Anna Vinnitskaya beherrscht die seltene Kunst, dem Schwierigen den Anschein des Natürlichen zu geben. Zum Beispiel, wenn das dritte Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow auf dem Programm steht. Die in Hamburg lebende Weltklasse-Pianistin meistert nicht nur den exorbitant anspruchsvollen Solopart mit traumwandlerischer Sicherheit. Sie widerlegt auch die Vorurteile, die bis heute über den vor 150 Jahren geborenen Spätromantiker kursieren. Rachmaninows Werke seien Kitsch, heißt es immer wieder. Dabei war das Klavierspiel des Komponisten selbst von Klarheit, Strenge und Formbewusstsein geprägt. Auch bei Vinnitskaya klingt seine Musik gefühlvoll, aber nie übertrieben sentimental.
Vinnitskaya: „Bach ist für mich das A und O in der Musik“
Die vielfach ausgezeichnete Pianistin stammt aus der südrussischen Stadt Noworossijsk, wo sie 1983 als Tochter einer Musikerfamilie geboren wurde. Seit 2009 ist sie Professorin an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Zuvor war sie dort Meisterschülerin von Evgeni Koroliov, der unter Kennern nicht zuletzt als Bach-Spezialist Kultstatus genießt. „Bach ist für mich, auch dank Koroliov, das A und O in der Musik“, sagte Vinnitskaya einmal. Mit Koroliov und seiner Frau Ljupka Hadzi Georgieva hat sie Bachs Cembalokonzerte eingespielt – ganz unideologisch auf modernen Klavieren.
Wer Bach liebt, hält an bestimmten Tugenden fest: an der Transparenz, an der Klarheit der polyfonen Linien. All das findet man bei Anna Vinnitskaya auch im romantischen und modernen Repertoire. Technische Grenzen scheint sie ohnehin nicht zu kennen. Werke von Brahms, Ravel und Chopin hat sie ebenso eingespielt wie Kompositionen der russischen Meister Rachmaninow, Prokofjew und Schostakowitsch. Und von Béla Bartók hat sie bereits alle drei Klavierkonzerte an einem Abend aufgeführt.
Der internationale Durchbruch gelang ihr 2007 mit dem ersten Preis beim Concours Reine Elisabeth in Brüssel. Seitdem gastiert sie bei den besten Orchestern und gibt Klavierabende in den großen Musikzentren. Rachmaninow-Liebhaber und solche, die es werden wollen, sollten sich diese Termine vormerken: Zum Beginn ihrer Residenz bei der Kammerakademie Potsdam feiert Anna Vinnitskaya den russischen Jubilar. Das verspricht viel Gefühl, aber keinen Kitsch.