Auf der Webseite der Nürnberger Symphoniker verrät Chefdirigent Alexander Shelley neben seinen kulinarischen Vorlieben („Nürnberger Bratwürste mit Kartoffelsalat, Brezel und Hefeweizen – und zum Nachtisch meine schöne Frau“) auch sein geschichtliches Vorbild: William Shakespeare. Nun mag die Verehrung des berühmten Nationaldichters bei einem gebürtigen Engländer nicht wirklich überraschen, allein: warum ein Schriftsteller statt eines großen Komponisten?
„Ich hätte auch ganz allgemein die deutschsprachigen Komponisten nennen können: Bach, Mozart, Schubert – denn wie bei Shakespeare strömte bei ihnen scheinbar aus dem Nichts Weisheit, Reinheit, Humor und Menschlichkeit hervor“, meint der Vollblutmusiker. „Shakespeare aber hat seine Gedanken perfekt umgesetzt und sich ein Leben lang auf eine Form begrenzt.“ Und eben diese Begrenzung schätze er auch in der Musik: „Beethovens fünfte Sinfonie ist das beste Beispiel: Das ganze Werk baut auf der DNS eines Vier-Töne-Motivs auf – da wird alles auf den Punkt gebracht und nichts ist überflüssig.“
Keine Rede von Begrenzung kann indes beim Blick in Shelleys Terminkalender sein: Seit der Brite vor zehn Jahren als Gewinner aus der Leeds Conductors Competition hervorging, stehen die Orchester bei ihm Schlange. Gerade mal sieben Wochen im Jahr hält sich der Dirigent in seiner Heimatstadt London auf – die übrige Zeit tourt er durch Europa und die Welt, mit den Nürnbergern wie auch als Gastdirigent des Orchestre National de Bordeaux oder der New Yorker Philharmoniker, weilt bei den Salzburger Festspielen oder an der Oper in Kopenhagen.
Für seine Nachwuchsarbeit in Bremen gab es den Echo
Immer wieder sucht Shelley dabei den Kontakt zu jungen Musikern. Seine Zusammenarbeit mit dem Venezolanischen Simón Bolívar Youth Orchestra, dem Australian Youth Orchestra und dem Bundesjugendorchester empfindet er als „unglaublich beglückend“: „Als Orchesterleiter muss man sich normalerweise sehr ins Zeug legen, denn Musiker sind auf die Energie, Intensität und Hingabe des Dirigenten angewiesen. Bei einem jungen Orchester hingegen ist es so, als würde man sich an eine Stromleitung anschließen: Plötzlich bekommt man selbst ganz viel Energie und muss diese dann nur richtig steuern.“
Dass ihm das auch bei Projekten mit über 500 Beteiligen gelingt, zeigte Shelley, als er 2009 mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und Schülern der Gesamtschule Bremen-Ost im Rahmen der Reihe „Zukunftslabor“ Karsten Gundermanns Oper Faust II realisierte. „Für die Aufführung haben wir draußen vor den Hochhäusern eine Bühne aufgebaut. Es war unglaublich bewegend, mitzuerleben, wie die Kinder aus diesem sozialen Brennpunkt die Texte von Goethe auswendig gelernt und auf die neue Musik gesprochen haben.“ Das Projekt kam so gut an, dass dem jungen Dirigenten die künstlerische Leitung des „Zukunftslabors“ angetragen wurde – Lohn der Mühen: 2012 wurde die Reihe, in der die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen mit Schülern der Gesamtschule unter seiner Federführung unterschiedlichste Projekte realisiert, mit dem Echo Klassik in der Kategorie „Nachwuchsförderung“ ausgezeichnet.
Früh übt sich: aufgewachsen in einem Haus mit fünf Flügeln
Eine musikalische Förderung, die Shelley selbst daheim schon früh erlebt hat: „Meine Eltern sind beide Pianisten und wir hatten fünf Flügel zu Hause, meine Oma hat Cello gespielt. Aber am liebsten habe ich sinfonische Musik gehört und schon mit zwölf Jahren Partituren gelesen und mental mitdirigiert.“ Eine Vielfalt, die der junge Mann auch während seines Dirigier-Studiums in Düsseldorf pflegte, wo er mit der von ihm gegründeten Schumann Camerata die innovative Konzertreihe „440Hz“ ins Leben rief und das Kammerensemble gemeinsam mit den Kölner DJs Blanck & Jones auftrat. Auf den After-Show-Partys spielte gelegentlich eine Jazzband – am Piano: Alexander Shelley. Bis heute gönnt er sich diese Ausflüge an die Tasten; allein für das Cello, dessen Spiel er einst am Royal College of Music in London studiert hatte, bleibt inzwischen keine Zeit mehr. Zumal sein Terminplan ab der kommenden Spielzeit noch enger werden dürfte, wenn er zusätzlich zu seinem Nürnberger Chefposten auch die Leitung des National Arts Centre Orchestra in Ottawa übernimmt. „Ich arbeite eigentlich immer“, sagt Shelley. „Aber letztendlich gibt es für mich auch nichts Schöneres, als Partituren zu studieren.“