Ein Spielzeit-Auftakt mit einer Verdi-Oper ist eine sichere Bank. Da dürfen das Orchester im Graben und die Sänger auf der Bühne in die Vollen gehen. Da heißt es Leinen los und ab auf die hohe Opernsee. In seinem 1859 nach einigem Hickhack mit der Zensur in Rom uraufgeführten „Maskenball“ hat der Italiener die große Haupt- und Staatsaktion und das ewige Opern-Sujet von Freundschaft, Liebe, Leidenschaft und Verrat exemplarisch miteinander verwoben. Aber die Zensur ließ einen Königsmord auf offener Bühne nicht zu. 1792 gab es tatsächlich vor aller Augen und obendrein in der Oper ein Attentat auf Gustav III. von Schweden. Die Mächtigen in Neapel und Rom verdächtigten das offensichtlich als eine Aufmunterung zum Handeln. Verdi musste wohl oder übel nochmal ran. Er machte aus dem schwedischen König einen Conte Riccardo und verlegte den ganzen Plot sicherheitshalber über den Atlantik bis nach Boston.
Zurück zum Original nach Schweden
Was heute dann doch irgendwie nach „Wie-im-falschem-Film“ aussieht. Also zurück zum Original nach Schweden, zu Gustavo III. und „seinen“ Attentätern Ankarström, Dehorn und Ribbing. In jedem Fall gehört aber zur Verschwörung die private Menage a trois, die eigentlich gar keine ist. Der König liebt zwar die Frau seines treuen Freundes Ankarström Amelia (und sie ihn), aber wirklich zusammen kommen sie nicht. Dramatisch wird es, wenn die Sache auffliegt, der König und Amelia bei einem heimlichen nächtlichen Treffen von den Attentätern (die hinter ihm her sind, wie er hinter Amelia) überrascht werden, Ankerström dem König zur Flucht verhilft und ihm verspricht, das Inkognito der Dame zu wahren. Als der von den Attentätern gestellt wird, kommt er nur aus der Bredouille, weil sich Amelia zu erkennen gibt. Über den so bloßgestellten Ehemann lässt sich freilich genüsslich spotten. Für Ankarström ist die vermeintliche Untreue seiner Frau der Grund, von nun an die Seiten zu wechseln, sich den Attentätern anzuschließen und damit der Prophezeiung der Wahrsagerin zu entsprechen, dass er der Mörder des Königs wird.
Un Ballo In Maschera: Regisseurin Isabel Ostermann zeigt das Exemplarische einer Gesellschaft hinter Masken
Die deutschen Übertitel können sich nicht so recht entscheiden, ob Gustavo nun der Prinz oder der König ist. Aber so historisch konkret oder zum echten Politthriller wird die Inszenierung von Isabel Ostermann eh nicht. Die Bühne mit kleiner Freitreppe davor, die Stephan von Wedel auf die Drehbühne gesetzt hat, und die weiß angemalten Gesichter der Hofgesellschaft (zur Abwechslung mal white-facing sozusagen) zielen mehr aufs ausgestellt Exemplarische einer Gesellschaft hinter Masken. Bei der der König selbst den Staatskasper gibt, der seine Leute halbangezogen empfängt und ungeniert mit seinem Pagen (Vanessa Waldhart mit betörenden Koloraturen) rumknutscht. Michael Zehe (Dehorn) und Ki-Hyun Park (Ribbing) singen die beiden Verschwörer im Spitzenamt und grauen Business-Anzug (Kostüme: Kristina Bell) nicht nur exzellent und auf dem gewohnt hohen Niveau, sie spielen dieses peinliche Berührtsein vom Verhalten des Königs auch höchst überzeugend.
Auch das neue Ensemblemitglied Andrii Chakov in der Rolle des vermeintlich verratenen Freundes und Mörders Ankarström überzeugt darstellerisch und mit kultivierter Eloquenz. Auf seine Kosten wird allerdings auch einer der seltsam mutwillig wirkenden Brüche der Inszenierung ausgetragen. Dass der Besuch bei der Wahrsagerin Ulrica (Marlene Lichtenberg in jeder Hinsicht glaubwürdig düster) auf die Rückseite der Bühne, quasi in das Pausenareal des Personals und der Reinigungskräfte führt, mag noch logisch sein. Wieso aber Amelia, Graf Ankarström und ihr Filius (Arthur Blum macht das toll!) in einem abgeranzten Bruchbundenzimmer neben einem Müllcontainer am kargen Küchentisch beim Frühstücksei sitzen und der Graf zur Pyjamahose das Hemd falsch geknöpft hat und in dem Aufzug auch noch barfuß zum Ball stürmt, das will sich (als Brücke zur „Realität“?) nicht so recht erschließen.
Griff in die Verdi-Vollen: 1. Kapellmeister José Miguel Esandi seine Chance bravourös
Überhaupt bleibt diese Inszenierung, im Vergleich zu dem, was man in Halle unter Intendant Florian Lutz inzwischen gewohnt ist, deutlich zurück. Sie beschränkt sich auf einen eher beliebigen Rahmen für einen Griff in die Verdi-Vollen. Da die neue GMD in Halle in dieser Spielzeit die Oper demonstrativ meidet (was ihr Vertrag offenbar gestattet), nutzt der Argentinier José Miguel Esandi seine Chance. Mit einer sich beherzt und mit Verve in den Verdi werfenden Staatskapelle führt er sich als 1. Kapellmeister bravourös ein. Er wird in dieser Spielzeit auch „Rusalka“ und die Uraufführung „Chaosmos“ dirigieren und die Wiederaufnahme der spektakulären „Ariadne auf Naxos“-Produktion übernehmen. Darauf darf man sich freuen. Nicht nur der von Johannes Köhler präzise einstudierte, durch Extrakräfte verstärkte Chor und das Jugendblasorchester Staßfurt (als Banda für die Bühnenmusik beim Ball), auch die Sänger haben keine Probleme, sich auch dann zu behaupten, wenn Esandi im Graben richtig zulangt.
Starke Sänger
Der neben Ulrica einzige Gast ist der Tenor Angelos Samartzis in der Rolle des Gustavo. Es ist ein Genuss, die sicher schmetternde Unbekümmertheit des Griechen zu erleben. Er spielt nicht nur oft mit ausgebreiteten Armen – er singt quasi auch so. Wie man allerdings lodernde Emotionen und den gewissen Verdidrive mit klug kalkulierender Technik und kultivierter Gestaltung verbindet, das führt dann doch Romelia Lichtenstein als Amelia exemplarisch vor. Hier zahlt sich die Erfahrung aus, die Samartzis gerade zu sammeln beginnt.
Bühnen Halle
Verdi: Ein Maskenball
José Miguel Esandi (Leitung), Isabel Ostermann (Regie), Stephan von Wedel (Bühne), Kristina Bell (Kostüme), Angelos Samartzis, KS Romelia Lichtenstein, Andrii Chakov, Marlene Lichtenberg, Vanessa Waldhart / Liudmila Lokaichuk, Gerd Vogel, Ki-Hyun Park, Michael Zehe, Robert Sellier, Chor- und Extrachor der Oper Halle, Jugendblasorchester Staßfurt (Banda), Staatskapelle Halle