet dabei ganz von alleine treu.

Hamburgische Staatsoper

Bizet: Carmen

 

Ausführende: Alexander Soddy (Leitung), Jens-Daniel Herzog (Regie), Nikolai Schukoff, Lauri Vasar, Jun-Sang Han, Vincenzo Neri, Florian Spiess, Viktor Rud, Elisabeth Kulman, Liana Aleksanyan, Mélissa Petit, Maria Markina, Chor der Staatsoper Hamburg, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

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