Vor einhundert Jahren, am 10. Juni 1918, starb Arrigo Boito in Mailand. Geboren wurde er 1842 in Padua. Ein vielseitig Begabter, bei dem man sich aussuchen kann, ob man ihn den Schriftstellern, den Librettisten oder den Komponisten seiner Zeit zuordnet. Am häufigsten erwähnt wird er heute, wenn irgendwo auf der Welt Verdis „Otello“ oder sein „Falstaff“ auf die Bühne kommt. Boito war in beiden Fällen der Librettist. Was allein schon für die Unsterblichkeit reichen würde. Er hat auch den Text für „La Gioconda“ von Ponchielli verfasst. Er bleibt also in Zeiten, da die Originalsprache auf den Opernbühnen die Norm ist, sozusagen mit seinen eigenen Worten präsent. Andererseits hat er auch Wagners „Rienzi“, dessen „Tristan und Isolde“ sowie Webers „Freischütz“ ins Italienische übersetzt. Was bei dem daheim hoch geschätzten Dichter sicher als gelungen galt. 1862 hat sich Boito in Mailand der anarchistischen Bewegung „Scapigliatura“ (Die Ungebundenen) angeschlossen und mit diesem Furor auch die Reform der Oper gefordert und die Gleichberechtigung von Text und Musik im durchkomponierten Gesamtkunstwerk (à la Wagner) propagiert.
Arrigo Boito als Komponist
Doch Boito war auch ein Komponist. Es ist eine hübsche Fußnote, dass Mephisto in Goethes „Faust“ der Frau Martha zu berichten weiß, dass ihr Mann in Padua begraben ist. Dass Boitos einzige, wirklich überlebende Oper „Mefistofele“ ist, hat weniger damit zu tun, dass bei dieser teuflischen Plauderei der eigene Geburtsort vorkommt. Es ist wohl mehr die Faszination, die Goethe mit seinem Dichterhochgebirge auf Komponisten auch jenseits des deutschen Sprachraumes ausübte. Charles Gounod, Ferruccio Busoni, in jüngster Zeit Pascal Dusapin und eben Boito sind da nur die prominentesten Beispiele.
Mit seinem „Mefistofele“ fiel er allerdings am 5. März 1868 an der Mailänder Scala mit Pauken und Trompeten durch. Sieben Stunden waren wohl doch eher eine Zumutung. Im Unterschied zu Gounod und dessen Librettisten Jules Barbier und Michel Carré bei ihrer „Faust“- bzw. „Margarete“-Oper (1859) bleibt Boito erkennbar dicht an Goethes Vorlage.
Selbstverschuldeter Misserfolg
Zum Misserfolg im ersten Anlauf trug auch bei, dass das Dirigieren, das Boito bei dieser Uraufführung selbst übernommen hatte, wohl eher nicht zu seinen größten Begabungen gehörte. Sieben Jahre später dann, am 4. Oktober 1875 im Teatro Comunale di Bologna, sah die Sache ganz anders aus: Drastisch um die Hälfte gekürzt und mit einem vom Bariton zum Tenor umgeschriebenen Faust brachte es dem Komponisten, dem immer eine Synthese deutscher und italienischer Kunst vorschwebte, den erhofften Erfolg.
Diese Operncollage aus Szenen beider Teile bleibt aber auch in dieser Version eine Materialschlacht von beachtlichem Ausmaß – schon weil die Walpurgisnacht fast ein Viertel der Partitur einnimmt. Hinzu kommt, dass der sinfonische Duktus die Sänger besonders fordert.
Vom Verdammungsurteil des scharfzüngigen Eduard Hanslick lässt sich die Nachwelt ja bekanntlich auch im Falle Richard Wagners bei diversen Neubefragungen nicht irritieren. Und so taucht heute Boitos „Mefistofele“ immer mal wieder im Repertoire ambitionierter Häuser auf. Wie in München 2015, wo Regisseur Roland Schwab das Ganze in die Hölle verlegt hat. Oder wie 2016 bei den Pfingstfestspielen in Baden-Baden, wo bei Regisseur Philippe Himmelmann die Hölle als ultraviolettes Schwarzlicht irgendwann die Zuschauer überflutet und einbezieht.