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Porträt Alexander Lonquich

„Früher gab es mehr Flexibilität“

Ohne die Oper hätte Alexander Lonquich vielleicht nie den Weg an die Tasten gefunden

vonSören Ingwersen,

Auf den ersten Blick hat ein Pianist mit einem Schauspieler wenig gemeinsam. Und falls doch – etwa, wenn der Solist sich in übertriebenes Gestikulieren versteigt –, lassen hämische Kommentare nicht lange auf sich warten … Was Alexander Lonquich indes nicht davon abhält, die enge Verbindung zwischen Musizieren und Theaterspielen zu betonen – schließlich zielt der Pianist auf etwas anderes: „Es geht dabei nicht um Äußerlichkeiten, sondern darum, die Spannungsverhältnisse, die in der Musik vorhanden sind, deutlicher zu spüren und mitzubekommen, was um einen herum passiert.“

Ohne das Theater, genauer: die Oper, hätte der Musiker vielleicht auch nie den Weg an die Tasten gefunden. Sein Vater Heinz Martin Lonquich war nämlich Komponist und Korrepetitor an der Kölner Oper, schon früh entwickelte der Sohn eine Faszination für das Musiktheater. Mit sechs erhielt er daheim den ersten Musikunterricht, zwei Jahre später Klavierstunden bei Astrid Schmidt-Neuhaus – einer Nichte Heinrich Neuhaus’ –, doch erst mit dreizehn keimte der Wunsch, die Pianistenlaufbahn einzuschlagen. Keineswegs zu spät, denn heute lebt Lonquich in Florenz und Rom, gibt rund 60 Konzerte im Jahr und zählt zu den spannendsten Klaviervirtuosen seiner Generation.

„Schubert ist einer der Komponisten, die mich immer begleitet haben, wie auch C. P. E. Bach, Haydn, Mozart und Beethoven. Es gab da immer eine Konstante zwischen Klassik und deutscher Romantik, bei einem andrerseits recht heterogenen Repertoire.“ Besonders in der Klassik bewegt sich der Saarländer gerne frei und übernimmt dann als Solist das Dirigat. „Die Klavierkonzerte Mozarts und Beethovens sollten als erweiterte Kammermusik aufgeführt werden, da diese Musik strukturell noch im Basso-Continuo-Spiel wurzelt: Der Pianist befindet sich hier in einem ständigen Dialog mit dem Orchester.“

Anregungen für seine Interpretationen erlauscht Lonquich sich dabei nicht selten von historischen Aufnahmen: etwa den auf Lochstreifen gebannten Einspielungen von Mahler, Strauss und Grieg auf dem Welte-Mignon-Flügel oder den Tonaufnahmen des französischen Pianisten Raoul Pugno aus dem Jahr 1903. „Damals spielte man völlig anders als heute, was die Unregelmäßigkeit der Phrasierung, das ,Nachklappen‘ der Melodielinie oder das Arpeggieren betraf“, hat er festgestellt. „Die neoklassizistischen Schulweisheiten, mit denen Musiker in den 60er bis 80er Jahren aufgewachsen sind, haben ihre Wurzeln in Interpreten wie Walter Gieseking oder Maurizio Pollini, eine gewisse Regelmäßigkeit des Spiels war da zum Standard geworden – früher hingegen gab es viel mehr Flexibilität.“

Diese Flexibilität und Freiheit, bei der ein Akkord auch mal wie ein „zufälliges kontrapunktisches Aufeinandertreffen mehrerer Stimmen“ klingen darf, ist Lonquich ein wichtiges Anliegen, dem er sich mit seiner Einspielung von Chopins Klavierkonzert Nr. 2 auf einem Erard-Hammerflügel widmet, aber auch, wenn Ravel, Debussy, Messiaen oder Fauré auf dem Programm stehen oder er im Duo mit seiner Frau, der Pianistin und Theatertherapeutin Cristina Barbuti, das frühe 20. Jahrhundert musikalisch erkundet.

Musik, Raumbewusstsein und Körperausdruck

In seinem Haus in Florenz bietet das Ehepaar neben genreübergreifenden Performances auch Kurse und Workshops für junge Pianisten an. „Vormittags spreche ich über spezielle psychologische Metaphern musikalischer Bewusstseinszustände. Nachmittags wird dann szenisch gearbeitet, so dass die Studenten die Verbindung zwischen Musik, Raumbewusstsein und Körperausdruck entdecken.“ Die fingierte Bühnensituation soll helfen, mit großem Leistungsdruck besser umzugehen und führt im Idealfall zu mehr Flexibilität. Ganz wie im Theater.

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