„Anna makes the organ cool“, so hat ein Follower eines ihrer Videos auf TikTok kommentiert. Orgel? Cool? Auf TikTok? Ja, die britische Organistin – Jahrgang 1995 – ist auf der Höhe der Zeit, auch was die Sozialen Medien angeht. 750 000 Follower auf TikTok, 455 000 auf Instagram, das ist mehr als stattlich. Es sind wahre Orgel-Werbefilmchen, die da entstehen, meistens nachts in der Londoner Royal Albert Hall, zu sehen eine hellwache, begeisterungsfähige junge Frau mit breitem Lachen, ihre 9 999 Pfeifen dort scheinbar spielerisch bändigend. „Do you ever sleep?“, fragt einer auf Instagram.
Und es ist oft erstaunlich viel los, nachts in der Royal Albert Hall. Neulich hörte sie einer aus der Band des Elektro-Musikers Bonobo da üben und wünschte sich Bachs d-Moll-Toccata von ihr. Zwölf Stunden später hatte sie einen eigens für sie geschrieben Orgelpart für den Bonobo-Auftritt, 18 Stunden später griff sie in die Tasten beim großen Konzert-Finale vor 5 000 Zuhörern – die Klickzahlen des Auftritts gingen in die Millionen. In der Tat, mit Anna Lapwood steigt der Coolness-Faktor der Orgel sprunghaft an. Was Anna Lapwood aber besonders am Herzen liegt: Das Instrument soll auch cool werden für Mädchen.
Der gesamte Bach in Frauenhand
So veranstaltet sie regelmäßig die Cambridge Organ Experience for Girls, sie lädt zu Marathon-Konzerten ein, in denen Bachs gesamtes Orgelwerk in 24 Stunden von 22 Organistinnen gespielt wird, sie hat den Hashtag #playlikeagirl für das Orgelspiel etabliert – weil ein Juror einmal zu ihr gesagt hatte, dass die Jury ihr Spiel zwar sehr gemocht hätte, sie aber dennoch raten würde, „dass ich mehr wie ein Mann spielen sollte“, erinnert sich Anna Lapwood. Um Hürden abzubauen, geht sie auch ganz praktisch vor, denn auch sie hat festgestellt: Orgeln seien in der Regel für hochgewachsene Menschen gebaut, was ein Problem sei vor allem für Mädchen und junge Frauen. Deshalb setzt sie sich gemeinsam mit der Society of Women Organists für höhenverstellbare Orgelbänke ein.
Das Konzert mit Bonobos Elektro-Sounds 2022 war übrigens auch für sie ein Ohrenöffner gewesen. Bis dahin war sie „sehr auf die klassische Musik festgelegt“, sagt sie. „Vielleicht war ich sogar ein bisschen versnobt. Dann kam das Bonobo-Konzert, und ich habe angefangen zu weinen. Es war so bewegend, und ich habe erkannt, dass auch das großartige Musik ist. Das hat wirklich meine Augen geöffnet, und ich wusste, dass ich mehr davon will.“