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Spurensuche Alban Berg

Der Kampf um Wozzeck

Am 14. Dezember 1925 erlebte die Staatsoper Unter den Linden ihre bedeutendste Uraufführung

vonMichael Horst,

Wenn es nur gelingt, daß Kleiber noch alles vom Orchester herausholt – und das wird er – , so wird das eine Aufführung, die sich gewaschen hat. Heute glaub‘ ich wieder, daß es was Unerhörtes, etwas bisher Unerhörtes wird.“ So schrieb der Komponist Alban Berg am 2. Dezember 1925 aus Berlin an seine Frau Helene, die in Wien geblieben war. Berg sollte recht behalten: Die Uraufführung seines Wozzeck am 14. Dezember 1925 wurde zu einem Meilenstein in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts, zur wegweisendsten Premiere an der Staatsoper Unter den Linden überhaupt – und zu einem Lehrbeispiel darüber, was persönlicher Einsatz und Courage erreichen können, auch wenn die Zeitläufte der geplanten Unternehmung mehr als feindlich gesonnen sind.

Die Vorbereitungen zur Uraufführung waren unter äußerst stürmischen Bedingungen abgelaufen. Die Staatsoper durchlitt Mitte der 1920er Jahre eine tiefe Krise. Zwar hatte Intendant Max von Schillings das Haus einigermaßen geschickt durch die Hyper-Inflation von 1923 manövrieren können, die viele Stars dazu zwang, verstärkt auf Gastier-Urlaub im Ausland zu drängen. Doch dann warf Generalmusikdirektor Leo Blech wegen Kompetenzstreitigkeiten mit seinem Stellvertreter Fritz Stiedry das Handtuch, und der gerade 33-jährige Erich Kleiber wurde, aus Mannheim kommend, neu engagiert. 1924 streikten erstmals Chor und Ballett vor der Erstaufführung von Korngolds Oper Die tote Stadt für bessere Bezahlung, und 1925 spitzte sich die finanzielle Lage der Staatsoper zu, sodass Schillings mehrfach zum Rapport beim Ministerium bestellt wurde.

In dieser Situation stand Erich Kleiber bei Alban Berg im Wort. Der wartete schon lange und sehnsüchtig auf eine Aufführung seines Opern-Erstlings, der seit 1922 fertig instrumentiert und elegant gebunden vorlag. Nur hatte sich bisher niemand an die Realisierung der überaus komplexen und neuartigen Partitur, die so ganz anders geartet war als die Novitäten der Schreker, Zemlinsky und Korngold, herangetraut. Bis Kleiber schließlich Berg die Zusage für die Staatsoper gab und die Premiere für das Frühjahr 1925 in Aussicht stellte. Doch im März erhielt Berg einen Brief, in dem Kleiber eine Verschiebung auf Mai avisierte und die neue Strauss-Oper als Grund angab: „Vorher wird es nicht möglich sein, weil wir durch das Intermezzo in Rückstand geraten sind. Also vor Ende Mai ist gar nicht daran zu denken und ich bitte Sie aus diesem Grunde doch noch einmal freundlichst erwägen zu wollen, ob es nicht besser wäre, den Wozzeck als erste Novität der neuen Spielzeit… zu präsentieren.“ Man sieht: Die Saisonplanungen waren deutlich kurzfristiger angelegt als heute!

Tatsächlich wurde die Uraufführung dann auf Ende November festgesetzt; den Sommer nutzte Kleiber, um sich mit dem Komponisten ausführlich per Brief über die Neu¬produktion auseinanderzusetzen. Regie führte der Hausregisseur Franz Ludwig Hörth, die expressionistisch gefärbten Bühnenbilder stammten von Panos Aravantinos. Als Sänger in den Hauptrollen waren der Bariton Leo Schützendorf (Wozzeck) und die Sopranistin Sigrid Johanson (Marie) ausgewählt worden. Die Stars des Hauses – wie Vera Schwarz und Frida Leider, Heinrich Schlusnus oder Friedrich Schorr – machten einen großen Bogen um das Werk; sie fürchteten anscheinend die neuartigen Herausforderungen, die Berg den Sängern durch seine Art des Sprechgesangs zumutete. Die kulturpolitischen Spannungen führten am 26. November zum Rücktritt des Intendanten Max von Schillings, erneut musste die Premiere verschoben werden – nun auf den 14. Dezember. Immer heftiger wurden die Angriffe der rechtsnationalen Presse auch gegen den Opernchef Kleiber, dem bewusst war, dass seine Position unhaltbar würde, sollte die Uraufführung des Wozzeck misslingen. Fleißig wurden von seinen Gegnern Gerüchte über die Unaufführbarkeit der Oper und ihre immensen Kosten gestreut; noch heute geistert – nicht nur bei Wikipedia! – die Zahl von 137 Proben durch die Literatur! In Wirklichkeit waren es genau 34 Orchesterproben – durchaus nicht zu viel für die Ersteinstudierung einer Komposition, die bis heute ein Kraftakt für jedes Opernorchester geblieben ist!

Inzwischen war auch Alban Berg angekommen, und sein Eindruck fiel uneingeschränkt positiv aus: „Als ich den Proben an der Staatsoper beiwohnte, machte ich die überraschende Entdeckung, daß keiner der Mitwirkenden über Unaufführbarkeit, Unsangbarkeit oder dergleichen lamentierte.“ Der später selbst als Opernkomponist bekannt gewordende Berthold Goldschmidt, der damals Assistent Kleibers war und im Orchester die Celesta spielte, erinnerte sich: „Alban Berg äußerte sich nie. Er machte den Mund nicht auf und sah nur immer etwas melancholisch aus, was sowieso in seiner Natur war. Aber er musste mit dieser Aufführung außerordentlich zufrieden sein.“ In seinem Tross aus Wien war auch Alma Mahler angereist, gemeinsam mit ihrem neuen Lebensgefährten Franz Werfel. Sie hatte den Druck des Klavierauszugs finanziert und sich mächtig ins Zeug gelegt, um eine Aufführung des Wozzeck zu erreichen. Zum Dank hat Berg ihr seine Oper zugeeignet. In ihren Lebenserinnerungen schreibt sie: „Franz Werfel und ich fuhren zu den letzten Proben nach Berlin. Als wir im Hotel ankamen, lag auf dem Tisch eine schöne große Mappe mit dem ersten Particell-Manuskript des Wozzeck, in dessen Ecken ,Alban – Alma‘ eingraviert war. Wir lebten und webten mit diesen Proben und verwuchsen immer mehr mit dem schönen Werk.“ Goldschmidt fiel die Komponisten-Witwe nicht so positiv auf: „Die saßen in der ersten Reihe bei den Proben und redeten immer in den Zwischenpausen auf Kleiber ein.“

Die gelungene Generalprobe am 10. Dezember ließ für die Uraufführung vier Tage später Gutes hoffen; anschließend versammelten sich die Bergs, Kleiber und einige Freunde, darunter Bergs Schüler Adorno und Hanns Eisler, zum Nachtmahl im Restaurant Kannenberg am Bahnhof Friedrichstraße. Nicht dabei war Arnold Schönberg, der in Wien am Blinddarm operiert wurde. Pikante Fußnote: Der Wirt Arthur Kannenberg wurde 1933 „Hausintendant“ Hitlers und hatte in dieser Funktion dessen Haushalt zu organisieren – bis zum bitteren Ende im Führerbunker.

Die Premiere am 14. Dezember 1925 wurde tatsächlich das von allen Berg-Freunden ersehnte spektakuläre Ereignis, auch wenn die Kritiken – nicht zuletzt parteipolitisch beeinflusst – zwischen euphorischer Zustimmung und bösartiger Verunglimpfung alle Extreme abdeckten. „Die Kunst der Partitur ist außerordentlich“, konstatierte Oscar Bie im Berliner Börsencourir, und Adolf Weißmann verlangte in der B.Z. am Mittag: „Ich halte es ohne Rücksicht auf den äußeren Erfolg für die Pflicht jeder größeren Bühne, den Wozzeck aufzuführen. Wie auch für wünschenswert, daß möglichst viele Feinfühlige sich in ihn hineinhören.“ An der Staatsoper wurde die Produktion 1927 und 1932 wieder aufgenommen; Erich Kleiber blieb Generalmusikdirektor. Doch der Gegenwind wurde immer eisiger: Als er im November 1934 eine Suite aus Bergs neuer Oper Lulu aufführte, entfachten die Nationalsozialisten einen Skandal, der Kleiber bald darauf ins Exil trieb. Seine Partitur des Wozzeck nahm er mit; sie ging später in den Besitz seines Sohnes Carlos Kleiber über.

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